Treffer: Angetreten mit Kummerbund

Für das 17-jährige Mädchen waren alle Männer über 25 alt. So auch ihr zukünftiger Schwager. Der sah zwar gut aus, hatte lebendige Augen und war gepflegt, aber doch schon 27.

Für das 17-jährige Mädchen waren alle Männer über 25 alt. So auch ihr zukünftiger Schwager. Der sah zwar gut aus, hatte lebendige Augen und war gepflegt, aber doch schon 27. Dem Vater der beiden Schwestern machte weniger das Alter seines künftigen Schwiegersohns Sorge als die Tatsache,dass der junge Mann keinem anständigen Beruf nachging. In seiner Jugend hatte der erfolgreiche Fabrikant zwar selbst künstlerische Ambitionen gehabt, abermalen konnte man auch sonntags undden Rest der Woche einem ordentlichen Beruf nachgehen. Selbst die Verlobte gestand ihrer kleinen Schwester, dass ihr Zukünftiger in einem schäbigen Haus zusammen mit zwei anderen in einer Künstler-Compagnie wohne.

Die drei Männer der Ateliergemeinschaft waren an sich recht erfolgreich, doch nun galt es, über die Zukunft der Compagnie zu sprechen. Deshalb nahm der Verlobte eines Sonntagnachmittagsseinen zur Gemeinschaft gehörenden älteren Bruder mit zur Jause. Dem eilte der Ruf voraus, die Bilder im Stiegenhaus des Hofburgtheaters gemalt zu haben, so Sachen mit nackten Frauen. Noch hatten die Schwestern diese schockierenden Bilder nicht gesehn.

Für den Besuch warfen sich die Brüder in Schale: heller Leinenanzug, weißes Hemd und Fliege. Der 17-Jährigen, die später die bekannteste ModeschöpferinWiens werden sollte, fiel an dem Älteren eine Besonderheit auf: Um die Taille trug er eine Art Schärpe, vielleicht um seine leichte Korpulenz zu kaschieren. Als sie erfuhr, dass diese Bauchbinde „Kummerbund“ genannt wird, musste sie darüber recht von Herzen lachen.

Serviert wurde auf Limoger Service der berühmte Topfenstrudel der Mutter. Da er es nicht fertigbrachte, dem schönen Fräulein Nein zu sagen, musste der ältere Bruder drei Stück davon essen. Das Gespräch verlief schleppend, sodass er sich bald verabschiedete. Erst da wagte er es, das Fräulein zu fragen, ob sie ihm Modell sitzen würde. Verlegen senkte die Angesprochene den Blick und flüsterte: „Ich will es mir überlegen.“

In der Folge wurde sie zu seiner Muse und seinem wichtigsten Modell. Ihr Porträt von 1902 wurde sehr bekannt, gefiel ihr aber nicht. Weltberühmtheit erlangte jedoch ein Gemälde, auf dem sie gemeinsam mit ihm zu sehen ist. ■

Wer traf wen? Wie heißt das Bild, das
weltberühmt wurde?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2014)

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