Wir Haberer

(c) APA (BARBARA GINDL ROLAND SCHLAGER)
  • Drucken

Da haben wir sie. Die Nestbeschmutzer. Die „Künstler“. Und dennoch: stets verhabert mit der Macht. Immer gierig auf ein Preisgeld, eine Subvention. Warum nicht gleich von mir reden? Wir „Staatskünstler“: ein artiges Dankeschön – nebst einer Abrechnung.

Ich habe die ehrenvolle Aufgabe erhalten, sehr geehrte Damen und Herren, mich im Namen aller Künstler, die heute mit dem staatlichen „Kunstpreis“ geehrt werden, artig zu bedanken. Natürlich kann ich nicht wirklich imNamen aller sprechen, auf jeden einzelnen eingehen, auf die Besonderheiten jeder individuellen Kunstanstrengung, auf die Vielfalt, in der sich Kreativität in den verschiedenen Kunstgattungen zeigt, und also den Reichtum der singulären Werke angemessenwürdigen, die allesamt Wahrheit, Schönheit und Reflexion unseres Lebens in die Welt setzten. Jeder Künstler beansprucht Einzigartigkeit für sich und fordert dafür Anerkennung. Aber wenn es dies ist, was für alle gilt, dann kann ich gleich von mir reden, weil es ja grundsätzlich für jeden darum geht, Ich sagen zu können, beglaubigt und anerkannt durch sein Werk.

Eine gute Rede gewinnt ihre Zuhörer durch das Einflechten von Anekdoten. Das habe ich erst unlängst wieder von unserem Herrn Bundespräsidenten eindrücklich erfahren. Doch davon später. Ich beginne jedenfalls mit einer Anekdote: Wie alles (für mich) begann.

Mit 17 Jahren schrieb ich meine erste Erzählung. Sie hieß „Nägelbeißen“ und handelte von der Nervosität eines sensiblen, von Autoritäten eingeschüchterten Jünglings, dernicht aufbegehrt, sondern sich unscheinbarzu machen versucht.Will man diese Erzählung autobiografisch interpretieren, könnte mansagen: Sie zeigt, dass ich damals zu feig war, die klassischen Pubertätssymptome zu zeigen. Ich wollte den Text natürlich veröffentlichen. In dieser Hinsicht war ich nicht so feig.

Nachdem ich die Erzählung fein säuberlich auf einer Olivetti-Schreibmaschine mit drei Durchschlägen abgetippt hatte, gab ich sie drei Menschen zum Lesen.

Einen Durchschlag schickte ich an Jeannie Ebner, damals die Herausgeberin der Zeitschrift „Literatur und Kritik“. Sie schrieb zurück: „Vielen Dank für Ihre Erzählung unddie beiliegende Biografie. Die Biografie halte ich für eine kleine literarische Sensation. Wie Sie aus zwei einfachen Informationen, nämlich Ihrem Geburtsdatum und dem Namen Ihrer Schule, vier Zeilen herausschlagen, ist durchaus kunstvoll. Und für geradezu revolutionär halte ich Ihre Innovation der Textsorte Kurzbiografie, nämlich nach den biografischen Daten den Punkt Ausblickanzufügen und damit den Umfang Ihrer Lebensbeschreibung durch Ungelebtes zu versechsfachen – das hat mir zu denken gegeben. Kritisch anmerken möchte ich, dass Sie nicht aufs Ganze gegangen sind: Es fehlt der Punkt Nachleben. Allerdings habe ich, nachdem ich Ihr Alter gelesen habe, Ihre Erzählung natürlich nicht mehr gelesen. Sollten Sie in fünf Jahren immer noch schreiben, melden Sie sich bitte wieder.“

Den zweiten Durchschlag schickte ich anPeter Henisch, damals Redakteur der Zeitschrift „Neue Wege“, die, ebenso wie „Literatur und Kritik“, auch in der Schule auflag. Er schrieb zurück: „Danke für die Erzählung. Sie zeigt authentisch, auf eine Weise, die an Kafka gemahnt, das Terrorsystem kapitalistischer Pädagogik. Ich bringe die Erzählung in der nächsten Nummer. Allerdingsrate ich davon ab, weiter auf der Kafka-Schiene zu fahren.“ – Ich hatte damals noch nichts von Kafka gelesen, aber egal, so kam es jedenfalls zu meiner ersten Veröffentlichung.

Der Dritte, dem ichdie Erzählung zu lesengegeben hatte, war mein Erzieher im Internat. Errief meine Mutter an undempfahl ihr einen Psychologen, der mir helfenkönne, milderte sein Urteil aber etwas ab,indem er mit dem pragmatischen Mitgefühl des Pädagogen hinzufügte: „Robert hat wirklich schreiberisches Talent, aber er ist wohl zu sensibel und verletzlich, um daraus einen Beruf machen zu können, zum Beispiel Journalist!“ Damit hatte er natürlich recht – aber rechtfertigt das den Ruf nach der parapolizeilichen Kontrolle durch einen Psychologen?

Wie auch immer, warum erzähle ich das?Weil es um Anerkennung geht und darum, wie vielfältig sie sich zeigen kann: als Glück oder als Verhängnis, als Aufmunterung oder als scheinbare Demütigung, als Missverständnis oder, schlimmer noch, als missverständliches Verständnis.

Und manchmal, wenn nicht sogar meistens, ist sie wie im beschriebenen Fall alles gleichzeitig. Natürlich fühlte ich mich gedemütigt durch Jeannie Ebners Brief, andererseits war er doch auch eine Anerkennung – immerhin hatte sie geantwortet, noch dazu nicht bloß sachlich, sondern wirklich persönlich, und das war wirklich nicht selbstverständlich. Andererseits war die Anerkennung, die ich von Peter Henisch erhielt, zugleich ein Missverständnis, denn nicht nur, dass meine Erzählung wirklich keine talentierte Auseinandersetzung mit dem Genie Kafka war, sie war nicht einmal wirklich talentiert, sondern so ungelenk, dass man sie sogar als epigonal ohne Vorbild bezeichnen muss, weshalb es mich immer geniert, wenn sie heute von einem Germanisten entdeckt wird. Aber doch erleichterte sie mir den Wegzu wirklicher Anerkennung, denn die zweite und dritte Veröffentlichung bekommt man leichter als die erste, die ja die größte Hürde darstellt. Vielleicht hat mich nur mein damaliger Erzieher wirklich verstanden. Vielleicht hätte ich wirklich einen Psychologen gebraucht. Und ist es nicht geradezu idealtypische Anerkennung, wenn ein literarischer Text den Leser aufs Höchste beunruhigt? Oder hat mein Erzieher gleich bei meinem ersten Text geradezu seismografisch mitjenem strukturellen Missverständnis reagiert,das, wie ich später lernte, den Umgang mit österreichischer Literatur und Kunst grundsätzlich kennzeichnet: dass staatliche Institutionen und Instanzen regelmäßig mit Besorgnis und Misstrauen auf Kunstanspruch reagieren, bis der Künstler am Ende beim Staatspreis landet? Man kann es durchaus so sehen: Was ich als Schüler schrieb, wies mich vor den Mitschülern als Kritiker der Institution aus, wobei ich durch das besondere Augenmerk, das ich deswegen erhielt, zugleich auch als Liebkind der Institution verdächtigt wurde.

Ich weiß heute nicht mehr, was ich im Abschnitt „Ausblick“, auf den sich Jeannie Ebner in ihrem Brief bezog, geschrieben habe. Aber gewiss nicht, dass ich es als mein biografisches Geschichtsziel anpeilte, einen Staatspreis zugesprochen zu bekommen, umdann von denselben Menschen, die mich als „Nestbeschmutzer“ diffamieren, auch noch als „Staatskünstler“ verhöhnt werden zu können. Auf jeden Fall zeigt sich hier die Dialektik der Anerkennung: Sie führt immer auch zu Verwirrungen. In dieser Konfusion ist nureines klar: Künstler wollen und brauchen Anerkennung. Wer das Gegenteil behauptet,lügt, oder er will eben Anerkennung dafür, dass er sie ausschlägt.

Andererseits entsteht Kunst natürlich auch dann, wenn Künstler nicht anerkannt, wenn sie missachtet, gar verfolgt werden. Das ist eine historische Erfahrungstatsache.

Von dieser Prämisse, dass Anerkennung für den Künstler ein Anspruch und eine Produktivkraft, aber keine Bedingung ist, kann man kunsttheoretisch, kulturpolitisch oder künstlerpsychologisch alles Mögliche ableiten, aber zweierlei ganz sicher nicht.

Erstens, dass Künstler, wenn sie vom offiziösen, also subventionierten Kunst- und Literaturbetrieb (gibt es einen anderen?) oder vom Staat Anerkennung in Form von Preisenund Ehrungen erhalten, zu Hofschranzen, Staatskünstlern und Ornamentlieferanten desherrschenden Systems geworden sind, also zu Verrätern an der Autonomie der freien Kunst. Denn es ist eine der grundsätzlichen Aufgaben demokratischer Staaten, die Freiheit der Kunst und die Rahmenbedingungenfreier Kunstproduktion anzuerkennen und zuschützen, und wie sie das machen, ist eine kulturpolitische Entscheidung und nicht perse schon Einvernahme des freien Künstlers.

Und zweitens kann man schon gar nicht davon ableiten, dass der Rückzug des Staatesaus der Förderung und der Anerkennung künstlerischer Arbeit vernünftiger wäre, weilsich dadurch, gleichsam im Sinne eines kulturpolitischen Sozialdarwinismus, erst wirklich zeigte, welcher Künstler ein wahrer Künstler sei, weil seine Kunst so stark, so vollkommen, so gewaltig ist, dass sie sich gegen alle Widerstände durchsetzt, zu denen das desinteressierte Missfallen der Öffentlichkeit und die Staatsbürokratie fähig sein können. Kunsttheoretisch oder -analytisch hat alsostaatliche Anerkennung lebender Künstler keine Bedeutung, die man generalisieren könnte. Bedeutung hat sie nur in Hinblick auf den öffentlichen Diskurs – wobeijede Diskussion überKunstförderung, Kulturpolitik, staatliche Anerkennung von Künstlern mehr über die Qualitätder Öffentlichkeit als über die Qualität von Kunst aussagt. Das ist gerade heute leider auch eine Erfahrungstatsache.

Menschen, die ohne Architekt ein Haus bauen, als Wilde an der Mischmaschin', die sich „Jesus schreitet durch das Ährenfeld“ über das Ehebett hängen, in dem bald nach Fertigstellung des Hauses keine Nächstenliebe mehr herrscht; Menschen, die bei einer CD der „Fidelen Dachauer“ oder einer anderen sogenannten Volksmusik-Band oder Bande zu schunkeln beginnen; die, wenn ein unerklärliches Schicksal ihnen eine Giacometti-Skulptur vor Augen führt, einen Heißhunger nach Soletti bekommen, oder einen andersgearteten Heißhunger in einem Rambo-Film,diese Menschen, die nachweislich nicht die S-Regeln beherrschen, wiewohl das scharfe Es ihr Über-Ich beherrscht, diese Menschen schreiben entrüstete Postings (natürlich unter Pseudonym, weil sie so künstlich und dabei kunstfern sind, dass sie es nicht wagen, sowie die Künstler mit ihrem Namen für ihr Werk einzustehen) oder Leserbriefe, wenn siein der Zeitung lesen beziehungsweise das tun, was sie lesen nennen, jedenfalls also erfahren, dass ein Künstler eine staatliche Auszeichnung bekommen habe; dann schreibensie „Staatskünstler!“, ein Kunstwort, das als Kunst-Totschlag-Begriff gemeint ist, ein Liebkind der Regierung sei er, verhabert mit der Macht, ein verächtlicher Ministrant verächtlicher Politiker, ein Behübscher von höchst kritikwürdigen Verhältnissen.

Ist der Künstler aber immer wieder als kritischer Geist auffällig, dann ist er eben ein „Nestbeschmutzer“, und so ist dann nicht dieKritiklosigkeit, nicht die unterstellte Nesthäkchen-Existenz, sondern seine Kritik, also der Vorwurf der Nestbeschmutzung, Anlass zur Empörung. Bekommt nun der „Nestbeschmutzer“ eine staatliche Auszeichnung, ist nun beides der Skandal: der „Nestbeschmutzer“ als Staatskünstler und der Staat als Förderer der „Nestbeschmutzer“.

Das ist übrigens der Grund, warum es heute (in Österreich) keine Skandal-Kunst im Sinn des Begriffs mehr geben kann: weil der Zustand der Öffentlichkeit selbst schon zum Skandal geworden ist.

Worüber wir uns also bei diesem Anlass, der Verleihung der staatlichen „Kunstpreise“,unterhalten müssen, ist – gar nichts. Künstlerwollen Anerkennung. Wenn sie sie erhalten, sagt das nichts über sie aus, so wenig wie damit etwas über die Anstrengungen jener ausgesagt ist, die keine oder noch keine Preise bekommen. Heimito von Doderer hatteschon festgestellt: „Im Grunde ist beides eineGemeinheit!“ Und gerade an seinem Beispiel,etwa durch seinen Roman „Die Dämonen“, können wir lernen, wie Staats- und Geschichtskritik produktiv aus steter Zeit- und Selbstkritik entsteht, Verdichtung von Wahrheit als Prozess, wofür er schließlich hochdekoriert wurde – und doch wirkungslos blieb. Kann man das so sagen? Hochdekoriert und wirkungslos? Auf mich hatte er Wirkung, andererseits glaube ich behaupten zu können, dass gewisse Entwicklungen, die uns im letzten Vierteljahrhundert in diesem Staat aufs Höchste beunruhigt haben, nicht möglich gewesen wären, wenn eine breite Öffentlichkeit Doderers „Dämonen“ gelesen hätte. Aber immerhin liest ab und zu ein Kanzler Musils „Mann ohne Eigenschaften“. Allerdings: wer sonst?

Staatliche Anerkennung fördert jedenfallsnicht die Akzeptanz der lebenden Künstler durch die Öffentlichkeit, so wie Nicht-Anerkennung auch nichts anderes als Häme erzeugt, also in der Aufmerksamkeitsskala bloßdie erste Steigerungsstufe von Ignoranz. Die ästhetische Erziehung der Öffentlichkeit kannaber kein Anspruch der Künstler sein, Künstler sind keine Sozialarbeiter und keine Bildungspolitiker. Worum geht es hier also? Im Grunde nur um diese grundsätzliche Aporie:Kunst hat den Anspruch auf Einzigartigkeit, zugleich will sie natürlich allgemeine Geltung. Die Voraussetzungen dafür zu schaffenkann aber nicht ihre Aufgabe sein. Zugleich kann es auch nicht die Aufgabe des Marktes sein, denn der Markt produziert Aufmerksamkeit nach völlig anderen Kriterien. Dennoch musssich der Künstler auchauf dem Markt behaupten, der ihm zumindestdiese Freiheit garantiert: nicht von vormoderner Willkür und Deutungshoheit staatlicher oder religiöser Institutionen abhängig zu sein. In der Vermittlung oder Aufhebung dieser Aporie läge einer der Ansprüche heutiger Kulturpolitik. Aber die mit Kulturpolitik und Kunstförderung Befassten sinddie Ärmsten: Es gibt für ihre Aufgabe keine demokratisch vermittelbaren Parameter, in einem demokratischen Staat also nicht einmal die Sicherheit, dass die Öffentlichkeit die Notwendigkeit von Kunstförderung anerkennt. Auch wenn es Künstler gibt, die sich demokratiepolitisch engagieren, Kunst selbst kann nicht demokratisch sein. Jede ästhetische Wertung beansprucht Objektivität, kann sie aber nie bekommen. Der Nutzen des Nutzlosen, die Wahrheit und Schönheit einer Reflexion ohne Begriffe können nieobjektiv verifiziert, also nie einem Plebiszit unterworfen werden.

Kein Ressort hat daher solche Legitimationsprobleme wie die Kulturpolitik. Muss ein Landwirtschaftsminister erklären, was Landwirtschaft ist, warum sie notwendig ist und subventioniert werden muss? Muss ein Wirtschaftsminister die Notwendigkeit von Wirtschaft erklären? Werden ihm Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Arbeitslose wütend in den Arm fallen, wenn er mit Millionen denStandort fördert, um Arbeitsplätze zu sichernoder zu schaffen? Muss ein Familienministermit Empörung rechnen, wenn er Familien fördert? Er muss vielleicht in der Begrifflichkeit ein bisschen nachjustieren, zum Beispiel kann er nicht mehr die Familie als „Keimzelle des Staates“ bezeichnen, weil Keime heute anders konnotiert sind als vor hundert Jahren, was ein Zeichen von größerem Gesundheitsbewusstsein ist, wodurch sich auch der Gesundheitsminister nicht sonderlich schwertut, seine Funktion zu legitimieren. Muss ein Sozialminister die Notwendigkeit von Sozialpolitik begründen? Nicht, solange eine Mehrheit zu Recht von sozialen Transfers profitiert. Es mag in Hinblick auf konkrete Entscheidungen da und dort Auffassungsunterschiede, gar Streit geben, aber es gibt ihn nie im Grundsätzlichen:Denn grundsätzlich ist all dies notwendig und als Notwendigkeit anerkannt.

So kann man das durchgehen, am Ende bleiben nur zwei Politikfelder über, die demokratiepolitisch notwendig sind, die aber bei ihren Förderungsmaßnahmen doch nicht mit selbstverständlicher Zustimmung durch eine demokratische Mehrheit rechnenkönnen: Das sind freie Wissenschaft und freie Kunst. Nun kann man es so machen wie der derzeitige Wissenschaftsminister, derdie Wissenschaft unter die unmittelbaren Verwertungsbedingungen durch die Wirtschaft zwingt und den Studenten, die für freien Zugang zu freien Bildungsinstitutionen kämpfen, ausrichtet: „Es muss ja nicht jeder studieren!“ – Und schon hat er die Anerkennung durch die Mehrheit: ein paar Tetschn und dann die „Kronen Zeitung“,das hat noch keinem geschadet – das kann jeder bestätigen, dessen Biografie auf diesem glücklichen Fundament ruht. Und wenn es „der Wirtschaft dient“, dann sieht es der Hausverstand erst recht ein. – Nachdem also auch dieses Politikfeld vorläufig verloren ist, bleibt als letztes die Kulturpolitik, die von allen politischen Ressorts heute als einziges diesen Spagat schaffen muss: etwas demokratiepolitisch höchst Notwendiges zu tun, ohne je mit der Zustimmung der Mehrheit rechnen zu können. Nämlich Künstler zu fördern, ihre Leistungen zu ehren, für eine grundsätzliche Anerkennung der Notwendigkeit von Kunst einzustehen und die Rahmenbedingungen für die Produktion zeitgenössischer Kunst aller Spartenzu verbessern – das ist demokratische Politik, auch wenn es dafür nie eine Mehrheit gibt und die Mehrheit der Wähler höchstens an der Umwegrentabilität interessiert ist, diedurch die Festivalisierung und Ikonisierung toter Künstler abgeschöpft werden kann, eine Mehrheit, die sich nicht einmal vorstellen kann, dass Mozart verrückt geworden wäre, wenn er zu seiner Zeit immer nur mit gotischer Musik beschallt worden wäre, Goethe sich erschossen hätte, wenn immer wieder nur Christopher Marlowes „Faust“ neu inszeniert worden wäre, Hofmannsthal den Tod einer verdurstenden Primel erlitten hätte, wenn jedermann nur die Fastnachtsspiele von Hans Sachs hätte sehen wollen, und so weiter.

Dadurch entsteht zwischen Politik und Kunst immer wieder ein eigentümliches Double Bind: Ist der Künstler, der auf seiner Einzigartigkeit und Autonomie besteht, tendenziell ein Anarchist, der freudig denStaatspreis als angemessene Anerkennung entgegennimmt, so neigt der aufgeklärteStaat, besonders der spätaufgeklärte österreichische Staat, zur repräsentativen Anarchie, wenn es um Kunst geht. Ein Beispiel, das ich in diesen Räumlichkeiten, anlässlich dieser Ehrung sub auspiciis praesidentis,natürlich erzählen muss: Vor Kurzem ludBundespräsident Heinz Fischer zu einer Feier anlässlich des 70. Geburtstags von Peter Handke in die Hofburg. Auch ich erhielteine Einladung, die ich natürlich annahm, um Peter Handke meinen Respekt und meine Zuneigung zu erweisen. Diese Feier wurde allerdings, anders als ich erwartet hatte, nicht in einem der Empfangsräume oder Festsäle der Hofburg abgehalten, sondern in der Privatkapelle der Habsburger, wobei der Begriff Kapelle eine leichte Untertreibung darstellt. Als ich ankam, waren die Betbänke schon dicht gefüllt, es herrschte ein wattiertes Schweigen, und wenn doch da und dort geflüstert wurde, klang es, als würde fast lautlos der Rosenkranz oder der „Versuch über die Müdigkeit“ gemurmelt. Das imperial Sakrale dieses Orts machte den Eindruck, als sollte die Geburtstagsfeier für den Dichter als Hochamt abgehalten werden.

Und in dieser Szene trat dann der Präsident der Republik als Liebhaber der Anarchieauf – in der konsequentesten Assimilation anden Dichter, die dem Präsidenten von Amts wegen möglich ist. Er hielt nämlich eine Rede, in der er launig erzählte, vom eben noch betenden Publikum durch Entzückensrufe und Gelächter angefeuert, wie er Peter Handke kennen- und lieben gelernt hatte: Irgendwann, ich glaube in den Siebzigerjahren, habe der Präsident in der Zeitung gelesen, dass in Salzburg ein junger Dichter einenPolizisten geohrfeigt habe. „Diesen Dichter muss ich kennenlernen!“, sei der spontane Gedanke des Präsidenten gewesen. Ein Kontakt konnte hergestellt werden, die beiden Männer, der Staatsmann und der Dichter,der Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet hatte, trafen sich,und seit damals sind sie also befreundet, in unverbrüchlicher wechselseitiger Anerkennung. – Nach dieser Rede folgte eine Dichterlesung. Es las aber nicht der Dichter, sondern der Präsident. Er setzte sich an einen Tisch – man musste in diesem Ambiente natürlich an einen Altar denken –, auf dem der Präsident also ein Buch aufschlug, das bei diesem Anlass das Buch der Bücher war, nämlich ein Buch von Peter Handke. DerPräsident las also Handke, man muss sagen: Er gab Handke, und Handke selbst hörte zu, wie ihm vom höchsten Mann des Staates sein eigenes Werk vorgelesen wurde.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ichironisiere das nicht, oder kaum. Ich sollte undwollte hier über Anerkennung sprechen, unddieses Bild vom Bundespräsidenten, der einen Dichter zu verstehen lernte, der einen Polizisten geohrfeigt hatte, und ihm am Endedessen Werk vorliest, um ihm seine Anerkennung zu demonstrieren, dieses Bild verwirrt und erhellt mich gleichermaßen, auf vielsagende und produktive Weise. Es geht um Anerkennung, und ist eine innigere vorstellbar, als diese Symbiose von Staatsrepräsentanz und dem letztlich anarchistischen Freiheitsanspruch – für den am Ende natürlich nicht die Ohrfeige, sondern das Werk des KünstlersAusdruck und bleibendes Vorbild sind?

Ich habe eingangs gesagt, dass ich natürlich nicht im Namen jedes Einzelnen, der heute hier ausgezeichnet wird, sprechen kann. Jeder und jede ist einzigartig, das ist derAnspruch und die Wahrheit, für die sie alle, jeder auf seine Weise, mit ihrer Kunst einstehen. Darum verdient jeder Einzelne seineAnerkennung exklusiv. Aber wenn es denn grundsätzlich um die Anerkennung von Einzigartigkeit in Freiheit geht, dann kann und darf sie sich nicht im Glück jener erschöpfen,die heute der Glücksstrahl traf. Darum möchte ich jetzt am Ende doch wir sagen, im Namen von uns sprechen, die wir Anerkennungbeanspruchen: Ein aufgeklärter Rechtsstaat, der uns anerkennen kann – wofür ich herzlichdanke –, muss uns, alle in unseren Anstrengungen, als Menschenrechtsstaat anerkennen. Denn die Anerkennung unserer künstlerischen Anstrengungen ist nur so viel wert, wie sie Ausdruck einer grundsätzlichen Anerkennung aller menschlichen Anstrengungen ist, sein Leben in Freiheit und Würde zu machen, die eigene Kreativität in die Gesellschafteinzubringen, die Schönheit des Lebens zu feiern, wodurch das Einzigartige allgemeinerBesitz, Reichtum aller werden kann.

Noch nicken Sie. Nicken Sie weiter, wennich jetzt sage: Ich meine die Flüchtlinge und Asylwerber in der Votivkirche? Diese Menschen kämpfen um Anerkennung. Auf der Flucht vor Verfolgung, Krieg, Folter, Bedrohung, Misere, auf der Flucht aus Unrechtsstaaten müssen sie in einem Rechtsstaat fastaussichtslos um Anerkennung kämpfen, um das Selbstverständlichste, um ihr menschliches Existenzrecht, um das Recht, durch Arbeit selbst für sich zu sorgen und ihr Glück zu suchen. Darum hole ich jetzt die Menschen aus der Votivkirche als unsichtbare Gäste hier herein in dieses Fest der Anerkennung.

Der Mensch ist das Kunstwerk. Noch immer ist es nur ein Entwurf. Der Rechtsstaat ist seine Interpretation. Noch immer ist sie erst eine vorläufige Fassung des Menschenrechtsstaats. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.