Wortspielereien

Witzelsücht.

Wissen Sie, was paradox ist? Dass man auch zu Ostern Western anschauen kann! So, wie man ja auch im Osten Westen tragen darf. Und um mich vor unfreundlichen Postern zu Ostern zu schützen, sage ich gleich jetzt, dass solche Scherze wohl zu Recht mit Auweh! quittiert werden. Samuel Johnson (1709–1784) hat ja schon Wortspiele als „die niedrigste Form des Humors“ bezeichnet.

Aber warum macht man dann als Bildungsmensch solche Witze? Meine Rechtfertigung als religiöser Charakter ist ein Satz des Satirikers Georg Henschel (mit dem wir wieder in der österlichen Begriffswelt angekommen sind): „Die Menschheit wird nicht erlöst werden, bevor nicht alle Wortspiele gemacht sind.“ Für einen eingefleischten Wortspieler ein schöner, geradezu ein tröstlicher Gedanke. Ich hoffe nur, dass Henschel es nicht so gemeint hat, dass die Menschheit darunter ächzt, dass derzeit immer noch unsägliche Wortspiele darauf warten, gemacht zu werden.

Aber zu meiner Bestürzung habe ich erfahren, dass es auch eine pathologische Erklärung gibt. Die Medizin spricht von Witzelsucht (in Amerika, wo man bei germanischen Zwielauten immer danebenhaut, auch von Witzelsücht, siehe z.B. den Aufsatz „Moria and Witzelsücht from Frontotemperal Dementia“ in der Zeitschrift „Neuropsychiatry and Clinical Neuroscience“ vom August 2005) und bezeichnet damit „eine seltene Gruppe neurologischer Symptome, charakterisiert durch des Patienten unkontrollierbare Neigung zu Wortspielen und dazu, unpassende Witze oder sinnlose Geschichten in unpassenden Momenten zu erzählen. Der Patient findet diese Äußerungen dennoch ausgesprochen amüsant“ (Wikipedia). Witzelsucht entstehe gewöhnlich durch Verletzungen des Vorderhirns, meist des präfrontalen Cortex.

Ich hoffe, schon diese Niederschrift ist ein erster Akt der Selbsttherapie. Und wenn ein Mensch Ihrer Umgebung das nächste Mal auf Ihr Wortspiel ein gedehntes „Hahaha!“ hören lässt, sagen Sie einfach: „Meine Liebe, ich kann nicht anders. Witzelsücht, du verstehst.“ mip

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2010)

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