Treffer: Es wird regnen, und du bist tot

Die eine war sehr blond, die andere um fünf Jahre älter. „Abgeschminkt, barfuß, was sie ein wenig gedrungen erscheinen ließ, hatte sie das Gesicht und den Gang der schönsten Bäuerinnen der Ile de France.“

So hat die Ältere, die Französin von Nummer 20, in ihren „Ungeteilten Erinnerungen“ die blonde Kollegin von Nummer 21 beschrieben. Ganze vier Monate lebten die beiden – Französin und Amerikanerin – in enger Nachbarschaft: Sie wohnten in den Bungalows 20 und 21 eines Hotel der glitzernden Filmstadt, denndie beiden kamen vom Film.

Dieses amerikanische Platinblond! Jeden Samstagmorgen erschien eine Spezialistin im Bungalow Nummer 21, eineweise alte Frau, die bereits Jean Harlow die Haare gebleicht hatte, wie sie behauptete, und machte sich mit ihren Wasserstoffsuperoxyd-Flaschen an die Arbeit des Blondierens – mühsam genug, vor allem am Haaransatz. Gleich zu Beginn ihrer Nachbarschaft hatte die Blondine dies ihrer französischen Kollegin erläutert. So wiesie ihr auch gesagt hatte: „Alle glauben, ich hätte schöne lange Beine, ich habeX-Beine, und sie sind recht kurz.“ In dem Morgenrock aus dem Kaufhaus um die Ecke – blaue Kunstseide mit weißen Punkten – stimmte das auch beinahe. Ganz anders aber, wenn sie sich in den Vamp verwandelte, als den die Welt sie kannte und begehrte. Sie brauchte dafür, alles in allem, drei Stunden – wenn die Französin sich recht erinnert.

Wenn man der Platinblondine genau zuhörte, hatte sie kaum angenehme Erinnerungen an ihren Beruf. Ja, überhaupt schien sie eine Arbeit zu verrichten, die sie nicht liebte. Sie liebte sie nicht, denn in ihrem Leben hatte es viele Leute gegeben, die ihr einhämmerten, sie sei alles andere als eine Schauspielerin; ohne sie sei sie unfähig, den Satz „Es wird regnen“ mit der richtigen Betonierung, Betonung, Benotung auszusprechen (ganz nervöskann man werden). Und sie hattediesen Leuten stets geglaubt.

Für ihren „Weg nach oben“ hat diefranzösische Diva in jenen Monaten der guten Nachbarschaft den allerrenommiertesten Filmpreis erhalten. Ihre blonde Kollegin von Nummer 21 war zu dieser Zeit mit Dreharbeiten für einen Liebesfilm, was sonst!, beschäftigt; ihr Filmpartner hieß Yves Montand. – Zwei Jahre später, im Alter von 36, war sie tot. ■


Wer traf wen? Von welchem Liebesfilm
ist die Rede?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.