Von der Last zu schenken

In Japan beschenkt man einander nicht immer gern, aber oft. Je nach Beziehung muss eine Aufmerksamkeit bestimmte Eigenschaften aufweisen. Blick auf eine gespielte und zugleich reglementierte Geschenkeszene.

Als Japans Fußballnationalmannschaft diesen Frühling im Tokioter Nationalstadion gegen Neuseeland spielte, wurden die Medienvertreter schon zwei Tage vorher eingetütet. Sprichwörtlich. Zwischen Informationen über die heimische Truppe und den Gast hatte Japans Fußballverband in seinem „Mediakit“ auch an eine kleine Annehmlichkeit gedacht: In den ausgeteilten Taschen warteten Repliken des Sportstadions, in dem das Freundschaftsspiel gegen Neuseeland stattfand, als Miniaturspielzeug.

„So cool!“, rief ein neuseeländischer Journalist strahlend, als er seinen Beutel auspackte. Seinem Sohn werde er das Stadion mitbringen. „Wenn die Japaner eines beherrschen“, sagte ein anderer, „sind es Geschenke. Immer diese tollen Kleinigkeiten!“ Der Reporter, der von der japanischen Gabe zu geben, so begeistert war, hatte recht. Noch stärker als in anderen Kulturen ist das Schenken in Japan ein Symbol für Aufmerksamkeit und Verbundenheit, und dadurch eine gut erlernte Fähigkeit. Kinder lernen schon auf Klassenfahrten, dass sie für jene Menschen, die wichtig für sie sind, unbedingt etwas mitbringen sollten. So kann der Druck, ein passendes Geschenk zu finden, sogar die ganze Reise überschatten, wie gelegentlich zu hören ist. Denn immer wieder wird auch Leuten etwas geschenkt, die man kaum persönlich kennt und vielleicht auch nicht besser kennenlernen möchte, etwa Arbeitskollegen oder Geschäftspartnern. Oder eben Pressevertreter.

Vor einem Ladenfenster in Tokios Unterhaltungsviertel Akihabara steht Kenji Amano und überlegt auch aus diesem Grund. Einem Freund, der gerade seine Promotion abgeschlossen hat, sollte er etwas schenken. Ein richtig guter Freund sei er zwar nicht, aber schon jemand, dem er immer wieder begegne. „Ein Geschenk wäre angebracht“, sagt der 27-Jährige nachdenklich seufzend. „Ich glaube aber, etwas richtig Edles wäre zu formell.“ Kenji Amano suche eher nach einem Spielzeug. So etwas Lockeres sei immer dann genehm, wenn es sich um eine launige Aufmerksamkeit handeln solle, die zugleich einen guten Eindruck mache, aber nicht unbedingt mit einer konkreten Absicht verbunden sei.

Für solche Situationen finden sich die beliebtesten Geschenke wohl genau hier, im schrillen Viertel Akihabara, von dem in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder neue Trends der Unterhaltungsbranche ausgegangen sind. Auch die Miniatur des Nationalstadions, deren Original im Stadtteil Shinjuku steht, auf der anderen Seite des Stadtkerns, dürfte aus Akihabara kommen. In den Läden wimmelt es vor Spielzeugen, die sich irgendwie auf die unzähligen Geschichten beziehen, die die Anime- und Mangawelt Japans populär gemacht haben.

Besonders beliebt als Geschenke sind Spielfiguren dieser virtuellen Helden, meist zwischen fünf und 20 Zentimetern hoch, handbemalt, unbeweglich und genau deshalb so toll. Auch Kenji Amano denkt über so etwas nach. „Jede Figur hält einen bestimmten Moment aus einer Episode fest“, sagt der Büroangestellte. In einem Geschäft sieht er sich die Figur Tobi an, ein Bösewicht aus dem Manga „Naruto“, dessen Helden auch beliebte Vorlagen für die Kostümwettbewerbe in der Cosplayszene sind. Der Tobi aus Kunststoff steht in einen Mantel gekleidet und mit einer bedrohlichen Pose da. „Das ist ungefähr die Phase, als er richtig böse wird“, weiß Kenji Amano. Er selbst ist bereits ein Besitzer dieser Figur. „Wenn ich das meinem Bekannten schenke, wird das zumindest Kraft symbolisieren.“ Ein Held der dunklen Seite sei dieser Tobi zwar, allerdings irgendwie ein faszinierender, kreativer. „Aber er ist eben keiner der Guten...“

Eine Alternative zu so statischen Figuren, die Kenji Amanos Überlegungen für das Geschenk erkennen ließen, wartet in Akihabara an fast jeder Straßenecke. Von Automaten lassen sich für wenige Yen Plastikkugeln erwerben, in denen je eine Spielfigur steckt. Die Gachapon genannten Figuren sind ein japanischer Exportartikel und ein beliebtes Geschenk für kleine Kinder, die von ihren Eltern meist mit Kleingeld ausgestattet werden, damit sie selbst eine Plastikkugel kaufen können. „Für Liebhaber von Anime und Manga ist das eine schöne Erinnerung, zu fast jeder Serie gibt es ja solche Automaten“, sagt Kenji Amano. „Und das Gachapon wäre eine Überraschung. Man weiß vorher nicht, welche Figur man bekommt.“ Amano hätte damit die Verantwortung für seinen Geschmack abgegeben. Und würde so die Beziehung zu seinem Bekannten nicht unnötig aufs Spiel setzen.

Suche nach perfektem „Omiyage“

Denn das Schenken ist kompliziert, und verspielte Ideen können riskant werden, je nachdem, wie gut der Schenkende den Beschenkten kennt. Um sicher zu sein, decken sich japanische Unternehmen daher nicht selten mit Geschenkevorräten ein, um diese bei gegebenem Anlass möglichst eindrucksvoll zu verteilen. Die Tokioter Wasserwerke verschenken an ihre Besucher beispielsweise aufziehbare, laufende Figuren eines Wassertropfens, des Maskottchens des Versorgers. In Kenji Amanos Unternehmen würden manchmal Plüschtiermaskottchen jener japanischen Präfekturen verschenkt, in denen der Betrieb Büros unterhält.

„Wenn ich bloß gerade aus dem Ausland zurückgekommen wäre, dann wäre alles viel leichter“, sagt Kenji Amano abermals seufzend. Dann, so die ungeschriebene Regel, hätte er einfach etwas Landestypisches besorgen können. Essen gelte als sichere Wahl. Aus Österreich habe er einmal haltbare Mehlspeisen mitgebracht, aus Deutschland würde man Würstchen erwarten, aus Frankreich Käse, aus der Schweiz Schokolade. Die „Omiyage“ genannten Mitbringsel, ins Deutsche häufig mit „Souvenir“ übersetzt, lassen kaum Raum für Kreativität. Einen besonders bleibenden Eindruck würde man durch den Preis erzielen können. So schenken Japaner, die etwas auf sich halten, manchmal auch einzelne Äpfel oder Birnen, die umgerechnet um die 100 Euro kosten.

Für seinen Bekannten zieht Kenji Amano das jedoch nicht in Erwägung; ein Spielzeug müsste es schon sein, durch dessen Eigenschaften er eine Botschaft für das künftige Leben des Bekannten überbringen könnte. „Vielleicht wäre es am besten, etwas Fußballbezogenes zu schenken.“ In dem Geschäft in Akihabara findet er schließlich eine Figur eines japanischen Nationalspielers. „Er mag Fußball; für die WM in Brasilien haben wir eine gute Mannschaft. Insofern ist das keine schlechte Idee.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2014)

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