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„Vieles wird zerstört, was wir in den vergangenen Jahren aufgebaut haben: nämlich ein Teil von Europa zu sein.“ Rumänien im Kulturkampf: ein Lokalaugenschein in Bukarest.

Das Sonderheft „Die 300 reichsten Rumänen“ wurde von der Wirtschaftszeitschrift „Capital“bei einem Galaabend im Palais „Cesianu-Racovita“ präsentiert. Gleichzeitig lud das Kunstunternehmen „Artmark“ zu einer Preview ein. Gezeigt wurden „Großmeister der rumänischen Malerei“. Es geht ums Geld, um Kunst als Anlage in einem der ärmsten Länder Europas. Es gibt sie noch in Bukarest, die prachtvollen Paläste, zumeist erbaut in der Regierungszeit von König Carol I., der Bukarest seit der Mitte des 19. Jahrhunderts den architektonischen Glanz verdankt, orientiert an Wien und Paris. Majestät, mit vollem Namen Karl Eitel Friedrich Zephyrinus Ludwig von Hohenzollern-Sigmaringen, kam aus Bayern. Das renovierte Palais Cesianu-Racovita erstrahlt längst wieder in der Pracht vergangener Zeiten, doch viele ehemaligePrachtbauten sind dem Verfall preisgegeben. „Das heutige Bukarest werden wir in 30 Jahren nur mehr auf Postkarten wiedererkennen können“, meint der rumänische Historiker und Universitätsprofessor Andrei Pippidi in „22“, der Zeitschrift der „Gruppe für sozialen Dialog“.

Auf den Straßen, in den Parkanlagen und vor Kircheneingängen sieht man häufig alte Menschen, notdürftig zugedeckt, denen junge Leute ab und zu Sandwichreste zuwerfen, die von den Armen gierig verspeist werden. „Jugendliche haben keinen Respekt mehr vor den Alten. Das ist vorbei“, meint ein Taxifahrer. Pensionisten dürfen kostenlos öffentliche Verkehrsmittel benutzen, aberwohin sollen sie schon fahren, ihre Wohnungen können sie sich nicht mehr leisten. Großer Reichtum und unendliche Armut treffen in dieser interessanten, aber lauten und chaotischen Stadt voller Gegensätze zusammen. Eine Stadt, die modern und archaisch zugleich wirkt.

Auf der „Lipscani“, der Leipziger Straße, in der bereits im 16. Jahrhundert Händler verschiedener ethnischer Gruppen zusammenkamen, feiern die Jugendlichen. Die schicken Restaurants und Cafés im historischen Zentrum der Stadt sind abends voll. Bei Tageslicht sieht man, dass das „Schicke“ nur bis zum ersten Stock reicht, die oberen Geschosse wurden nicht renoviert.

Alljährlich im Herbst findet in Bukarest das Nationale Theaterfestival (NTF) statt. Heuer hat die künstlerische Leiterin, Alice Georgescu, das Motto ausgegeben: „Yes we will!“ Denn eigentlich hätte es nicht stattfinden können: Durch drastische Budgetkürzungen vonseiten der Stadt und des Kulturministeriums und durch den Ausfall vieler Sponsoren schien das Festival noch 14 Tage vor Beginn auf der Kippe zu stehen. Also wurde die Zahl der eingeladenen Produktionen reduziert, die Vielfalt eingeschränkt, der Komfort für die Zuschauer ein wenig herabgesetzt. Auch das noch im Umbau befindliche Nationaltheater wurde bespielt. Über Baustellen erreichte man die bereits halb fertigen, ungeheizten Theatersäle. Die Vorstellungen in rumänischer, ungarischer und deutscher Sprache (jeweils mit Übertiteln in Englisch) waren ausverkauft. Jugendliche saßen dicht gedrängt auf den Stufen des Zuschauerraumes (eine feuerpolizeiliche Horrorvision!).

Im Mittelpunkt des Festivals stand, neben August Strindberg, der ebenfalls vor 100 Jahren verstorbene Ion Luca Caragiale, Säulenheiliger des rumänischen Theaters. Caragiale, dessen Konterfei auf rumänischen Briefmarken und Banknoten zu finden ist, kritisierte in seinen Komödien die Spießigkeit und Verlogenheit der Bourgeoisie, aber auch die der einfachen Leute auf dem Land. Selbst von Intrigen verfolgt, verließ er seine Heimat 1904 in Richtung Berlin, wo er 1912 starb. Eine Auswahl seiner typischen Komödienfiguren stehtals riesiges Denkmal, in Bronze gegossen, vor dem Nationaltheater. Abends klettern Jugendliche auf das Dichtermonument und schwingen die rumänische Fahne. Unten skandiert ein kleines Häuflein von Demonstranten ihre Unzufriedenheit mit dem Präsidenten.

„Unser Land wird von einer Ansammlung von Gaunern regiert“, meint Regisseur Andrei Serban in der rumänischen Zeitschrift „22“. Serban ist eine Ikone des rumänischen Theaters mit jahrzehntelanger Erfahrung als Regisseur und Lehrer in Europa und den USA. Seine Inszenierung von Massenets Oper „Werther“ steht auch heute noch auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper. Rumänien durchlebe jetzt eine sehr schwierige Zeit, was die Kultur des Landes betrifft. Es geht um Kunst, Literatur, Theater, Film und Städtebau. Was will man erhalten und fördern? Wie soll rumänische Kultur im Ausland präsentiert werden? Als nationales Erbe, das von nationalistischen Politikern ausgesucht und bestimmt wird – oder eingebunden in die europäische Kulturszene, die sich die „Besten aus dem Osten“ wünschtund diese etwa durch Aufträge, Übersetzungen von Büchern, Einladungen oder Preise auch fördert.

„Ein tiefer Riss geht durch die rumänische Gesellschaft. Ein Riss zwischen West und Ost, zwischen rechts und links, zwischen Alt und Neu und zwischen den Generationen“, meint der rumänische Intellektuelle Thomas Kleininger. Im Mittelpunkt dieses aggressiven Kulturkampfes mit heftigen Polemiken und Schimpfkanonaden steht das „Institutul Cultural Roman“, stehen besser gesagt die rumänischen Kulturinstitute in ganz Europa. Sie wurden bald nach der Revolution geschaffen, um die Kultur des Landes im Ausland zu verbreiten. Ähnlich organisiert wie das Goethe-Institut und das British Council. Mit diesen neuen Instituten wollte man auch die kommunistische Kulturpropaganda vertreiben, die jahrzehntelang Westeuropa überschwemmt hat.

Die rumänischen Kulturinstitute konnten in den vergangenen Jahren große Erfolge erzielen. Ab und zu gab es einen kleinen Skandal, etwa als ein rumänischer Künstler in New York ein rosiges Pony mit einem Hakenkreuz auf dem Hintern ausstellte. Aber die Bilanz der Institute war positiv. Es kam zur Zusammenarbeit mit westlichen Verlagen und der Präsentation von Autoren wie Mircea Cartarescu, Eginald Schlattner, Dan Lungu oder Florin Lazarescu. Ob mit oder ohne Unterstützung der Kulturinstitute: Rumäniens Kulturszene wurde im Westen Europas durch hervorragende Künstler bekannt, etwa durch Filmregisseure wie CristianMungiu und Cristi Puiu, die internationale Filmpreise gewannen.

„Die Kulturinstitute im Ausland haben bisher eine westlich orientierte Kulturpolitik betrieben. Sie haben auf den Markt geschaut und im Westen angeboten, was man sich im Westen an rumänischer Kultur gewünscht hat“, so Thomas Kleininger. „Es wurden zeitgenössische Autoren übersetzt, die von westlichen Verlagen ausgewählt wurden, und nicht wie bisher Geld ausgegeben für Schriftsteller, die in Rumänien die besseren Beziehungen hatten. Es war eine Veränderung der bisherigen Kulturpolitik mit sehr positiver Resonanz im übrigen Europa.“ Ion Caramitru, Direktor des Nationaltheaters in Bukarest und ehemaliger Kulturminister: „Rumänien wurde wieder von Europa akzeptiert, was lange Zeit nicht der Fall war. Wir repräsentieren das Lateinische an der äußersten Grenze Europas. Wir gehören zu Europa. Das ist fantastisch!“

Seit Juli 2012 droht nun alles ganz anders zu werden. Der rumänische Ministerpräsident Victor Ponta von den Sozialdemokraten (PDS) ist zwar mit seinem Versuch, Präsident Traian Basescu zu stürzen, gescheitert, doch einige einschneidende Veränderungen im Kulturbereich konnte Ponta durchsetzen. Die rumänischen Kulturinstitute in Europa (so auch das RKI in Wien) unterstehen nun nicht mehr direkt dem Präsidenten, sondern werden dem Parlament (dem Senat) unterstellt. Das heißt, die Leitung und die Programme der Kulturinstitute sind nun dem Einfluss der jeweiligen politischen Parteien ausgesetzt. Eine skandalöse Entscheidung, die den bisherigen Manager aller Kulturinstitute, den Europa-orientierten Horia-Roman Patapievic, veranlasst hat, sein Amt zurückzulegen. Die erfolgreichen Leiter der Kulturinstitute in Warschau, Paris und Chisinau wurden gekündigt. Die Direktorin des Kulturinstitutes von New York trat zurück. Proteste vieler Intellektueller in Bukarest, Paris und Warschau für Patapievic folgten. Ohne Ergebnis. Patapievic: „Ein Land, das seine Kultur zerstört, wird nicht überleben“.

Was bewegt nun den neuen Chef aller rumänischen Kulturinstitute, Andrei Marga (Jahrgang 1946), Philosoph, Herder-Preisträger und Universitätsprofessor mit hervorragenden Deutschkenntnissen, dem nationalistischen Retrokurs seines Dienstherrn Victor Ponta, dessen Außenminister er bis Mitte 2012 war, zu folgen? So hat Marga bereits Einspruch erhoben gegen das Programm des Pariser „Salon du Livre“, das 2013 Rumänien als Gastland eingeladen hat. Das literarische Programm müsse nochmals überdacht werden. Offenbar möchte man im Ausland Bücher präsentieren, die den fern der Heimat weilenden Rumänen Freude bereiten, ungeachtet aller literarischen Qualität. Das ist ohne Zweifel ein Rückschritt in der Einbeziehung der rumänischen Kunst und Kultur in die europäische Szene.

Bei diesem „Romania goes Romania“ spielen aber auch Profilierungssucht, Eitelkeiten, Neid und Konkurrenzkämpfe innerhalb der rumänischen Intellektuellenkreise eine Rolle.

Der nun zurückgetretene Leiter der rumänischen Kulturinstitute, Horia-Roman Patapievic (auch „Papillon“ genannt, optisches Kennzeichen eine Fliege als Halsbinde), gehört zu der Gruppe von Intellektuellen, die bereits 1990 die wichtigsten Positionen im rumänischen Kulturleben eingenommen haben. Dazu gehören auch Andrei Plesu, ehemaliger Kultur- und dann Außenminister, und Gabriel Liiceanu mit seinem Verlag Humanitas, der sehr einflussreich in der rumänischen Literaturszene ist. Haben diese kulturellen Geistesfürsten, die sich gegenseitig unterstützen, zu hegemonial geherrscht? Und damit den Neid und den Hass der Leute geweckt, die nicht an die Futtertröge kamen?

Noch dazu gelten sie bei vielen als Hofleute des jetzigen in seiner Funktion geschwächten, polarisierenden Präsidenten Traian Basescu. Wäre es unter einem anderen Präsidenten nicht zu diesem „Riss in der Gesellschaft“ gekommen?

Vor den Parlamentswahlen im Dezember wurde viel Geld für politische Propaganda ausgegeben. Ion Caramitru, Ikone des rumänischen Theaters und Films: „Rumänien hat rund 21 Millionen Einwohner. Die Hälfte der Bevölkerung sind einfache, aber ehrliche Menschen, die auf dem Land leben und auf dem Feld arbeiten. Sie sind leicht zu manipulieren. Kulturell geht Rumänien in Richtung Nationalismus, und das ist sehr gefährlich, ebenso wie in Ungarn. Vieles wird zerstört, was wir in den vergangenen Jahren aufgebaut haben, nämlich ein Teil von Europa zu sein.“ An der kulturellen Umorientierung Rumäniens, „Romania goes Romania“, hat sich auch nach den Parlamentswahlen nichts geändert. Der Kulturkampf geht weiter. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2012)

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