Treffer: Wann es zu schweigen gilt

Da sitzt er also, in einem Kinosaal im bretonischen Vannes, und duckt sich unter der Last der Bilder, die auf ihn einstürmen. Man hat die gesamte Schule zu einer Dokumentation abbeordert, die ein ehemaliger Zögling des Gymnasiums gedreht hat: einer der ersten Filme über die Konzentrationslager der Nazis. Der deutsche Schüler – der einzige in der Runde – ist verstört, als die Lichter im Saal wieder angehen und ihn seine Freunde entsetzt anstarren: als würde er das Regime vertreten, von dessen Gräuel sie gerade erfahren haben.

Fortan begleiten ihn der Film und der Name des Bretonen, der ihm die Geschichte des Holocaust auf die Schultern geladen hat. Etliche Jahre später schafft er selbst den Sprung auf die Pariser Filmhochschule. Während des Studiums bemüht er sich, praktische Erfahrungen am Set zu sammeln. Es gelingt ihm, bei einer Produktion des von ihm so bewunderten Regisseurs anzuheuern. Die Crew trifft sich in Bayern, weil es schwierig ist, am eigentlichen Schauplatz des Streifens zu drehen: Der Eiserne Vorhang ist Anfang der 1960er-Jahre noch recht dicht.

Der ambitionierte Deutsche ist gespannt – endlich würde er seinem Idol näher rücken. Doch seine Erwartungen sind wohl zu hoch. Der Künstler, dem er schon so lange hinterherjagt, entpuppt sich als hagerer, unzugänglicher Mann, der sich gemessenen Schrittes geheimnisvoll durch die Tage bewegt. Ja mehr noch: Er sieht nicht nur aus wie ein Säulenheiliger, er benimmt sich auch so. Er verfolgt die Mission, dem Medium Film ungewohnt-neue Möglichkeiten zuzuspielen: Wirklichkeit und Traum, Gegenwart und Erinnerungen sollen sich fortan eng durchdringen.

Die langsamen Dreharbeiten entsprechen so gar nicht dem Temperament seines Regieassistenten, der sich zudem erlaubt, Kritik an der Vorgangsweise des Meisters anzubringen. Ein strenger Blick, und es ist klar: Fortan gilt es zu schweigen. Dass er in jenen Wochen bei der Entstehung eines Schlüsselwerks der Nouvelle Vague dabei gewesen ist, erkennt der deutsche Künstler erst viel später. Da ist er selbst ein gefeierter Regisseur, bekannt für seine Literaturverfilmungen. Kein Zufall, dass er sich darin oft mit der Politik Deutschlands auseinandersetzt: ein Weg, den ihm sein berühmter Kollege in einem Kino in Vannes eröffnet hat. ■


Wer traf wen? Um welchen Film handelte
es sich? Wer schrieb das Drehbuch?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2016)

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