Der Tod spielt mit

Das Sterben gehört zum Spielen fast genauso wie zum richtigen Leben. Nur dass Gevatter Tod uns dort manchmal Aug in Aug gegenübersteht. Eine kurze Geschichte des spielerischen Sterbens.

Der Sensenmann macht auch vor Spielern und Spielen nicht halt: Schon frühe Brettspiele wie Pachisi setzten sich mit dem Thema Tod und Wiedergeburt auseinander, beim Schach geht es sowieso um das „Töten“ fremder Figuren, und im Tarot ist der Knochenmann sogar Trumpf.

Bei Computer- und Videospielen ist es ähnlich: Das Sterben und der Akt des Tötens sind oft integraler Teil des Erlebnisses. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema findet – mit wenigen Ausnahmen – nur im Bereich der „Serious Games“ statt: in Spielen, die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Inhalte hinterfragen und nicht primär auf Spielspaß Wert legen.

Seinen Ursprung hat das Sterben in digitalen Spielen in den „Arcades“, den Spielautomatenhallen der 1970er- und 1980er-Jahre. Wobei hier aber nicht primär das Töten in der Tradition von Schießbuden im Fokus stand, sondern der Tod der eigenen Spielfigur als profane Einnahmequelle. Das Aushauchen eines virtuellen Lebens und der Wunsch des Weiterspielens machten das neuerliche Einwerfen einer Münze notwendig. Dieses Konzept des Sterbens und Wiederauflebens findet sich bis heute in allen Bereichen des digitalen Spiels. Heute geht es aber nicht mehr darum, dass die Spieleproduzenten durch oftmaliges „Sterben“ Geld verdienen, vielmehr hat sich der mögliche „Tod“ der Spielfigur zum spielerischen Grundvokabular entwickelt.

Verändert hat sich auch die Darstellung des Sterbens: Bedingt durch technische Restriktionen beschränkte sich diese in den 1970er-Jahren meist auf das bloße Blinken und Verschwinden der Spielfiguren. Mit zunehmenden technischen Möglichkeiten wurde die Darstellung sowohl verspielter als auch realistischer. Comichaft schweben Spielfiguren mit Engelsflügeln in Richtung des oberen Bildschirmrandes oder sterben theatralisch, indem sie sich einmal im Kreis drehen und mit überdrehten Augen kerzengerade umfallen. Allen voran schaffte es Anfang der 1980er und zu Beginn des Laserdisc-Zeitalters Don Bluth, einer der wichtigsten Trickfilmmacher abseits von Disney, durch die interaktiven Zeichentrickabenteuer Dragon's Lair und Space Ace slapstickartige Sterbeanimationen zu perfektionieren. Am anderen Ende der Skala sorgte 1992 das Kampfspiel Mortal Kombat durch blutig-realistische Todessequenzen für Aufregung. Was ältere Spieler als ironisierende Übertreibung verstanden haben wollten, zog Jugendliche in den Bann und kennzeichnet den Beginn der Diskussion um Gewalt in digitalen Spielen.

Eine gänzlich andere, aber eine der wohl bekanntesten Verbindungen des Themas Tod mit dem des Spiels findet sich in der Schachpartie in Ingmar Bergmans Meisterwerk Das siebente Siegel. Der Tod höchstpersönlich tritt gegen den Ritter Antonius Block an, um über dessen Schicksal zu entscheiden. In digitalen Spielen wird diese Figur aber im Gegensatz dazu meist comichaft überzeichnet. Actionspiele wie Death Jr. oder Maximo präsentieren den Sensenmann als agilen, wehrhaften und sogar steuerbaren Charakter. Humorloser präsentiert sich der Tod als immer wiederkehrender Endgegner der Castlevania-Serie des japanischen Publishers Konami. Kurz vor dem Spielende stellt er sich dem Spieler zum Kampf. Nur wer den Tod besiegt, darf sich dem eigentlichen Endgegner, Dracula, stellen.

All diese Beispiele machen deutlich, dass Sterben und Tod selten als ernsthaftes Thema interpretiert werden. Dies liegt am Unterhaltungsanspruch digitaler Medien und der daraus resultierenden – und gewollten – Unbeschwertheit. Was geschieht, wenn mit diesen Konventionen gebrochen wird, zeigt ein Spiel aus dem Jahr 1995. Der Aufschrei unter Spielern war groß, als Aeris (ein Charakter im Rollenspiel Final Fantasy 7 für die Playstation) plötzlich und unwiderruflich starb – etwas, das in japanischen Rollenspielen bis dahin nicht die Regel war. Lange hielten sich Gerüchte, es gäbe doch einen Weg, den Tod der Blumenverkäuferin, die den Spielern in der ersten Hälfte des Spiels ans Herz gewachsen war, zu verhindern. Seitens des Entwicklers Square wurden diese aber stets dementiert, und tatsächlich ist das Ableben der Spielfigur fixer Bestandteil der Geschichte. Aber gerade weil digitale Spiele interaktiv sind, wurde so etwas Endgültiges wie der Tod eines steuerbaren Charakters im Spiel so intensiv wahrgenommen.

Das schlechte Gewissen der Spieler

Ebenfalls aus Japan stammt eines der emotional beeindruckendsten Spiele der letzten Jahre: Shadow of the Colossus. Der Spieler versucht als junger Krieger, mehrere gigantische Kreaturen zu töten, um ein Mädchen zu retten. So weit nicht gerade innovativ, aber der erzählerische Kniff bei diesem Hinrichtungsstaffellauf ist, dass den Spieler das ganze Spiel über das schlechte Gewissen plagt, da die Kreaturen weder böse noch aggressiv dargestellt werden. Die Designer rund um Ueda Fumito reflektieren über das Töten im Spiel auf poetische Art: Das Kämpfen macht Spaß und fordert heraus; die Motivation für den Spieler ist klar. Das Töten ist im Gegensatz dazu für den Spielablauf unumgänglich, aber unbefriedigend.

Auf ähnlichen, im spielerischen Kontext widersprüchlichen Überlegungen bauen „Serious Games“ oft auf. Das vielleicht spannendste Werk mit dem Thema Tod ist The Graveyard von Auriea Harvey und Michaël Samyn. Die Belgier wollen ihr Werk weniger als Spiel als vielmehr als interaktives Gemälde verstanden wissen. In The Graveyard wird eine alte Frau mit Stock gesteuert, die sich mühsam vom Friedhofseingang zur einer Bank schleppt. Die Steuerung ist Spielern aus diversen Actionspielen bekannt, aber die unerwartete Trägheit und das langsame Vorwärtskommen erzeugen zu Beginn Verwirrung und schlussendlich bestürztes Verständnis, wie es sein könnte, wenn der (virtuelle) Körper nicht mehr so richtig mitspielt.

Wer jedoch die nötige Geduld aufbringt, wird einen interessanten Einblick in die Psyche der Spielfigur bekommen und am Ende des Spiels den Friedhof wieder verlassen. Die Demo-Version ist frei zugänglich, bietet aber gegenüber der Vollversion eine Einschränkung: Die alte Frau kann nicht sterben. Wer den Tod und damit den Abschluss des Spiels erleben will, muss dafür zahlen. Die Ebenen, auf denen sich The Graveyard deuten lässt, sind vielschichtig und weit entfernt von blinkenden Spielfiguren und gut gelaunten Sensenmännern. Wie im echten Leben scheint also auch im Spiel zu gelten, dass der Tod etwas sehr unterschiedlich Erlebtes sein kann. Nur, dass man im Spiel im Zweifelsfall einfach neu beginnen kann. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2010)

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