Was sagt der Trend?

174.000 Besucher, 1021 Aussteller aus 50 Nationen und mehr als 1200 neue Gesellschaftsspiele: Die „Spiel“ in Essen kann ihre Position als weltweit größte Besuchermesse für nicht digitale Spiele mit einem spürbaren Plus halten – allein: Ein eindeutiger Spieletrend ist nicht erkennbar.

Für vier Tage richteten sich erneut alle Blicke der Branche auf die beschauliche Stadt im Ruhrgebiet. Und Essen hält wacker stand, auch wenn die Veranstaltung aus allen Nähten platzt. Wer die Internationalen Spieletage – so der offizielle Titel der Messe – zum ersten Mal besucht, wundert sich vor allem über die Masse an Besuchern und Besucherinnen. Um der Menschentraube vor den Kassen Herr zu werden, öffnete der Veranstalter die Hallen bereits vor dem eigentlichen Beginn. Das Wachstum zum Vorjahr war deutlich spür- und sichtbar. Wie üblich stürmten besonders Motivierte sofort und zielgerichtet durch die Hallen, um Spielemit niedriger Auflage oder Messe-Give-awayszu ergattern.

Dieses Bild irritiert immer wieder aufs Neue, hält aber nur die ersten Messeminuten an. Bisweilen wurde es aber auch tagsüber ungemütlich eng auf den Gängen. Der nötige und bevorstehende Um- und Ausbau der Messe Essen wird in den kommenden Jahren hoffentlich Entspannung bringen. Drei zusätzliche Hallen schafften zwar den nötigen Platz für neu hinzugekommene Aussteller, aber die Wirkung schien zu verpuffen. Trotzdem ist die Branche klein geblieben. Viele bekannte Gesichter tummeln sich auf den Gängen – Verleger, Spieleautoren und Illustratoren tauschen sich intensiv untereinander und mit den Endkunden aus. Und alle Jahre wieder drängt sich in den Gesprächen die obligatorische Doppelfrage auf: „Was sind die Trends – was muss ich spielen?“

Die Antwort fällt diesmal nicht eindeutig aus. Bereits in den vergangenen Jahren wurde es immer schwieriger, zeitnah einen Trend auszumachen, schließlich wollen die Neuheiten erst ausgiebig und in Ruhe gespielt werden. Was die Spielwelt nachhaltig bewegen wird, lässt sich also erst in einigen Monaten sagen, schließlich wird in der Vorweihnachtszeit nicht nur der Großteil des Jahresumsatzes gemacht, sondern auch viel gespielt. Kurzfristig lassen sich trotzdem einige spannende Beobachtungen anstellen.

Am präsentesten waren vermutlich die Escape Games. Ursprünglich ein Trend aus dem urbanen Kontext, bei dem eine Gruppe von Personen versucht, aus einem Raum zu entkommen. Dazu müssen unter Zeitdruck zahlreiche Rätsel gelöst werden; nicht jeder Versuch ist von Erfolg gekrönt, denn auch kognitive Teamarbeit muss erst gelernt werden.

Gleich drei Verlage versuchen nun, dieses Erlebnis in relativ kompakte Schachteln zu packen. In der tatsächlichen Rätselzusammensetzung unterschiedlich gewichtet, aber durch die Bank anspruchsvoll präsentieren sich die auch im Namen variierenden Spiele: Zu drei verschiedenen Themen gibt es „Exit – Das Spiel“ (Kosmos), „Escape the Room: Das Geheimnis der Sternwarte“ (Thinkfun) bietet eine durchgehende Geschichte, und „Escape Room – Das Spiel (Noris)“ packt einen sogenannten Chrono-Decoder in die Box. Ein etwas klobiger Plastikkasten, der neben einem Zeitmesser auch Hilfsmittel für Rätsel beinhaltet.

Wurde in den vergangenen Jahren noch regelmäßig die Verschmelzung digitaler Technologien – primär dank Smartphone und Tablet – mit analogen Spielen prophezeit, ist es ziemlich schnell verdächtig leise geworden. Weniges hat spielerisch funktioniert, und noch weniger wurde vom Endkunden angenommen. Die hohen Entwicklungskosten der digitalen Komponenten machen die Verlage vorsichtig. Neben edukativen Anwendungen und Kinderspielen halten sich nur sehr spezielle Titel für eine klar definierte Zielgruppe.

Titel wie „X-Com“, „Leaders“ oder „Die Alchemisten“ richten sich an Vielspieler. Von selbigen heiß ersehnt, aber nicht erhältlich war „First Martians: Adventures on the Red Planet“ des Polen Ignacy Trzewiczek. Das kooperative Spiel rund um die Besiedelung des Roten Planeten gibt den Verwaltungsaufwand an eine App ab, lässt die eigentlichen Aktionen und das Material aber in Spielerhand.

Hätte es das Spiel auf die Messe geschafft, wäre es der vierte Titel zu dem Themagewesen. Wahrscheinlich ein Zufall. Nachdem die Antike und Piraten bereits ausgiebig abgegrast worden sind – und nach wie vor werden –, war es vermutlich eher eine Frage der Zeit, bis auch spielerisch der Aufbruch zu den Sternen erfolgt. Zumal es bis vor Kurzem noch das ungeschriebene Gesetz gegeben hat, zumindest als europäische Spieleverlag tunlichst die Finger vom Weltraumthema zu lassen. Vielleicht sind aber auch Marsexpeditionen und Filme wie „The Martian“ verantwortlich dafür, dass Weltraum nun mehr sein kann als bloß schnelle Raumschiffe und laute Explosionen.

Fokus auf Martin Luther

Klar programmiert war hingegen der thematische Fokus auf Martin Luther. 2017 markiert das 500-Jahr-Jubiläum des Thesenanschlags zu Wittenberg, und so finden sich neben obligatorischen Quizspielen auchspielerisch durchaus anspruchsvolle Auseinandersetzungen mit dem Thema („Luther – Das Spiel“ bei Kosmos) oder mit der Epoche („Mea Culpa“ bei Zoch). An Österreich wird dieses kurze Aufflackern wohl relativ unbeachtet vorbeigehen.

Themenübergreifend fiel auf, wie bereitwillig auch hochpreisige Spiele gekauft wurden. 60 bis 100 Euro für ein opulent ausgestattetes Spiel mit reichlich Plastikminiaturen sind keine Seltenheit. In diesem Jahr fanden sich überraschend auch einige Spiele made in Germany, die mit wenig Plastik, aber dafür umso mehr Kartonplättchen und Holz am oberen Ende der Preisskala angesiedelt waren. Der tatsächliche Wert eines guten Gesellschaftsspiels lässt sich aber nicht so festmachen. Dividiert man die Kosten durch die Anzahl der Spieler und die Anzahl der gespielten Partien und vielleicht sogar die Dauer einer Partie, ergibt sich im Idealfall ein niedriger Satz pro Spaßeinheit.

Die Frage bezüglich Trends ist also so eine Sache und wurde dieses Jahr meist mit Schulterzucken beantwortet. Und die spielenswerten Hits der Messe? Neben typischen Vielspielerperlen wie „Terraforming Mars“, „Great Western Trail“ oder „Scythe“ tauchten immer wieder ganz unspektakuläre Titel auf: Das sympathisch bunte „Kingdomino“, das verspielt variable „Fabelsaft“ oder das liebevoll umgesetzte Gartenbauspiel „Cottage Garden“ zeigen, wie vielschichtig das Medium sein kann. Es ist unmöglich geworden, mit dem Finger auf ein Spiel oder einen Trend der Messe zu zeigen. Gut so. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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