Pöppel voraus!

In einem Monat wird zum 33.Mal das „Spiel des Jahres“ ausgezeichnet. Heuer hat die Jury des wichtigsten Brettspielpreises der Welt einige Über- raschungen parat.

Der Kritikerpreis „Spiel des Jahres“ wurde 1979 das erste Mal vergeben. Damals bekam das pfiffige Rennspiel Hase und Igel den Zuschlag. Und in rund einem Monat wird zum 33. Mal bekannt gegeben, welches Spiel sich mit dem begehrten roten Pöppel – das ist der deutsche Begriff für einen roten Spielkegel – schmücken darf. Alles beim Alten also. Nicht ganz, denn erstmals gibt es neben dem „Spiel des Jahres“ und dem „Kinderspiel des Jahres“ mit einem blauen Pöppel einen dritten Hauptpreis: das „Kennerspiel des Jahres“ – dargestellt durch einen schicken Anthrazitpöppel.

Ziel des Vereins „Spiel des Jahres e.V.“, der eigentlich schon 1978 gegründet wurde, ist die Förderung des Kulturguts Spiel. Ende der Siebziger waren sich viele Spielende gar nicht bewusst, dass es abseits von Mühle, Schach und Mensch ärgere dich nicht noch mehr gab. An der Verankerung des Gesellschaftsspiels im öffentlichen Bewusstsein hat die Jury erfolgreich mitgearbeitet – und ganz nebenher die wohl bedeutendste Auszeichnung im deutschsprachigen Raum geschaffen. Vor allem aus wirtschaftlicher Sicht der Verlage: Erstens ist die Wirkung auch über die Grenzen des deutschsprachigen Raums und des Kontinents spürbar – Lizenzausgaben und -gebühren inklusive.

Zweitens ist der Pöppel auf der Schachtel ein Garant für eine Auflage, von der Brettspiele normalerweise nur träumen können – immer wieder wird vom Faktor zehn gesprochen. Das bedeutet für Verlage eine spürbare finanzielle Konstante – auch wenn die Preise für ein Spiel des Jahres in den ersten Monaten nach der Bekanntgabe fallen. Das ist die Schattenseite: Weil Händler mit guten Abverkäufen rechnen können, wird der Gewinn über die Menge gemacht. Eine Preisbindung wie beim Buch existiert nicht. Dieser Schönheitsfehler mindert den Wert des Preises aber nicht: Viele Familien kaufen sich jährlich, meist um die Weihnachtszeit, genau ein Spiel: das Spiel des Jahres.

Bereits in den Wochen vor der heurigen Bekanntgabe der Nominierungen ging ein Raunen durch die Spieleszene: Angeblich tat sich etwas bei der Jury. Bedingt durch personelle Änderungen war fast so etwas wie ein frisches Lüftchen spürbar. Keine Revolution, eher eine Nachjustierung. So wurde nicht nur die Anzahl der Nominierungen von fünf auf drei reduziert, auch über einen neuen Preis wurde laut nachgedacht.

Vorboten gab es bereits 2010: Die Literaturverspielung zu Ken Folletts „Die Tore der Welt“ des Autorenduos Rieneck und Stadler erhielt den Sonderpreis „Spiel des Jahres plus“. Mitte April ließ Jurysprecher Bernhard Löhlein die Katze aus dem Sack: Der neue Preis würde „Kennerspiel des Jahres“ heißen und sich an Menschen richten, die schon länger spielen, aber keine Vielspieler sind. Die Kritik der Vielspieler ließ nicht lange auf sich warten und bezog sich primär auf die Konkurrenz zu anderen Vielspieler-Preisen.

Dann geschah, womit niemand gerechnet hatte: Die Jury konkurriert weder mit dem „Deutschen Spiele Preis“ noch mit dem österreichischen „Spiel der Spiele“. Das Spektrum potenzieller Preisträger hat sich bei genauer Betrachtung gar nicht geändert. Vielmehr wurde der bisherige Pool an potenziellen Preisträgern in zwei Bereiche aufgeteilt.

Das hat tatsächlich Sinn. Reiht man die Preisträger der vergangenen Jahrzehnte aneinander, so ist eine klare Linie die Komplexität betreffend nicht erkennbar. Ausgezeichnet wurden sowohl sehr leicht zugängliche Spiele, wie etwa im Vorjahr das Fabulierspiel Dixit, als auch anspruchsvollere Titel. Was dann aber in der Praxis geschah, war Folgendes: Die einfachen Spiele wurden und werden nach wie vor gespielt; die komplexeren verstauben nach dem Auspacken und einem ersten Regelstudium im Schrank. Daran ist das 1995 erschienene Die Siedler von Catan nicht ganz unschuldig. Nach dessen Auszeichnung erhielten viele zu komplexe Spiele den Preis.

Für das Spiel des Jahres nominiert sind drei Spiele. Asara ist ein klassisches Brettspiel deutscher Schule, bei dem ein gewitzter Kartenmechanismus verschiedene Aktionen steuert. Die Spieler versuchen dabei, möglichst viele und möglichst hohe Türme zu bauen. Zweiter nominierter Titel ist Quirkle. In dem abstrakten Legespiel dreht sich alles darum, möglichst viele Steine punkteträchtig unterzubringen – entweder in Zeilen und Spalten gleicher Farbe oder gleicher Form. Der Aufforderungscharakter ist dank Holzmaterials hoch und der Knobelfaktor im positiven Sinne massentauglich. Die Verbotene Insel, als dritter Kandidat, ist eigentlich nur eine schlanke Version des bereits 2007 nominierten Spiels Pandemie. Durch Teamarbeit und geschickten Einsatz individueller Fähigkeiten der Spielfiguren versuchen die Spieler, auf einer langsam untergehenden Insel verschiedene Artefakte (und am Spielende auch sich selbst) zu retten.

Lieblingsspiel „7 Wonders“

Auf der Kennerliste finden sich weniger innovative Spiele, vielmehr die handwerklich sauber komponierten Werke Strasbourg und Lancaster. Und dann natürlich noch 7 Wonders. Seit der Messe in Essen vorigen Herbst hat sich das Spiel um die Erschaffung der sieben Weltwunder gleichermaßen zum Liebling von Viel- und Gelegenheitsspielern entwickelt. Einfache Regeln, ein schönes (antikes) Thema und viele fein dosierte Entscheidungen zeichnen das Spiel des französischen Autors Antoine Bauza aus. Im Grunde wählt jeder in seinem Spielzug lediglich eine Karte aus der eigenen Hand, legt sie ans eigene Tableau an und gibt alle übrigen Karten an den Spielnachbarn weiter. Drafting nennt sich so etwas. Eigentlich ganz einfach. Zum Kennerspiel wird 7 Wonders vermutlich, weil doch verschiedene Informationen auf den Karten untergebracht sind und sich die Abrechnung zum Spielende knifflig gestaltet.

Daneben gibt es noch drei Nominierungen für das Kinderspiel des Jahres sowie verschiedene Empfehlungslisten. Letztere stellen einen bunten Querschnitt dar. Genannt werden innovative Titel wie etwa Freeze, bei dem die Spieler zu Improvisationsschauspielern werden, oder die Wettpuzzelei Mondo.Aber auch komplexere Titel wie etwa Die Burgen von Burgund finden ihren Platz auf der Empfehlungsliste.

Die Jury hat geschickt verstanden, im ersten Jahr des neuen Preises mit 7 Wondersdas wohl präsenteste Spiel dieses Jahrgangs zu nominieren. Der dadurch entstandene Rückenwind durch die Spieleszene kann hoffentlich genutzt werden. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass 7 Wonders nicht gewinnen sollte, hat die Jury vermutlich einen Notfallplan. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2011)

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