Treffer: Was liegt da in der Eisenbahn?

Abends 7 gestorben. – Eine halbe Stunde vorher hatte ich ihm geschrieben.“ Eine lapidare Notiz im Tagebuch. Der Schriftsteller trauert wortkarg. Einer seiner Freunde, ein gutes Stück jünger als er, ist tot.

Die beiden haben sich in einer illustren Herrenrunde kennengelernt, die der Literatur neue Wege eröffnen möchte. „Wissen, Klarheit, und, wie es scheint, auch echte Künstlerschaft“ attestiert der ältere der beiden dem damals erst 17-jährigen Dichter. Man trifft einander ziemlich regelmäßig und tauscht sich übers Schreiben aus. Das Machtverhältnis scheint klar: Der aufstrebende Autor wird von seinem viel erfahreneren und anfangs erfolgreicheren Freund liebevoll begleitet und doch auf Distanz gehalten. Gefühle der Zuneigung und Wertschätzung bleiben trotz mancher Trübungen über Jahre bestehen. Umso schmerzlicher für den umjubelten Bühnenautor, dass das frühere Junggenie den Roman, der 1908 erscheint und an dem sein Herz hängt, nicht anerkennt. Als ihn dieser auch noch bittet, ihm ein zweites Exemplar davon zukommen zu lassen, weil er das erste „halb zufällig, halb absichtlich in der Eisenbahn“ habe liegen lassen, reagiert er ungehalten. Die Kränkungen schmerzen.

Die Zahl der Treffen nimmt ab. Doch man begegnet einander immer noch freundschaftlich und beobachtet das Tun des jeweils anderen mit kritischem Wohlwollen. Umjubelte Stücke und Libretti, dazu Erzählungen, Essays und Gedichte: Beide Künstler sind inzwischen weit über Wien hinaus berühmt. Die wirklich innige, unbelastete Nähe zwischen den beiden will sich nicht mehr recht einstellen. Bis ihnen das Schicksal Erlebnisse zuspielt, die sie neu verbinden. Im Juli 1928 bringt sich die Tochter des damals 66-jährigen Autors in Venedig um. Knappe zwölf Monate danach steht sein jüngerer Kollege vor der Leiche seines Sohnes, der sich erschossen hat. Als er zum Begräbnis aufbricht, ereilt ihn ein Schlaganfall, an dem er stirbt.

Der Kondolenzbrief des Freundes hat ihn nicht mehr erreicht. Dieser wiederum hat zu jenem Zeitpunkt genaue Anweisungen für den Fall seines Todes gegeben: „Herzstich! Keine Kränze! Keine Parte!“ Gut drei Jahre später ist er tot. Ein Gehirnschlag, auch bei ihm. ■


Wer traf wen? Welcher Roman führte zu einer Entfremdung der beiden Schriftsteller? Wer waren die anderen Mitglieder
des literarischen Kreises?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2015)

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