„Gib meinem Hängen einen Sinn!“

Wie bitte? Wer spricht da? Was sagst du, meine Liebe, zu dem dir sogleich zitierten Imperativ – wobei ich dich fürs Erste bitte, dass du ihn zu lokalisieren trachtest: GIB MEINEM HÄNGEN EINEN SINN!

Was sagst du, meine Liebe, zu dem dir sogleich zitierten Imperativ – wobei ich dich fürs Erste bitte, dass du ihn zu lokalisieren trachtest: GIB MEINEM HÄNGEN EINEN SINN!

Ich sage zuallererst aber lieber, was mir zu seinem Wortlaut einfällt. in meinen Ohren klingt da der Sinnspruch GIB DEINEM LEBEN EINEN SINN! deutlich mit, weil dem nachgeformt worden. und den hat sich wohl ein Amateurpsychologe, Spezialgebiet ,Sinnvolles Leben‘, ausgedacht, mir vielleicht als ein Buchtitel bekannt. oder hat sich das gemeinverständliche Motto GIB DEINEM LEBEN EINEN SINN! eher ein Repräsentant der Koch- und Köchinnenphilosophie aufdämmern lassen? jedenfalls einer, zu dem eines nicht gedrungen ist: dass der sogenannte Sinn des Lebens sich einem jeden von selbst zu erschließen hat, keinesfalls mit einem Willensakt zu erzwingen ist: siehe die Verszeile eines Stefan George, die vor lauter Verkrampfung wie beschädigte Gelenkekracht: Wir geloben, glücklich zu sein!

Also ich helfe dir weiter: die Aufforderung oder Bitte GIB MEINEM HÄNGEN EINEN SINN! ist nicht zu Füßen eines Gekreuzigten angebracht worden. wäre dem aber so, käme ein gläubiger Christ gut damit zurecht. würde sich etwa sagen: Auferstanden bist du, was dich aber nicht hindert, bis ans Ende der Zeit am Kreuz zu hängen – auch damit wir uns die, dir in den Mund gelegten Worte etwa so deuten: Ja, dein Hängen am Kreuz bestärke uns in dem Glauben, dass du für uns alle einen Liebestod gestorben bist und dass wir uns dessen würdig zu erweisen haben, mit dem Bemühen, bessere Menschen zu werden.

Sag mir, mein Lieber – möchtest du mich mit diesen Weitschweifigkeiten einem Glauben gewinnen, der dir fehlt?

Wollte nur eines noch sagen: GIB UNSEREM HÄNGEN EINEN SINN!, das könnte auch, du verzeihst!, der ins Unscharfe vergrößerten Fotografie, sodann in einem kroatischen Rathaus angebracht, in großen Lettern beigegeben sein, die sich in der Sammlung meines jung aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrten Großvaters befunden hat: da baumeln, eines jeden Kopf wie am Kreuz geneigt,in einer langen Reihe an Obstbäumen alsDeserteure, als nationalistische Verräter aufgehängte Freiheitskämpfer – Und ihr, unsere Nachfahren, habt die euch von uns erkämpfte Freiheit jederzeit zu verteidigen, damit wir nicht umsonst hingerichtet worden sind!

Jetzt, mein Lieber, solltest du es aber mit diesen weit hergeholten Spekulationen genug sein lassen. und nun sage ich dir, wo du den Sinnspruch GIB MEINEM HÄNGEN EINEN SINN! entdeckt hast: ineiner Modeauslage!

Wie bitte?

Ja, so pragmatisch denkt eine Frau, der Spintisierereien fernliegen! an einem sündteuren Kleid angebracht, damit eine modebewusst Hingetretene dafür sorgt, dass es vom Haken genommen, von ihr anprobiert gekauft wird, hat ja erst getragen seinen Sinn gefunden. na?

Eine sehr gute Antwort, fast richtig! wer da aber GIB MEINEM HÄNGEN EINENSINN! ungeniert kundtut, der hat sich, bitte, mit der Existenzphilosophie eines MartinHeidegger abgegeben, und wäre er sich nichtzu blöd, sich noch philosophischer auszudrücken: GIB DEM SO-SEIN MEINES HÄNGENS EINEN TIEFEREN ODER HÖHEREN SINN! – so spricht, du verzeihst!, beispielsweise auf der Hohen Warte von geistig hoher Warte aus einer der orangeroten Abfallbehälter zu uns, und sollte sich die von ihm verinnerlichte Empfehlung an unsere Hände ein Echt-Kreativer im Dienst der Gemeinde Wien, MA 48, in dichterischer Entrücktheit ersonnen haben!

Das muss ich mit eigenen Augen gesehen haben!

Aber geh – was ist denn schon dieses doch wohl witzig gemeinte Sich-Aufblähen eines Nachfahren der Abfallkörbe im Vergleich zu der altösterreichischen Höflichkeit, mit der uns ein, einem dieser orangeroten Objekte unsichtbar Beigegebener, wiedermittels Gmoa-Wien-Aufklebers dazu autorisiert, auf dem Fleischmarkt das ans Herz legt:SCHAU NET WEG, HAU EINI DEIN DRECK!

Sage mir –

GIB MEINEM HÄNGEN EINEN SINN!, davon darf sich doch wohl ein schlichtes Gemüt ausersehen und berufen sehen, ungeniert seiner Blasenentleerung nachzukommen. aber wer hat denn schon, den begnadeten Mundartdichter zufriedenzustellen,Dreck bei sich! ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2012)

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