Am Ende haben die Christen doch recht

1284 hat der spanische König Alfons X., genannt „der Weise“, sein „Buch der Spiele“ fertiggestellt, in dem er erstmals islamische, jüdische und christliche Spieltraditionen zusammenfasste. Jetzt ist eine neue Übersetzung erschienen.

Nein, dass Alfons X. ein wirklich erfolgreicher König gewesen wäre, kann man beim besten Willen nicht behaupten. Geboren als Sohn Ferdinands, König von Kastilien, und der Hohenstaufferin Beatrix von Schwaben, hegte der Mann, der später eines der bedeutendsten Werke der Spielgeschichte verfassen sollte, Zeit seines Lebens Großmachtfantasien und Träume von der Krone des Heiligen Römischen Reiches.

Die zerfielen allerdings in einer Reihe politischer und militärischer Niederlagen nach und nach zu Staub: Bei der Wahl der Kurfürsten 1257 erhielt er gleich viele Stimmen wie sein Gegner Richard von Cornwall und damit den Titel eines deutschen Königs, konnte sich aber die Reise nach Deutschland nicht leisten und blieb in Spanien. Mangels einer starken Gefolgschaft im Reich blieb seine Herrschaft – parallel mit jener Cornwalls – eine symbolische, dieses Interregnum endete schließlich mir der Ernennung eines gewissen Rudolf I. von Habsburg zum deutschen König.

Zu dem Zeitpunkt hatte Alfons sein Herrschaftsgebiet – Kastilien und León, also den größten Teil der iberischen Halbinsel – bereits durch die systematische Verwässerung seiner Währung und darauf folgende Inflation ruiniert, das stauffische Erbe in Italien an Karl von Anjou verloren und Kriege mit praktisch all seinen Nachbarn angezettelt. Kurz gesagt, dürfte es politisch kein großer Verlust für die Kastilen gewesen sein, als Alfons 1282 von seinem eigenen Sohn mithilfe des spanischen Adels vom Thron geputscht wurde.

Das Vermächtnis Alfons' X. – und damit der Grund für diesen kleinen historischen Exkurs – liegt aber ohnehin eher im kulturellen Bereich. Denn Alfons, der sich schon zu Lebzeiten den Beinamen „El Sabio“, „der Weise“, verdiente, tat sich als großer Förderer der Künste und Wissenschaften hervor: Unter anderem gründete Alfons in Toledo eine Übersetzerschule, die den Weg für den Wissenstransfer aus der arabisch-jüdischen Welt ins christliche Europa ebnete. Dort wurde neben zahlreichen wissenschaftlichen Werken auch das Alte Testament ins Spanische übertragen. Überhaupt gilt Alfons heute als einer der Begründer der spanischen Nationalliteratur, weil er die Geschichte Spaniens erstmals vollständig aufzeichnen und öffentliche Urkunden in der Landessprache abfassen ließ – ein wichtiger Beitrag zur Sprachvereinheitlichung.

Zu den bedeutendsten Hinterlassenschaften Alfons' X. zählen aber mehrere Werke, die er an seinem Hof anfertigen ließ. Neben Siete Partidas, einer der wichtigsten Kodifikationen der Rechtsgeschichte, und den Cantigas de Santa Maria, einer Sammlung geistlicher Marienlieder, gehört dazu das Libro de los juegos, das „Buch der Spiele“.

Über die mehr als 30 Jahre, die Alfons als König von Kastilien und León amtierte, trugen seine Höflinge alles Wissen zusammen, das es im 13. Jahrhundert zum Thema Spiel zu finden gab – aus sämtlichen Kulturkreisen Europas, Nordafrikas, des Nahen Ostens und sogar aus dem fernen Asien. Das einzige erhaltene Exemplar des „Buchs der Spiele“ steht heute in der Bibliothek des spanischen Königspalastes von San Lorenzo de El Escorial; ein ledergebundenes handwerkliches Kleinod, dessen 150 farbige Illustrationen ebenso viel über die Spiele wie über die Spieler aussagen. Da lässt sich anhand der kleinen Bildchen etwa erkennen, dass an Alfons' Hof neben Europäern auch Schwarzafrikaner gespielt haben, Araber und sogar Mongolen, die hier zur kulturellen Vielfalt beigetragen haben.

Als erstes Buch der Serie „Ludographie – Spiel und Spiele“ haben mit Rainer Buland vom Salzburger Institut für Spieleforschung und Ulrich Schädler vom Schweizerischen Spielemuseum in La Tour-de-Peilz zwei ausgewiesene Experten für Spielkultur und -geschichte eine kommentierte Übersetzung des Buchs der Spiele aus dem Altspanischen ins Deutsche vorgelegt. Diese Unternehmung ist – erstmals übrigens – gelungen und seit einigen Tagen in Buchform erhältlich; ein Werk, das in keiner Bibliothek spielaffiner Hobbyhistoriker fehlen sollte.

Im Wesentlichen gliedert Alfons sein Buch der Spiele in fünf grobe Teile, die jeweils komplett übersetzt und wiedergegeben werden, bevor die Autoren – neben Schädler hat auch der (verstorbene) spanische Schachhistoriker Ricardo Calvo mitgearbeitet – historisch, anthropologisch und philosophisch fundiert kommentieren. Die Übersetzungen sind durch das ganze Werk in einer modernen deutschen Ausdrucksweise gelungen, sodass besonders die Spielanleitungen, verständlich und nachspielbar sind – und die machen immerhin einen großen Teil des Buches aus. Aufgelockert wird der Text durch zahlreiche Grafiken und aus den Illustrationen exzerpierte Schachproblemstellungen, die auch über die Jahrhunderte nichts an Aktualität eingebüßt haben. Insgesamt umfasst das „Buch der Spiele“ inklusive einer umfangreichen Einleitung der Autoren 322 Seiten. Dazu kommt noch ein extensives Literaturverzeichnis, das samt den Quellenangaben und Fußnoten im Werk die wissenschaftliche Methodik der Autoren unterstreicht.

Die ersten vier Teile in König Alfons' Werk sind den verbreitetsten Spieletypen im 13. Jahrhundert gewidmet: strategischen Spielen wie Schach, verschiedenen Würfelspielen, „Tricktrack“-Spielen, die diese beiden Typen mischen (wie etwa das heutige Backgammon) und mühleartigen Spielen, die ebenfalls eine Geschichte bis in die vorchristliche Zeit aufweisen können. Der weitaus größte Teil ist dabei das Buch vom Schach, das das Spiel nicht nur im Detail erklärt, sondern auch 103 Einzelstellungen diskutiert.

Sphärenschach und Tricktrack

Diese ersten Gruppen stehen bei Alfons für eine philosophische Diskussion über die Grundlagen der Herrschaftsphilosophie, erklärt Rainer Buland, Herausgeber des „Buchs der Spiele“: Die strategischen Spiele (Schach, Mühle und ihre Varianten) stehen für einen rigiden Regentschaftsstil, der davon ausgeht, dass alles in der Welt vorhersehbar ist. Die Würfelspiele, von Alfons übrigens nicht mit der negativen Punzierung versehen, die Glücksspiele generell hatten und haben, stehen hingegen für eine Weltsicht, in der der Zufall alles regiert. Und die „Tricktrack“-Spiele symbolisieren zuletzt den Mittelweg, der zwar von einer generellen Vorhersehbarkeit ausgeht – aber eben auch den Faktor Glück mit einbezieht. Den Höhepunkt – und Alfons' eindeutige philosophische Präferenz – findet das „Buch der Spiele“ aber in seinem fünften Kapitel. Dort beschreibt der König zwei „astrologische Spiele“, das Sphärenschach und Planeten-Tricktrack. Diese eher obskuren Spiele bezeichnen für Alfons den christlich-göttlich inspirierten Herrschaftsstil, erklärt Buland. Nach der umfangreichen Diskussion von Spielen aus unterschiedlichsten religiösen und kulturellen Hintergründen kommt er also zum Schluss, dass die Christen doch recht haben.

Fazit: Das Buch der Spiele Alfons' X. ist ein Muss für Liebhaber historischer Spielideen, die bereit sind, damit auf hoch wissenschaftlichem Niveau konfrontiert zu werden. Wer sich stattdessen etwas locker-lesbarerer mit der ludischen Vielfalt seit Anbeginn der Menschheit auseinandersetzen möchte, ist bei Ulrich Schädlers „Spiele der Welt“ besser aufgehoben. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2009)

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