Treffer: Fremder Herr, keine Labnis

Immer diese Störenfriede. Rücken an, wenn er gerade am Schreiben ist, lassen sich nicht einfach am Gartenzaun abspeisen, drängen auf die Begegnung mit dem Dichter und stellen lästige Fragen. Da kann man ärgerlich werden. So geschehen an jenem Sommertag, da sich der Autor in seinen Roman und zu seinem Helden Jakob zurückgezogen hat. Als seine Magd einen fremden Herrn meldet, wird er wütend. „Was ist das, ein fremder Herr?“, herrscht er sie an. „Fremde Herren gibt's genug, was gehen mich fremde Herren an?“ Doch da steht der Ankömmling schon in der Türe. Ein untersetzter Mann mit blondem Bart, hoher Stirn und norddeutschem Akzent. Er schwitzt heftig, das Wandern ist er nicht gewohnt. Er möge halt in Gottes Namen für einen Moment Platz nehmen, so wird er hereingebeten.

Die Unterhaltung entwickelt sich schleppend. Der Norddeutsche blüht erst auf, als er das Klavier entdeckt. Ist er etwa Musiker? Doch derlei Fragen möchte der Hausherr gar nicht erst aussprechen. Es drängt ihn zurück zu seinem Buch, das das Schicksal der Bauern zur Zeit der Industrialisierung thematisiert. Entsprechend erleichtert ist er, als der Besucher wieder abzieht: Bis Mürzzuschlag ist es ein weiter Weg für einen wie ihn, der seine Tage am liebsten vor seinen Notenblättern verbringt. Er verschwindet gerade in den Wäldern, als die Frau des Schriftstellers hereinstürmt. Ob ihr Gatte den Gast nicht erkannt habe? Eine Visitenkarte, die dieser auf dem Tisch hinterließ, hat das Rätsel seiner Identität enthüllt: Es ist ebenjener Komponist, den man hier im Haus so sehr bewundert.

Ein Wehklagen beginnt. „Ohne ein Dankeswort, ohne einen Tropfen Labnis habe ich ihn gehen lassen, nicht ahnend, dass ein Mann über die Schwelle meiner Hütte getreten, dessen Name nach hundert Jahren noch klingen wird in deutschen Landen.“ Soll ihm der Autor nun nachlaufen? Er schämt sich – und zögert. Und der solcherart rehabilitierte Gast? Wundert sich über den Auftritt des von ihm verehrten Künstlerkollegen und setzt seinen Aufenthalt in Mürzzuschlag fort, dem er so viel Inspiration verdankt. Als ihn der Dichter ein paar Tage später in seinem Feriendomizil aufsucht, ist es für eine Entschuldigung zu spät: Der Hamburger ist soeben abgereist. ■


Wer traf wen? An welchem Roman arbei-tete der Autor gerade? Welche Werke des Komponisten verdanken sich der steirischen Bergluft?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2016)

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