Spritzen statt schießen

First-Person-Actiongames, hierzulande besser bekannt als Egoshooter, haben nicht den besten Ruf. Die auf bunte und bemerkenswert unterhaltsame Spiele spezialisierte Firma Nintendo setzt in Sachen Shooter nun auf Tinte statt auf Projektile.

Sie verkaufen sich millionenfach und waren gleichzeitig jahrelang Synonym für eine gesellschaftlich negative Wahrnehmung von Computerspielen. Militäractionspiele, die den Spieler in die Rolle eines Soldaten schlüpfen lassen und ihn in Dutzende Schlachten schicken, üben eine ungebrochene Faszination aus. Die populären Spieleserien „Call of Duty“ und „Battlefield“ bekommen laufend neue Teile spendiert, und auch Science-Fiction-Geschichten der Marke „Halo“ oder „Destiny“ verkaufen sich blendend. Trotz der guten Verkäufe gibt es weiterhin viele Menschen, die nicht immer mit einer martialischen Waffe vor der Nase durch virtuelle Welten laufen und Krieg spielen wollen. Dennoch ist jedes Shootercomputerspiel im Grund ein aufwendig inszeniertes Fangspiel, ein Prinzip, das lang erprobt und für die meisten von uns attraktiv und unterhaltsam ist.

In jüngster Zeit wird deshalb immer öfter versucht, die militärischen Komponenten der Shooter zurückzufahren und harmlosere, buntere Welten zu generieren. So treten etwa in „Plants vs. Zombies: Garden Warfare“ aus dem Jahr 2014 keine Soldaten in Tarnuniform gegeneinander an und pfeifen sich virtuelle Schüsse um die Ohren. Stattdessen beharken sich anthropomorphe Pflanzen mit behände laufenden Zombies mit kuriosen Waffen: Erbsen, Schallgewehren, Presslufthämmern oder Giftschleim.

Ende Mai legt nun auch Nintendo, der traditionellste und gleichzeitig jugenfreundlichste Videospielhersteller, sein eigenes Shooterspiel vor. Wie bei den Pflanzen und Zombies sind die Protagonisten auch hier keine gewöhnlichen Soldaten, denn bei „Splatoon“ treten Tintenfische gegeneinander an. Auch hier werden diese Wesen vermenschlicht, oder besser gesagt: Man kann ständig zwischen menschlicher und Tintenfischform wechseln. Das ist in diesem Spiel ein grundlegendes Prinzip, denn bei „Splatoon“ geht es nicht nur um schnöde Kills, also Punkte pro erledigtem Gegner. Ebenso zählt das Einfärben von möglichst viel Fläche im jeweiligen Level mit der eigenen Farbe. Hat das gegnerische Team die Farbe Orange und wir Violett, so ist das Ziel, möglichst schnell möglichst viel der Umgebung mit unserer Tinte vollzuspritzen. Mitten in unserer Farbe stehend, können wir uns von der menschlichen Figur zum Tier wandeln und glitschig durch den Schleim gleiten. Das dient einerseits dem Ausweichen vor gegnerischen Strahlen, andererseits erreicht man so rasch entlegene Gebiete, die man mit der eigenen Farbe noch nicht markiert hat.

Die gegnerische Farbe hingegen verlangsamt einen und zieht Energie ab. Freilich dient das Farbsprühen nicht nur dem Einfärben, es ist auch eine Waffe. Es ist das klassische Prinzip bei jedem Shooter: Je mehr man den Gegner unter Kontrolle hält und je weniger Zeit er hat, sich zu regenerieren und neu zu koordinieren, desto länger behält man die Oberhand.

Bereits vor 13 Jahren hat Nintendo bei seinem bekanntesten Maskottchen ein ähnliches Prinzip realisiert: Bei „Super Mario Sunshine“ trägt Mario eine riesige Spritzpistole als Rucksack, der dazu dient, Schleim und Schmutz, der sich mitsamt diversen Unholden über das Pilzkönigreich gelegt hat, mit enormem Druck wegzusprühen. „Super Mario Sunshine“ gilt weiterhin als Experiment innerhalb der „Mario“-Spielserie, die seit 30 Jahren besteht und unzählige Titel hervorgebracht hat. Üblicherweise hat der italienische Installateur nur temporäre Waffen, etwa die berühmte Feuerblume. Die Wasserpistole hingegen war eine Ausnahme, die bis heute vielen Spielern in Erinnerung geblieben ist.

Bei „Splatoon“, dem neuen Nintendo-Spritzspiel, gab es anfangs auch Skepsis. Selbst Shigeru Miyamoto, der legendäre Gamedesigner von Nintendo, der unter anderem „Donkey Kong“, „Super Mario“ und „The Legend of Zelda“ kreiert hat, war ursprünglich nicht davon überzeugt, dass das familienfreundliche Shooterspiel genügend Spaß mache und den hohen internen Anforderungen von Nintendo gerecht werde.Doch nach einigen Überarbeitungen und der Perfektionierung der Dynamik der Fortbewegung und des Farbeschießens ist mittlerweile auch er zufrieden. „Splatoon“ erlaubt schnelles Erlernen des Spielprinzips und lässt einen nach und nach besser werden, ohne dass man Gefahr läuft, von überlegenen Onlinespielern beschimpft oder gemaßregelt zu werden. Obwohl man hier so gut wie immer mit und gegen menschliche Spieler agiert, erlaubt „Splatoon“ keinen direkten Kontakt durch Text oder gesprochene Sprache. Über zehn Jahre mit wüstem Umgangston beim Spielen von Online-Shootern ließen die Erkenntnis reifen, dass es sinnvoller ist, die Kommunikation zwischen den Spielern auf ein Minimum zu beschränken. So kann man in „Splatoon“ nur bestimmte Kommunikationsgesten ausüben, etwa mit einem Tastendruck taktische Befehle wie „Stopp!“ oder „Zu mir!“ geben.

Keineswegs Kinderkram

Der ständige Wechsel der Form zwischen menschlicher Figur und Tintenfisch erweitert das eingeübte Shooterprinzip um eine neue Komponente, ebenso das ständige Changieren zwischen dem Einfärben des Levels mit der eigenen Farbe und dem Ausschalten der gegnerischen Figuren. Als Tintenfisch lässt es sich flink durch die Tinte gleiten. Einfärben und schießen kann man allerdings nur in humanoider Form.

Wie bei anderen Nintendo-Klassikern wie „Mario Kart“ oder „Super Smash Bros.“ könnte auch „Splatoon“ viele unterschiedliche Videospielgemeinschaften vereinen: die Gelegenheitsspieler und die eingefleischten Spieler, die Nintendo-Produktionen oft vorschnell als Kinderkram abqualifizieren, sich aber vom brillanten Design doch oft verführen lassen. Für Computerspielkultur liefert Nintendo – und alle anderen Entwickler, die nicht nur auf düstere Militärschlachten setzen – einen wertvollen Beitrag zur Vielfalt. Es ist ein weiterer Beweis dafür, dass nicht eine klischeehafte Inszenierung von Gewalt im Vordergrund steht, sondern gute Designideen und ein geselliger Wettbewerb die Elemente sind, die digitale Spiele so besonders machen. Shooterspiele – egal, ob man sie aus der ersten oder der dritten Perspektive spielt – sind eine klassische Gattung, deren Darstellung sich nicht in düsteren Militär-und Endzeitepen erschöpfen muss. Ob mit „Splatoon“ der Anfang zu einem weiteren Nintendo-Klassiker gelegt wird, wird sich ab dem 29.Mai zeigen, wenn das Spiel exklusiv für Wii U auf den Markt kommt. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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