Ein gefallener Gott?

Peter Molyneux ist einer der wenigen bekannten Stars der Computerspielwelt. Er blickt auf 30 Jahre Games-Entwicklung zurück und ist Erfinder des „God Game“. Doch sein Podest wackelt.

Begonnen hat alles mit „Populous“ in den späten Achtzigerjahren. Es ist ein Strategiespiel, versetzt die Spieler aber erstmals nicht in die Rolle eines Kommandeurs, sondern befähigt sie, Land und Witterung zu manipulieren. Doch Gott hat in diesem Spiel eine sehr weltliche Agenda: Es geht darum, mehr Anhänger als die Konkurrenz zu finden. Eine effektive Mischung aus Zuwendung und Furcht hält die virtuellen Menschen in „Populous“ bei Laune und Glauben. Der Designer des Spiels war der damals 30-jährige Brite Peter Molyneux, der sich in den Jahren davor als unabhängiger Verkäufer und Entwickler seine ersten Sporen in der Games-Branche verdient hat. „Populous“ (1989) war bereits ein großes Projekt, finanziert und vertrieben von Electronic Arts (heute EA), einem Unternehmen, das zur damaligen Zeit auf Innovation und Autorenspiele setzte. Bis heute gilt der Titel als Klassiker, wurde für neuere Computersysteme umgesetzt und dient vielen Game-Designern als Vorbild. Molyneux hat in den 1990ern weitere bemerkenswerte Spiele maßgeblich mitgestaltet, darunter das dystopische „Syndicate“, den Vergnügungsparksimulator „Theme Park“ oder das kuriose Höllenplanungsspiel „Dungeon Keeper“, in dem man als Oberdämon nach dem Rechten sehen muss.

Nach der Jahrtausendwende setzte Peter Molyneux seine Erfolgslaufbahn fort und führte nach „God Game“ eine weitere Besonderheit ein: ein von Spielern gestaltbares Moralbarometer. Dieses war zwar recht bipolar und kannte kaum Zwischentöne, dennoch war es neu, dass die eigenen Handlungen nicht nur Konsequenzen nach sich zogen („Game over“ bei einer schlechten Leistung), sondern auch Reaktionen der Figuren. Spielte man einen finsteren Zeitgenossen, der grundlos auf Menschen einschlug, fürchteten sich die anderen fortan vor einem. Tat man Gutes, indem man diverse Missionen erledigte, die einem unmittelbar beim Erreichen der Spielziele nicht weiterhalfen, erkannten das die Figuren und waren dem Spieler bei einer späteren Begegnung wohlgesinnt. Erstmals wurde dieses Moralsystem in „Black & White“ (2001) umgesetzt, bei dem das „God Game“- und das „Gut und Böse“-System miteinander verknüpft wurden. „Finde heraus, wer du wirklich bist“ lautete der Untertitel des Spiels. „Gott“ manifestierte sich dabei als Hand, die über der virtuellen Welt schwebt und die Menschen leitet, Land formt und eine übermenschliche Kreatur als seinen weltlichen Stellvertreter kürt. Wirklich bekannt wurde das „Gut und Böse“-System erst durch „Fable“ (ab 2004), einem in einer mittelalterlichen Fantasywelt angesiedelten Rollenspiel, das mehrere Fortsetzungen erfahren hat. Die eigene Moral hat sich in den „Fable“-Spielen auch visuell in der Veränderung der eigenen Spielfigur niedergeschlagen: Je finsterer die Handlungen waren, desto dunkler, knorriger und faltiger wurden die Gesichtszüge. Jung, strahlend, aber auch ein bisschen langweilig war man, wenn man auf der guten Seite stand. So platt diese Mechanik klingt, so ungewöhnlich war sie in Computerspielen, deren vielen Möglichkeiten man als Entwickler zu jedem Zeitpunkt gerecht werden muss.

Komplex ist ein gutes Stichwort, denn Molyneux war nach einer Weile nicht mehr nur für seine „Gottesspiele“ und sein Moralbarometer bekannt. Er erwarb sich einen ambivalenten Ruf wegen seiner schöngeistigen Ankündigungen und Versprechungen, die fast nie eingehalten werden konnten. In bestem britischen Englisch fabulierte Molyneux vor der Presse, bei Fachtagungen und Konferenzen oft und gern von seinen Visionen, die die Erfahrungen in Computerspielen grundlegend auf den Kopf stellen sollten. Dass ihn später die harte Realität mit technischen Hürden, personellen Engpässen und Abgabefristen einholen sollte, wollte er in diesen Momenten nicht wahrhaben. Über die Jahre hinweg hat sich die Molyneux'sche Begeisterung als Running Gag in die Games-Gemeinschaft eingeschrieben. Seit 2009 gibt es einen Parodie-Twitter-Account namens @PeterMolydeux, der in abstrusen Spielideen schwelgt und sich – wie sein Vorbild – nicht vom Träumen abhalten lässt. Unter dem Motto „What would Molydeux?“ sind 2012 und 2013 in eigenen Game-Jam-Veranstaltungen einige dieser Ideen in kleine Spiele umgesetzt worden.

Molyneuxs Output war von Problemen gebeutelt, die kein verhuschtes Genie mehr zeichneten, sondern einen chaotischen Firmenchef. Molyneux arbeitet seit einigen Jahren ohne großen Verlag im Hintergrund und hat unter anderem mittels Crowdfunding sein aktuelles Projekt „Godus“, eine Art Neuauflage seines klassischen Hits „Populous“, finanziert. Über eine halbe Million Pfund konnten Ende 2012 über Kickstarter gesammelt werden, doch bis heute ist das Spiel in einem unfertigen Zustand.

Ungebrochene Leidenschaft

Bereits Ende der 2000er-Jahre hat Molyneux an Glamour eingebüßt. Er enttäuschte unter anderem damit, dass die vielversprechende künstliche Intelligenz „Projekt Milo“ nicht als Spiel erschien, sondern Demonstration bleiben sollte. 2012 ließ Molyneux durch eine Kuriosität aufhorchen, nach der in einem wundersamen Würfel ein Geheimnis versteckt wäre. Fortan tappten tausende Menschen in der Smartphone-App „Curiosity – What's inside the Cube?“ auf diesem Würfel herum, bis schlussendlich 3,6 Milliarden Stücke davon abgebaut waren und ein Gewinner übrig blieb: Bryan Henderson, ein 18-jähriger Teenager, dem die Rolle God of Gods in „Godus“ versprochen wurde – und ein Anteil an den Einnahmen zu dem Spiel, das bislang in keiner Endfassung veröffentlicht wurde. Henderson wurde ins Studio von Molyneux eingeladen, später riss der Kontakt ab. „Der Gott, der von Peter Molyneux vergessen wurde“, titelte vor Kurzem die Games-Website eurogamer.net. Das renommierte Online-Spielemagazin „Rock, Paper, Shotgun“ führte ein Interview mit dem ehemaligen Stardesigner, bei dem dieser entnervt zwischen unterwürfigen Entschuldigungen und beleidigten Angriffen oszilliert. Er sei kein Lügner, so Molyneux, er glaube an das, was er sage und verspreche.

Peter Molyneux mag seinen Glanz verloren haben, die Leidenschaft und der unbändige Wille, etwas komplett Neues zu schaffen, sind ihm geblieben. Bis heute hat Molyneux dieses Funkeln in den Augen. Für einen 55-jährigen Mann, der auf 30 Jahre in der Computerspielindustrie zurückblickt, ist das alles andere als selbstverständlich. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.