Die Kamera in Barbies Busen

Spielwarenmesse in Nürnberg: Das klingt nach bunten Farben, lachenden Kindern und Lebkuchenherzen. Aber bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Eine Spielerei ist das Geschäft mit Spielwaren nicht.

Seit 1950 findet jährlich in der zweitgrößten Stadt Bayerns die größte Spielwarenmesse der Welt statt – kinderlos. Die primäre Zielgruppe der Branche ist, einmal abgesehen von Foto-Shootings mit neuen Produkten und alten Politikern, nirgends anzutreffen. Der Zugang ist Kindern und Jugendlichen schlicht und einfach nicht gestattet. Das mag auf den ersten Blick etwas befremdlich wirken, aber wer schon einmal als einer der rund 75.000 Besucher aus über hundert Ländern vor Ort von der schieren Masse an Produkten erschlagen wurde, wird sehr schnell erkennen, dass es hier ums Geschäft geht und nicht ums Spiel. Und das Geschäft scheint richtig gut zu gehen.

Seit die Finanz- und Wirtschaftskrise begonnen hat, wird der Spielwarenhandel einfach nicht müde zu betonen, dass die Umsätze wachsen. Teilweise sogar, und da wirken Experten auch etwas überrascht, richtig stark. Gespielt wird immer – und in der Krise scheinbar sogar noch mehr. Erklärungsmodelle hierfür beziehen sich meist auf ein geändertes Freizeitverhalten, das sich weg vom Outdoor-Event-Lifestyle und zurück in die eigenen vier Wände bewegt. Und bei den eigenen Kindern wird bekanntlich zuletzt gespart. Deutlich wird dies etwa auf dem Kinderbrettspielsektor. Immerhin zehn Prozent Wachstum klingen großartig und so gar nicht nach Geburtenrückgang und finanziellen Einschnitten. Bei genauerer Betrachtung muss allerdings vermutet werden, dass dieser hohe Wert durch den Einstieg des Branchenriesen Lego zustande gekommen ist. Das dänische Unternehmen präsentierte im Vorjahr zehn Bauspielkästen und katapultierte sich damit innerhalb eines Jahres auf Platz drei der Anbieter. Grund genug also, auch heuer wieder neue Spiele im Programm zu haben. Einen Blick auf diese Neuheiten zu werfen ist allerdings nicht ganz einfach; der Lego-Stand ist fast hermetisch abgeriegelt, und ohne Termin geht gar nichts. Man merkt: Die Sache ist kein Spiel.

Wobei das Unternehmen durchaus gut beraten ist, die Informationen möglichst abzuschirmen und zu koordinieren. Dank zahlreicher Rechtsstreitigkeiten in den vergangenen Jahren und entsprechender für Lego nicht unbedingt erfreulicher Urteile ist es für Produzenten mittlerweile möglich und legal, mit den Originalen kompatible Plastikbausteine zu erzeugen. So etwas schaut dann aus wie Lego, passt auch auf Lego – nur eben ohne den bekannten Schriftzug auf den kleinen Noppen. Es darf daher auch nicht verwundern, wenn sich die kleinen gelbköpfigen Figuren in leicht abgewandelter Form in allerlei bekannten und teilweise auch bizarren Szenerien wiederfinden. Vor allem der militärische Sektor hat es den Nachahmern angetan: Kriegsschiffe, Panzer, Helikopter und ganz viele kleine Plastiksoldaten mit Gewehren, in Glasvitrinen liebevoll martialisch arrangiert, erwecken eher den Eindruck einer kritischen künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema Kriegsspielzeug denn den eines echten Spielzeugs. So etwas ist auf der Messe die Norm und existiert nicht nur in den Hallen der chinesischen Anbieter.

Qualitativ offensichtlich mangelhafte Ware ist auf der Spielwarenmesse nur schwer zu finden. Die Klischees rund um giftiges Plastik, explodierende Püppchen und Kuscheltiere, deren Fell allergische Reaktionen der Haut hervorruft, greifen nicht mehr so ganz. Es finden sich zwar nach wie vor problemlos Billigproduzenten in allen Bereichen, aber immer mehr chinesische Unternehmen versuchen bei der Qualität aufzuholen. Spricht man dieses Thema beim Standpersonal an, wird kompetent und in sauberem Englisch informiert und immer wieder auf das „Seal of Excellence“ verwiesen. Diese von der Messeorganisation vergebene Auszeichnung hat aber nichts mit der Produktqualität zu tun, sondern kennzeichnet vielmehr, wie professionell sich das Unternehmen auf der Messe präsentiert.

Wesentlich interessanter sind da schon die „Toy Innovation Awards“ für besonders einfallsreiche Produkte. Aus den Einreichungen und den daraus resultierenden 23 Nominierungen werden Auszeichnungen in acht Kategorien vergeben. Die Betrachtung der Preisträger zeigt, dass es hauptsächlich die Großen der Branche sind und der Begriff „Innovation“ sehr unterschiedlich gedeutet werden kann. Zwei Preisträger etwa kombinieren neue – oder besser: mittlerweile leistbare – Technologien mit klassischem Spielzeug. Mattels Barbie Video Girl ist eine Barbie-Puppe mit Digicam in der Brust und dazu passendem Monitor im Rücken. Was sich fast schon unangenehm anhört und auch so aussieht, entspricht aber dem Zeitgeist der Generation iPod.

Lauschangriff im Kinderzimmer

Für einen ähnlichen, aber weniger bizarren Weg wurde Playmobil ausgezeichnet. Die „Agenten-Spielsets“ inklusive Kamera, Monitor und Bewegungssensor binden die Technologie thematisch schlüssiger ein als die blonde Puppe. Deutlich sympathischer als dieser Lauschangriff aufs Kinderzimmer wirken hingegen die Gewinner der Kategorien „Ökologie & Umweltbewusstsein“ und „Kreativität & Design“. Der Kosmos Verlag, vor allem bekannt durch seine Brettspiele und Experimentierkästen, bricht mit GEOLino Power House das Thema Energieversorgung auf eine kleine handliche Box herunter. Und HaPe International zeigt Baublöcke mit wunderbaren Motiven, die an Friedensreich Hundertwasser erinnern – gefertigt ausschließlich aus Bambus.

Es sind diese starken Kontraste, die die Spielwarenmesse in Nürnberg auszeichnen. Auf der einen Seite traditionelle Bereiche, wie etwa Holzspielzeug in einer wunderbar duftenden und gemütlichen Halle. Fast kommt man sich wie in einer Tischlerei vor. Oder die Modelleisenbahnbereiche mit ihren romantisch-naiven Heile-Welt-Landschaften. Hier wirkte es wirklich so, als wäre die Zeit stehen geblieben, wenn nicht hie und da ein Computer zur Steuerung der Gleisanlagen unter einem Tisch hervorschauen würde. Auf der anderen Seite Feuerwerkskörper, Faschingskostüme und Luftballons in unendlich vielen Farben und Formen. Die Menge des Angebots kann eine schwindelerregende Wirkung haben. Vor allem da es sich um Produkte handelt, denen keine lange Lebensdauer beschieden ist. Wegwerfspielzeug sozusagen. Und dazwischen immer wieder grimmig dreinschauende Actionfiguren, bunte Brettspiele und viele, viele Bücher. Ein Besuch auf der Spielwarenmesse in Nürnberg illustriert auf deutliche Weise, dass der Sektor Spielwaren einen gewaltigen Wirtschaftszweig darstellt, dessen Dimension nichts mit der eines Kinderzimmers zu tun hat. Oder um es mit den Worten der Veranstalter zu sagen: Kinder kennen eben keine Krise. Aber nachdem die ja auf der Messe nicht erlaubt sind, ist das mit den Spielsachen hier auch keine Spielerei. ■


Klemens Franz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Neue Medien der
FH Joanneum und arbeitet auch als Illustrator von Brettspielen (z. B. „Agricola“).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2010)

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