Römerkultur in schlichten Holzhütten

In Zwentendorf rekonstruieren Archäologen das Leben »gewöhnlicher« Menschen.

Mit freiem Auge sieht man gar nichts. Nur flaches Land und Felder. Doch unter dem Boden beim niederösterreichischen Ort Zwentendorf schlummert ein wissenschaftlicher Schatz: Um ein römisches Kastell herum haben Forscher des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) einen sieben Hektar großen „Vicus“, ein Lagerdorf gefunden. Und zwar, ohne dass sie zum Spaten gegriffen haben – sondern nur durch geophysikalischen Methoden. Parallel wurden alle Gegenstände auf der Oberfläche eingesammelt: Das waren mehr als 10.000 Fundstücke.

„In Österreich wurde das in dieser Form noch nie gemacht“, berichtet Stefan Groh, Leiter des Bereichs Zentraleuropäische Archäologie des ÖAI. Daraus ließ sich nun genau nachvollziehen, was wann wo geschehen ist – und wie die Bevölkerung vor 1800 Jahren gelebt hat: Der Großteil der Menschen lebte in einfachen Hütten mit zehn bis 15Quadratmetern Fläche – diese waren rund einen Meter eingetieft, auf einem Steinfundament erhob sich eine Holzkonstruktion. „Das widerspricht dem Bild, das wir von den Römern haben: dass sie wie in Städten wie etwa Carnuntum alle in Steinhäusern gelebt haben“, merkt Groh an.

Dennoch kamen die zivilisatorischen Errungenschaften der Römer allen Menschen zugute. Gefunden wurden Amphoren mit importiertem Wein oder Olivenöl genauso wie Tafelgeschirr aus der teuren Terra Sigillata. „Die römische Kultur war allgegenwärtig, auch in der letzten Hütte.“ Genauso, wie es heute selbst im hintersten Waldviertler Dorf Coca-Cola gibt.

Überraschend war für die Forscher die Siedlungsstruktur: Der Vicus war in streifenförmigen Parzellen organisiert, die Hütten standen jeweils an der Straße, dahinter waren Gärten und Felder. Also ähnlich wie heute in einem typischen burgenländischen Straßendorf. Diese Struktur ist, wie man vermutet, eine in ganz Ostnoricum verbreitete regionaltypische Variante der römischen Kultur.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.01.2012)

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