Treffer: Unwohlgefühl in Hietzing

Man muss zweimal hinschauen, um den Herrn zu erkennen, der sich vor einem geblümten Vorhang zur Schau stellt: in der Uniform des Gefreiten, am Kopf den Tschako, die Haltung etwas unbeholfen, steif.

Der Porträtierte fühlt sich nicht wohl,man sieht es gleich. Im September 1915 ist er mit seiner Familie aus Berlin nach Wien zurückgekehrt und hat in der Hietzinger Gloriettegasse Quartier bezogen.

Künstler haben es in jener Zeit schwer. Der Kaiser braucht Soldaten. Und so dauert es nicht lange, bis der Komponist seinen Einberufungsbefehl in der Post findet. Er durchläuft die Ausbildung in der Reserveoffiziersschule in Bruck an der Leitha und fügt sich widerwillig in den Alltag beim Militär, bis er vorrübergehendfreigestellt wird: Die Tonkünstler haben interveniert.

Auch einem seiner liebsten Freunde setzt der Krieg schwer zu. Ende Oktober 1915 bricht er körperlich und seelisch zusammen. Fortan gilt er nur mehr als „zu Kanzleidiensten geeignet“ und richtet sichauf unterschiedlichsten Schreibtischen ein. Doch wie soll man dabei seiner eigentlichen Profession nachgehen? Die zwei Männer teilen ihr Los. Kennengelernt haben sie einander schon 1904, damals noch als Lehrer und Schüler: Dass der Komponist das Talent des jüngeren Kollegen erfasst und ihn zu Beginn sogar kostenlos unterrichtet hat, bildet das solide Fundament einer Freundschaft.

Beide gehen ihren Weg mit großen Ambitionen: Sie verstehen sich als Neuerer herkömmlicher Musiktraditionen und proben den Aufstand. Die Entwicklung der Weltpolitik bremst viele ihrer Vorhaben. Man trifft einander in der ambivalenten Haltung zum Krieg und in regelmäßigen Gesprächen über die Arbeit. In der Gloriettegasse sollen jene fünf Fotos entstanden sein, die den 1874 geborenen Komponisten mit dem markanten Schädel in der Uniform des Gefreiten zeigen. Er ahnt noch nichts von seiner Freistellung, die nach einer weiteren Einberufungin eine definitive Beurlaubung übergehen wird. Sein Freund hingegen wird bis 1918 in kaiserlichen Diensten ausharren müssen. Die Erlebnisse jener Jahre aber inspirieren ihn zu einer seiner berühmtesten Opern. Ähnelt der Titelheld vielleicht sogar ein wenig dem Herrn auf den Fotos, die er einst geknipst hat? ■


Wer traf wen? Um welche Oper handelt
es sich? Wer waren weitere Schüler des Komponisten?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2015)

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