Rockstars allein zu Haus

Musikspiele waren ein lukrativer Trend der ausgehenden 2000er-Jahre. Nach einem fünfjährigen Schönheitsschlaf feiern sie dieses Jahr ein Comeback: Holt die Plastikgitarren aus dem Keller!

Als 2005 das erste „Guitar Hero“ erschienen ist, waren Musikspiele zwar seit Jahren bekannt, aber dennoch weitgehend eine Kuriosität. Wegen Lizenzproblemen undfehlenden Interesses seitens der Musikverlage mussten die meisten bekannten Pop- und Rocksongs von unbekannten Bands möglichst originalgetreu interpretiert und nachgespielt werden. Das Spielprinzip war so naheliegend wie genial: Man muss im richtigen Moment im Rhythmus bestimmte Noten treffen, die auf dem Bildschirm erscheinen. Natürlich spielt man keine echten Noten, sondern drückt ein paar Tasten. Bei „Guitar Hero“ waren diese aber nun erstmalsnicht auf einer Tastatur oder einem Game-Controller angebracht, sondern auf einer extra dafür angefertigten Plastikgitarre. Diese wurde umgeschnallt und wie eine echte Gitarre gehalten, war jedoch wesentlich einfacher gestrickt: Statt sechs Saiten gab es fünf Tasten, mit denen die Noten gedrückt wurden. Angeschlagen wurde mit einem länglichen Knopf, der wahlweise nach oben oder unten gezogen werden konnte. Rasche Notenabfolgen konnten durch schnelles und alternierendes Hinauf- und Hinunterziehen erzielt werden.

Dann gab es noch das quasi magische Element der „Star Power“: Hatte man im jeweiligen Song eine bestimmte Menge an Energie gesammelt, konnte man die Gitarre kurz senkrecht nach oben halten, die virtuelle Menge zum Toben bringen und für kurze Zeit besonders viele Punkte sammeln.

Das Besondere an „Guitar Hero“ war die Vermischung von spielerischer Leistung und unterhaltsamer Performance. Das ein Jahr davor erstmals erschienene Singspiel „Singstar“ war in erster Linie ein Partyspaß, bei dem es kaum um Herausforderungen ging. Der ganze Trick bestand darin, zur richtigen Zeit ungefähr die richtige Tonhöhe zu treffen. Ob man dabei singt, brummt oder summt, ist dem Spiel egal. Nicht so bei „Guitar Hero“: Wer einen Song in der Schwierigkeitsstufe Schwer oder gar Experte bestehen will, sollte sein verspieltes Instrument gut beherrschen. Wichtig ist ein schnelles Umgreifen (es gibt fünf Tasten, aber nur vier Finger liegen auf dem Gitarrenhals) – und sich bei schweren Passagen nicht zu verkrampfen,da einen sonst bald die Energie verlässt und man frühzeitig resigniert. Fingerfertigkeit ist ohnehin eine Grundvoraussetzung.

„Guitar Hero“ war ein Verkaufserfolg undwurde bereits ein Jahr später mit einem Nachfolger bedacht. Zu jedem neuen Teil der Serie wurden auch neue Gitarren angeboten. Diese unterschieden sich zwar in den meisten Fällen nur optisch von ihren Vorgängern, dennoch war die Begeisterung so groß, dass die Plastikinstrumente eine Zeit lang fast ebenso attraktiv wie die Spiele selbst waren. Immerhin konnte man ja auch zu zweit spielen: einer an der Gitarre, der andere am Bass. Nach nur zwei Jahren war der Markt für Musikspiele dermaßen gewachsen, dass bald Platz für zwei sich konkurrierende Spielserien war. So erschien 2007 das erste „Rock Band“ mit einem Konzept, das das imitierte Gitarrespielen auf das nächste Level hob. Nun sollte eine ganze Band simuliert werden. So wurden zusätzlich zu Gitarren auch riesige Computerspiel-Drumsets verkauft, und das Prinzip von „Singstar“ floss naturgemäß ebenfalls in das Spiel ein. Bei „Rock Band 3“ gab es später sogar Unterstützung für Keyboards, und dieses Spielzubehör konnte auch als ernsthaftes Instrument für Computer benützt werden.

Ende der 2000er-Jahre waren Musikspiele so schnell so groß geworden, dass die logische Folge ein Zusammenbruch war – der schließlich auch kam. Der Markt war überschwemmt mit den immer gleichen „Guitar Hero“- und „Rock Band“-Spielen, sodass auch das Inkludieren immer neuer Songs – mittlerweile natürlich schon längst original lizensiert – nichts mehr am schnellen Untergang der Musikspiele ändern konnte. „Warum lernst du nicht, wirklich Gitarre zu spielen?“ war einer der gängigen Vorwürfe, die man sich als leidenschaftlicher Computerspielrockstar anhören musste. So absurd dieser Vergleich grundsätzlich ist, weil ja ein Spiel nichts mit dem Erlernen eines Instruments zu tun hat, mussten die vielen Plastikgitarren irgendwann dennoch hinter ihren Vorbildern zurückstehen. 2011, ein Jahr nachdem Abflauen des Musikspielbooms, erschiender erste Teil von „Rocksmith“, einem Spiel, das mit einer echten E-Gitarre spielbar war und das – trotz spielerischer Elemente – tatsächlich dafür geeignet war, das Instrument zu erlernen.

Nach 2010 folgten für die Hersteller der davor populären Musikspiele die Jahre der Neuausrichtung. Harmonix, Spielentwickler aus Cambridge, der Anfang der 2000er-Jahre mit innovativen Musikspielen für Aufmerksamkeit gesorgt, die ersten „Guitar Hero“- und die „Rock Band“-Spiele verantwortet hatte, schwenkte auf Tanzspiele um. „Dance Central“, bei dem die Xbox-Bewegungssteuerung Kinect die eigenen Bewegungen misst und bewertet, war zwar eine durchaus gelungene Spielserie, besaß aber nicht den Glamour einer Wohnzimmerband, bestehend aus Familienmitgliedern und Freunden, die sich vorstellen, sie spielten gerade im Wembley Stadium vor 80.000 Leuten.

Performance im Wohnzimmer

Etwas Zeit musste vergehen, um neue Kraft zu tanken, und nach fünf Jahren ist es nun so weit: Vor Kurzem hat Harmonix offiziell bestätigt, dass tatsächlich an einem neuen Teil von „Rock Band“ gearbeitet werde. Die Reaktion von Presse und Fans war erfreut, zum Teil euphorisch. Immerhin stehen viele alte Plastikinstrumente seit Jahren unbenützt im Keller. Dann und wann beschleicht einen der Gedanke, dass es toll wäre, am Sonntagnachmittag nicht bloß Tee zu trinken und zu fernsehen, sondern ein paar schweißtreibende Songs zu performen.

Genaue Details zu „Rock Band 4“ sind noch nicht bekannt, fest steht jedoch, dass – bis auf die Keyboards – das gesamte Zubehör von damals verwendbar sein wird. Auch soll der vollständige Backkatalog an Songs – viele wurden erst nachträglich online für die damaligen Spiele veröffentlicht – zugänglich gemacht werden. Das bedeutet, dass bei der Rückkehr des virtuellen Rockstarlebens aus über 2000 Songs gewählt werden kann. Erscheinungstermin gibt es noch keinen, doch es wird versichert, dass das neue „Rock Band“ noch heuer für die aktuellen Spielkonsolen auf dem Markt sein wird. Zeit, die Schweiß- und Haarbänder herauszukramen und eine zünftige Teufelskralle zu üben. 2015 ist das Jahr, in dem der Plastikgitarrenwahnsinn in unsere Wohnzimmer zurückkehrt! ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2015)

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