Treffer: California vs. Leopoldstadt

Keine erfreuliche Begegnung. Dochlassen wir erst anklopfen. Brentwood Park, Los Angeles. An die Haustür des alten Komponisten pocht ein Student aus Concord, Kalifornien, und begehrt Unterricht. Gut, als erste Hausaufgabe erhält er: die Komposition eines kurzen Klavierstücks.

Eine Woche später spielt er dem Alten – dieser kommt aus Wien, musste vor den Nazis flüchten – sein Stückerl vor. Keine erfreuliche Begegnung. „Okay“, sagtder Wiener, „okay, aber warum springen Sie von dieser Note zu jener? Man muss einen Grund dafür haben.“ Darauf der Schüler: „Es klingt gut, ist das nicht einguter Grund?“ Da kennt er den Wiener aber schlecht. „Das ist keine Antwort!“,beginnt dieser zu brüllen. „Nein – das ist überhaupt kein Grund!“

Als der Student nun fragt: „Warumsollten Sie den Weg diktieren, wie man von einer Note zur anderen fortschreiten darf?“, faucht der Wiener zurück: „Weil ich mehr über Musik weiß als jeder andere Mensch in der Welt! Sie können jede Seite all dieser Beethoven-Symphonien aufschlagen, und ich werde Ihnen jede Note erklären können. Das ist der Grund, warum ich Ihnen sagen kann, was Sie tun sollen.“

Und das war's dann schon. Dies war bereits die letzte Unterrichtsstunde deskalifornischen Studenten bei dem Wiener Meister. Dabei hatte ihn, den Studenten, „Pierrot lunaire“ dermaßen beeindruckt! Das Problem war nur, dass er mit dem „System“ des Wieners nichts anfangen konnte. „Das war mir“, so bestätigte erspäter, nun selbst hochbetagt, in Zeitungsinterviews, „das war mir alles zustrikt und repressiv. Ich wollte Raum für meine eigenen Fantasien haben und kein Sklave einer in Gesetzestafeln gemeißelten Klangvorschrift sein.“

Richtig berühmt ist der Kalifornier in den Fünfziger-, Sechzigerjahren geworden, als Mann am Klavier mit kleinen Ensembles. Wir sagen nur: Mr. Take five, Fünfvierteltakt. Mehr sagen wir nicht. Nurso viel noch: Unser Mann experimentierte die meiste Zeit mit Taktarten – „Blue Rondo à la Turk“ (Neunachteltakt). Angefangen hatten diese Experimente bereits auf der Farm seiner Eltern, wo er versuchte, Musik zu den ungeraden Rhythmen zu machen, die von den unterschiedlichsten landwirtschaftlichen Maschinen erzeugt wurden. ■


Wer traf wen? Von welchem System
ist die Rede? Einige Werke des Wieners?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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