Treffer: Sehr ehemalig, diese Freunde

Dass eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, sagt der Volksmundl gern als gängige Analyse des Geschehens. Doch unsere Person A dachte diese Einsicht weiter undnotierte zu guter Letzt die Zeilen: „Ein Ton macht noch keinen Komponisten ... aber ein Gedanke macht ein Lied.“ Möglicherweise rührt daher die heftige Abneigung von Person A gegen die Person B, ihrem „sehr ehemaligen Freund“ – was in Wien als noble Umschreibung des doch in Friedenszeiten sehr martialisch klingenden Begriffs „Todfeind“ begriffen werden kann.

Der A zürnte dem B, weil dieser nach seiner Ansicht Lieder ohne irgendeinen – wenn schon gar keinen tiefen – Gedanken schrieb. Gleichsam leere Kilometer. Und dabei noch dazu – hier könnte man noch einmal das aussterbende Wort „notabene“verwenden – gar nicht unerfolgreich war. Originalzitat des A über den B: „Ein ausgezeichneter Geschäftsmann, aber er hieltsich außerdem für einen Künstler, bloß weil er ein guter Barpianist und ein dementsprechend leidlicher Schlagerkomponist war und gelegentlich auch ein paar schwache Texte geschrieben hatte.“ Nun soll hier nicht verschwiegen werden, dass auch der B keine Gelegenheit ausgelassen hat, um genussvoll über den A herzuziehen.

Freilich schätzen sowohl Konsumenten geistvoller Unterhaltung als auch zu Neutralität und Objektivität verpflichtete Kabaretthistoriker das Werk beider nun auch schon toten Liederfürsten der heimischen Nachkriegszeit in gleicher Weise, deren Songs zu „Klassikern“ geworden sind und an deren Schaffen sich die damals jungen Kleinkünstler orientierten. Beide hatten auch ein ähnliches Schicksal: Mit Müh und Not konnten sie der ab 1938 Opfer fordernden Nazipest entkommen und im Exil überleben. Doch auch dort fanden sie keinen örtlichen Anker, der ihnen das Bleiben ermöglichte – es war wie das Leben einer Wanderniere im Körper.

Die anschließende Heimkehr in die Geburtsstadt verlief allerdings auch nicht ohne Komplikationen. Ironie der Geschichte: Der aus bürgerlichem Milieu stammende A starb als „Linker“, der B mit seiner proletarischen Herkunft als biedere Mitte. Aber: Dichandlanger waren sie beide nicht – was sie ehrt. ■


Wer traf wen? In welcher Wiener Bar?
Was machen die Kinder?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2014)

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