Die digitale Nase platt drücken

Die beiden Rivalen der digitalen Unterhaltungsindustrie – Xbox und Playstation – gehen in die nächste Runde: Die Distanz zwischen realer und virtueller Welt wird immer geringer.

Ein gutes Jahr ist seit dem Verkaufsstart der neuen Spielkonsolen von Microsoft und Sony vergangen. Abgelöst wurden die Vertreter der siebenten Generation (Xbox360, Playstation3), die acht beziehungsweise sieben Jahre ein fruchtbares Dasein im Zuge der Einführung von High-Definition-Fernsehen und der Blu-ray genossen. Der industrielle Sprung von Standard auf High Definition sorgte zu dieser Zeit nicht ausschließlich unter Videospieljüngern für offene Kinnladen und bescherte beiden Konzernen auf lange Sicht hohe Absatzzahlen.

Folglich ist die Nachfrage nach der neuen Hardware (Xbox one, Playstation4) seit deren Erscheinen ungebrochen und führte hierzulande im Fall der Playstation4 zu Monaten hartnäckiger Engpässe in der Lieferung und somit äußerst knapper Verfügbarkeit. Umso mysteriöser wirkt dieser Umstand in Anbetracht der bislang geringen Anzahl an dedizierten Spielen, die zusätzlich nicht die Innovation und technische Finesse aufweisen können, die von jugendlich anmutenden CEOs – Priester milliardenschwerer Spielehersteller – auf den Showbühnen großer Videospielmessen prophezeit wurden.

Somit stehen zurzeit mehr als 25 Millionen Playstation-4- und Xbox-one-Konsolen in unseren Haushalten und warten quasi auf ihre Bestimmung – zeitgemäß – zu faszinieren. Einzelne Versuche, dem entgegenzuwirken, wie das kürzlich erschienene Science-Fiction-Epos „Destiny“, brachten zwar den finanziellen Erfolg und damit die Fortsetzungsbestätigung, hinterließen jedoch einen lauwarmen Eindruck bei der rezipierenden Fachwelt. Die wahrgenommene Armut an konsolengebundenen Exklusivtiteln sowie an qualitativen Multiplattformerscheinungen ruft aufseiten der großen Publisher eine Recyclingstrategie auf den Plan, die in der vorigen Generation deutlich an Momentum gewonnen hat: Remastering. Damals wurde zum neuerlichen Start eines Spiels die Auflösung hochgeschraubt und hinter dem Spieletitel ein dezentes HD angehängt.

Heutzutage wird weit mehr als Pixel und längere Schriftzüge angehängt. Spieleentwickler scheinen nicht müde zu erwähnen, dass ihr Spiel in der „remastered“ Fassung nicht nur grafische Aufbesserungen aufweist, sondern gleich eine Reihe anderer Optimierungen erhalten hat und es sich somit bezüglich der investierten Arbeitsstunden nicht vor dem Original zu verstecken braucht. Schließlich wird dem Konsumenten ja auch oft der ursprüngliche Preis verrechnet.

Das Prinzip scheint aufzugehen: Nostalgische Spieler können ihre Lieblingsspiele nun in neuem Glanz wieder erleben, während sich Neuzugänger über jungfräuliche Spielstunden und die technisch opulenteste Fassung eines Spiels freuen dürfen. Da Werbeausgaben vermutlich einen nicht unbeträchtlichen Teil der neuen Produktionskosten ausmachen, müssen sie beim Publikum auch (ab-)greifen. Also wird, entsprechend der niederen Natur des Mediums, mit technisch evozierbaren Gefühlen geworben: „Shooter X lässt sich nun in Full HD und mit 60 Einzelbildern pro Sekunde spielen – eine gänzlich neue Erfahrung.“ Über solch einen Slogan darf man streiten, denn unsere Erinnerung an ein großartiges Videospiel ist bereits in HD. Alles, was es damals zur (neuartigen) Attraktion werden ließ, war perfekt aufeinander abgestimmt. Das Steigern nur einer Komponente im magischen Gemenge könnte eine ganzheitliche Entfremdung herbeiführen. So manche Art lässt sich einfach nicht in neues Gewand pressen. Es erinnert an den gescheiterten Versuch Hollywoods, schwarz-weiße Klassiker im Nachhinein zu kolorieren. Doch was in dem einen Fall an Vandalismus grenzt, wird im anderen ohne präsente Alternativen zu lukrativer Wiederverwertung, zumindest scheint es beim Anblick der Bestsellerlisten so. Jährliche Umsätze von 65 Milliarden Dollar generieren sich schließlich nicht von allein. Für eine glänzende Zukunft im Videospieluniversum und eine bilaterale Mehrwertsteigerung wäre es jedoch wünschenswert, würden Remakes über ein reines Facelifting hinausgehen.

Dies führt uns zu der Spielwiese von Los Santos, einem In-vitro-Los-Angeles im kalifornischen Hinterland, bereitgestellt von einem schottischen Spieleentwickler namens Rockstar inklusive seiner Sicht der (US-)Dinge. Getauft auf den Namen „Grand Theft Auto 5“ zählt die Satire in technischer Hinsicht noch immer zu den eindrucksvollsten Spielen dieser Jahre. Es erschien im September 2013, brach sämtliche Rekorde der Unterhaltungsindustrie und verkaufte sich zum Lebensabend von Playstation3 und Xbox360 über 34 Millionen Mal. Der eigentliche Star des Spiels ist der Multiplayermodus, Garant für ziemlich jedes moderne Spiel mit Riesenbudget – bis der Nachfolger auftaucht.

Abenteuer aus der Ego-Perspektive

Seit November 2014 ist Rockstars Opus magnum in der remastered Version für die neuen Konsolen erhältlich, zum Vollpreis versteht sich. Schlicht und bewusst betitelt mit „Grand Theft Auto 5“. Neben den Standardverbesserungen wie etwa einer doppelt so hohen Auflösung und Weitsicht, neuen Charakter- und Fahrzeugmodellen, erweitertenPartikeleffekten, mehr Reflexionen und Lichtquellen sowie einer Erhöhung der Spieleranzahl im Onlinemodus kommt ein simpler, aber alles entscheidender Schachzug hinzu: Es ist erstmals in einem GTA-Spiel möglich, das komplette Abenteuer aus der Ego-Perspektive zu erleben. Technisch gesehen wird dadurch die Distanz zur Spielewelt verringert, indem der sichtbare Raum zwischen der zu steuernden Spielfigur und der Position der Kamera verschwindet und so hinter dem Avatar nur der Spieler selbst im Realraum situiert ist. Man darf sozusagen mit eigenen Augen durch künstliche blicken.

Somit sind die zahlreichen Verbesserungen im grafischen Department auch sinnvoll,weil man seine digitale Nase nun im virtuell möglichsten Sinn an einem der unzähligen Details platt drücken darf. Durch einen perspektivischen Trick und 3000 neu gerenderten Animationen wird gespielte Erinnerung mit neuem (Ab-)Leben gefüllt. Ob es sich um eine Vorkehrung seitens Rockstar handelt, die mit dem voraussichtlichen Erscheinen der konsumentengerechten Fassung von Virtual Reality Headsets im Jahr 2015 einhergeht, bleibt abzuwarten. Was heute schon feststeht: Virtueller Gangstertourismus, voll von moralischer Loslösung, findet nunmehr auf Augenhöhe statt – und bietet mehr als genug Zeit, um auf Innovation zu warten. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2014)

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