Aufstieg der Indies

Unabhängig entwickelte Computerspiele stellen persönliche Expression und ungewöhnliche Ideen statt schnöden Mammons in den Vordergrund. In Berlin werden diese Woche die Indie-Games gefeiert, auch eine Filmdokumentation ist erschienen.

Das Paradebeispiel, wenn es darum geht, die Essenz eines unabhängig entwickelten Computerspiels zu zeigen, nennt sich „Johann Sebastian Joust“ ein sogenanntes Indie-Game. Man braucht dafür leuchtende Playstation-Controller, die Bewegungen messen. Doch man spielt nicht vor einem Bildschirm sitzend. Stattdessen schleichen mehrere Menschen im Raum nebeneinander umher. Das Ziel ist es, dass der eigene Controller nicht „bricht“, sprich, dass er einer zu schnellen Bewegung ausgesetzt wird. Nun geht es darum, die anderen Spielerinnen und Spieler zu stören, indem man sie leicht stößt oder so aus der Ruhe bringt, dass sie sich zu schnell bewegen. Das Spiel hat seinen ungewöhnlichen Namen daher, weil dazu die Musik von Bach erklingt und man sich ein bisschen wie bei einem mittelalterlichen Lanzenturnier bewegt („to joust“ bedeutet im Turnier kämpfen).

Bereits seit rund fünf Jahren sind Spiele abseits des Mainstreams konstant am Wachsen und auch als Wirtschaftsfaktor nicht zu unterschätzen. Spielekonsumenten mögen zwar Altbekanntes in aktuellen Variationen – zumeist Autorennen, grafisch aufwendige Action-Games sowie Sportspiele –, doch auch tatsächliche Innovationen erreichenbei guter technischer Umsetzung ein Millionenpublikum. Bewiesen hat das allen voran das aus Schweden stammende „Minecraft“, ein virtueller, lebender Lego-Baukasten, das keine nennenswerten Grenzen bei dem, was erschaffen werden kann, kennt. Auch unkonventionelle Tanzspiele, bei denen zwei Spieler mit einem Smartphone bestimmte Posen ausführen müssen, oder diverse Geschicklichkeitsgames für das Tablet, bei denen man achtgeben muss, seine Finger nicht zu verknoten, erfreuen sich vermehrter Aufmerksamkeit.

Intuitive Spiele gemeinsam an einem Ort zu spielen, statt sich über das Netz stundenlang in komplexen Taktikgames zu verlieren, bei denen oft der Ehrgeiz den Spielspaß raubt – das ist eines der markantesten Merkmale von Indie-Games.

Bereits zum vierten Mal trifft sich die internationale Indie-Games-Gemeinschaft diese Woche beim Amaze Berlin Festival (Teil der International Games Week Berlin), bei dem Computerspiele zelebriert werden, die den persönlichen und künstlerischen Ausdruck in den Vordergrund stellen. Das Medium Spiel steht mit seiner jungen Geschichte von rund 40 Jahren am Anfang. Da Games aber schnell kommerziell erfolgreich wurden, wurde die kreativ-künstlerische Entwicklung gebremst. Erst Mitte bis Ende der 2000er-Jahre sind digitale Spiele, die nicht von großen Verlagen mitgestaltet und vertrieben werden, stärker in die Öffentlichkeit gerückt. Das hat einerseits mit den verbesserten technischen Gestaltungsbedingungen zu tun und andererseits damit, dass das Medium sich mehr und mehr öffnet und Experimente zulässt.

Computerspiele bestehen naturgemäß nicht nur aus einem Strang, sondern sind eine vielfältige Kulturform – ähnlich dem Film, bei dem es ebenfalls vermessen wäre, alle Strömungen, Genres, Regisseure und Produktionsbedingungen unter einen Hut bringen zu wollen. Da bei Indie-Games Neudenken und Hinterfragen wichtig ist, kann der ständige Wechsel dabei als eine Konstante angesehen werden – obwohl es auch im Bereich der unabhängig entwickelten Games Traditionen gibt, wie etwa das in Retro-Pixelgrafik präsentierte „Jump'n'Run“-Spiel, das stets in neuen Variationen auftaucht. Immer öfter finden Indie-Spiele außerhalb von Computer und Bildschirm statt. Neben „Johann Sebastian Joust“ wurde bei Amaze Berlin 2014 etwa „Choosatron“ vorgestellt, ein simples Textabenteuerspiel, dessen Ergebnis man anschließend auf einem Kassazettel ausgedruckt bekommt.

Doch so verspielt und einfallsreich die Indies auch sind: Von Naivität und Weltfremdheit ist wenig zu spüren. Neben Vorträgen zu Gamedesign und Gesprächen über die Inspiration beim Spieleentwickeln gibt es bei Festivals wie dem Amaze Berlin immer Workshops zu technischen Themen, und auch den Austausch mit Vertriebsfirmen verweigert man nicht. Konzerne und Marken wie Playstation oder Xbox wissen, dass ihre Kundschaft sich heute nicht mehr nur mit den neuesten Games-Blockbustern zufriedengeben, sondern nach Abwechslung suchen – Abwechslung, die die großen Entwicklerstudios aufgrund ihrer teilweise unflexiblen Struktur oft nicht liefern können.

Indie-Games-Macher unterscheiden sich oft auch äußerlich von ihren kommerziell orientierten Counterparts. Sie tragen Bart, bunte Haare, schmale schwarze Jeans, Sneakers und auffällige Brillen statt Anzug und Kostüm und kümmern sich wenig um ein klassisches professionelles Auftreten.

Wenn schlaue Hipster Spiele machen

Authentizität und Ehrlichkeit, aber auch Herzlichkeit und Offenheit sind zentrale Merkmale der Spiele-Indies. Das zeigt sich nicht nur bei Festivals wie dem Amaze Berlin, sondern auch in der neuen Doku „Game Loading: Rise of the Indies“ der australischen Filmemacher Lester François und Anna Brady, die viele bekannte Gesichter der Szene zeigt und einmal mehr versucht, das Wesen der unabhängigen Spielemacher einzufangen.

Bereits vor drei Jahren hat das der kanadische Film „Indie Game: The Movie“ von James Swirsky und Lisanne Pajot versucht, der allerdings eine andere Herangehensweise hat: Hier werden ausgewählte Gestalterinnen und Gestalter porträtiert und begleitet, wodurch man einen intimeren Einblick in die individuellen Denk- und Arbeitsweisen bekommt. „Game Loading“ hingegen bietet einen breiteren Überblick und zeigt die Dynamik und die beeindruckende Größe, zu der es die gegen den Strich gebürsteten Kreativen Mitte der 2010er-Jahre gebracht haben.

Böse Zungen könnten behaupten, dass die Indie-Games-Kultur letztlich auch nur eine Marke ist, ein Label, das eine bestimmte Zielgruppe vor Augen hat und mit seiner Andersartigkeit punkten will. Das ist zwar nicht ganz falsch, dennoch nur ein kleiner Teil des Ganzen. Die individuellen Zugänge der Indies haben Tiefe und bereiten oft Inhalte und Themen für den Mainstream vor, die dieser später aufgreift. So wie jede lebendige Underground-Bewegung wagtauch die Indie-Games-Szene vor allen anderen Experimente und lässt sich nicht von potenziellen Verkaufszahlen und Markttrends leiten. Wer an sein Werk glaubt und es gut umsetzt, wird später ohnehin keine Probleme damit haben, Menschen dafür zu interessieren. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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