Treffer: Und einmal nur so dasitzen

Vive l'Empereur!“ Schön, aber die Schlacht war verloren. Früh, ganzfrüh an diesem Septembertag verließ der Kaiser, in Generalsuniform, die Stadt im offenen Wagen, fünf Adjutanten im Gepäck. Am Stadttor riefendie wachhabenden Zuaven noch: „Vive l'Empereur!“ Es war das letzte Mal, dass er in seiner Heimat so gegrüßt wurde. Zweck der Fahrt war die Kapitulationsverhandlung mit dem gewichtigen Kontrahenten, dem Kanzler „von drüben“. Der kam dem kaiserlichen Wagen zu Ross entgegen. In einem Weiler nahe der Grenze trafen die beiden aufeinander, der „aufsteigende Stern“ und die um sieben Jahre ältere „untergehende Sonne“.

Der Kanzler, schlichte Uniform, ungeputztes Schuhwerk, stieg ab und ließ sein Pferd, den großen Braunen, laufen. Er trat an den Wagen heran. Als er sah, dass der Kaiser das Käppi zog, tat er desgleichen. Der Kaiser schlug vor, in einem nahen Bauernhaus zu verhandeln. Um ins Hinterzimmer im oberen Stockwerk zu gelangen, mussten die beiden durch dasSchlafzimmer der Bäuerin, die eben aufgestanden war. Die beiden Männer sprachen kaum eine Viertelstunde miteinander; dann stürmte der Kanzler die Treppe hinunter, schwang sich aufs Pferd und ritt in sein nahes Quartier zurück.

Die Bäuerin fragte den Kaiser, ob sie etwas für ihn tun könne. Ohne den Kopf zu heben, bat er sie, die Fensterläden zu schließen. Eine Stunde lang saß er so da, dick und sehr grau. Dann ging er in den Garten, wanderte, die weiß behandschuhten Hände auf dem Rücken, zwischen denBeeten und rauchte eine Zigarette nach der andern. Sein merkwürdiger Gang fiel der Hausfrau auf: „Er hinkte leicht, watschelte halb seitwärts, mit vorgereckterlinker Schulter.“

Gegen neun kam der Kanzler zurück; er hatte gefrühstückt, trug Galauniform. Das Haus wollte er nicht wieder betreten, es war ihm zu schmutzig. Er war und bliebeisern. Deshalb wurden nun zwei Stühle vor die Haustür gestellt. Ein Trupp Kürassiere umzingelte das Gebäude. Der diensthabende Offizier ließ zwei Mann absitzen,hinter dem Stuhl des Kaisers Aufstellung nehmen und den Säbel präsentieren. Der Kaiser war gefangen genommen. Bald warer kein Kaiser mehr. Zwei Jahre späterstarb er an den Folgen einer Blasenstein-Operation. ■


Wer traf wen? In welchem Land starb der Verlierer? Wie endete die politische Laufbahn des Siegers?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2015)

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