Treffer: Dessen Leib du begehrst

Wer ist der Mann? Was will er? Er kehrt unter fremdem Namen ein, und als die Nacht anbricht, tritt er, den Hut ergebenst in der Hand, zu dem verehrungswürdigen Herrn ins Zimmer. Wer er sei? Der Besucher gibt sich zu erkennen, als der andere schon „Weiche fern hinweg!“ ausruft und hinzusetzt: „Dein Odem ist Pest und deine Nähe Verderben!“ Darauf der Gast: „Hochwürdiger Herr, setzt Euch und hört mich an; unter den Engeln, deren Psalmen Ihr aufschreibt, seid Ihr nicht sicherer als bei mir.“ Was er wolle? Der Gast – er ist Rosshändler – erwidert: „EureMeinung von mir, dass ich ein ungerechter Mann sei, widerlegen!“

Nun schweigt der Hochwürdige. Die trotzige Stellung, die der seltsame Mann, sein Besucher, im Staat einnimmt, verdrießt ihn. Was er, der Gast, denn von dem Tribunal zu Dresden verlange? Der Rosshändler antwortet: „Bestrafung des Junkers, den Gesetzen gemäß; Wiederherstellung der Pferde in den vorigen Stand; Ersatz des Schadens.“

Der Hochwürdige verspricht, er wolle mit dem Kurfürsten seinethalben in Unterhandlung treten. Dann steht er auf und macht Anstalt, den Besucher zu entlassen. Dieser hat freilich noch eine letzte Bitte: ob der „hochwürdigste Herr“ die Gewogenheit haben wolle, seine Beichte zu empfangen und ihm die Wohltat des heiligen Sakraments zu erteilen? „Ja, das will ich tun! Der Herr aber, dessen Leib du begehrst, vergab seinem Feind.“

Am anderen Morgen erlässt der hohe Herr zu Wittenberg ein Sendschreiben an den Kurfürsten von Sachsen, worin er diesem, mit der Freimütigkeit, die ihm zu eigen ist, eröffnet, dass nichts anderes zu tun übrig sei, als den Vorschlag des Rosshändlers anzunehmen und ihm zur Erneuerung seines Prozesses Amnestie zu gewähren. Die öffentliche Meinung, bemerkt er, sei auf eine höchst gefährliche Weise auf dieses Mannes Seite.

Tatsächlich vermag er eine Amnestie zu erwirken. Am Ende aber fällt das Hauptdes Amnestierten – er lebte im 16. Jahrhundert „an den Ufern der Havel“ – unter dem Beil des Scharfrichters. Zu Beginn der Geschichte, einer Erzählung „Aus einer alten Chronik“, ist er als „einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“ vorgestellt worden. „Das Rechtsgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.“ ■


Wer traf wen? In welcher Erzählung wird die Begegnung beschrieben?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.