Das Geld gehört der Bank

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Tresorraum(c) Michaela Bruckberger
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Wie viel sind 12.000 Euro? Weil ich bestens informiert sein möchte, wenn mich doch noch eine Partei als Spitzenkandidaten für die Europa-Wahl nominiert, habe ich bei der Kassierin im Supermarkt nachgefragt. – Rede bei der Entgegennahme des mit 12.000 Euro dotierten Österreichischen Kunstpreises.

Lieber Herr Bundespräsident, bitte fürchten Sie nicht, dass ich Ihnen als ratloser Preisträger die Frage stellen werde: Wos woar mei Leistung? Ich werde das, was ich in den vergangenen 30 Jahren gemacht habe, aber ebensowenig patzig damit rechtfertigen, dass es schon mit Arbeit auch verbunden war.

Als mich kürzlich eine rätselhafte Fügungin einen Kreis aus lauter Menschen verschlug, die von Berufs wegen mit Geld zu tun haben, also mit Bankern, Versicherungsmaklern, Immobilienhändlern, bemerkte ich auf dem Nachhauseweg erstaunt, dass ich mich einen ganzen Abend lang über nichts als Kunst und Kultur unterhalten hatte. Wer immer sich an mich wandte, wollte von mir etwas über Romane oder Filme, über Glück und Mühsal der täglichen Arbeit amSchreibtisch erfahren und gab sich mir im Gegenzug glaubhaft als regelmäßiger Besucher von Ausstellungen, als Liebhaberzeitgenössischer Musik oder als jemand zu erkennen, der sich in seiner freien Zeit am liebsten in eine Ecke verzieht, um in dicken Romanen zu schmökern. Ich war entzückt, es endlicheinmal mit Menschen zu tun zu haben, die sich nur gegen ihren Willen mit dem Geld und seiner Vermehrung beschäftigen undderen Herz in Wahrheit fürdie Kunst schlägt, währendich sonst meist auf sogenannte Kunstschaffende,zumal auf Schriftsteller treffe, die dabei gleichmir über nichts so ausdauernd und grimmig zu sprechen pflegen als über das Geld, von dem wir alle zu wenig haben oder von dem wir uns gegenseitig immerhin bestätigen, dass wir es uns allzu schwer verdienen müssen.

In der Sphäre des Geldes begegnet man noch Menschen, die den reinen Geist, die schöne Kunst verehren, während jene, die diese erschaffen, von etwas besessen sind, was sie aus tiefster Seele verachten, vom Geld, vor dem es sie einerseits graut, dass ihre Kunst überhaupt mit ihm bewertet und also in ihrem humanen Wesen entwertet wird, und es sie andrerseits beschämt, dass sie ihm dennoch nachstreben müssen und am liebsten möglichst viel davon hätten.

Die Republik vergibt heute in siebenSparten den Österreichischen Kunstpreis, der mit 12.000 Euro dotiert ist. Wie viel sind 12.000 Euro? Weil ich immer mit bösen Überraschungen rechne und daher bestens informiert sein möchte, wenn mich doch noch eine Partei als Spitzenkandidaten für die Europa-Wahl nominiert, habe ich bei der Kassierin des „Spar“-Marktes nachgefragt, diesich seit Jahren, wenn ich meine Rechnung bezahle, interessiert nach meinem Befinden erkundigt. Sie bringt es, nach 30 Jahren und Abzug der Steuern wie der Sozial- und Pensionsversicherung, auf knappe 1030 Euro im Monat. Für den Preis, den ich, den meine Kolleginnen und Kollegen heute erhalten, muss sie also ein ganzes Jahr lang arbeiten; denke ich an sie, ihre Arbeit, ihre finanziellenMöglichkeiten, kommt mir vor, als wären die 12.000 Euro, die ich erhalte, ziemlich viel.

Das Geld hat bekanntlich die von Georg Simmel und Späteren beschriebene Eigenheit, dass es die Unterschiede zwischen den Dingen, Tätigkeiten, Eigenschaften herzlos nivelliertund das ansonsten gänzlich Unvergleichbare auf einen, auf seinen Nenner bringt; das Geld ist gewissermaßen der große, rätselhafte Mittler, der alles mit allem verbindet, sodass nicht nur Äpfel und Birnen durch den verschiedenen Preis, den sie erzielen, miteinander verglichen und aufeinander bezogen werden können, sondern auch die Stunde, die eine Lehrerin mit ihren Schülern verbringt, das Zündkabel, das der Mechaniker bei der Reparatur unseres Wagens austauscht, die Miete, die eine Familie für ihre Wohnung zu entrichten hat, die zehn Kilo Müll, die die Müllabfuhrwöchentlich von unserem Haus abholt, die Flasche Rotwein, die ich abends gerne trinke, das Orchesterstück, das eine Komponistin schreibt, die fünf Minuten 30 Sekunden, die einer Pflegekraft dafür zugemessen sind, einen bettlägerigen Patienten zu waschen.

Das Geld bringt also jedwedes Ding und jedwede Tätigkeit auf die Summe, für die sie in unserer Gesellschaft verkauft wird und eingekauft werden kann, und insofern zwingtes das nicht Zusammengehörende gleichermaßen unter seine Herrschaft. Das Unvergleichbare über seinen Geldwert vergleichend, könnte ich, das Einkommen der Kassierin vor Augen, mit den 12.000 Euro ganz zufrieden sein, sieht man davon ab, dass es mich natürlich nicht zufrieden machen kann, wenn Menschen für ihre Arbeit so wenig erhalten, dass sie zur wachsenden Gruppe derer gehören, die mitten in den reichsten Gesellschaften, die es in der Geschichte je gegeben hat, eine Arbeit leisten, von der sie es sich nicht leisten können, ihre Existenz zu bestreiten.

Scheinen mir beim Vergleich des Verschiedenartigen, wie es das Geld immer tut, die 12.000 Euro auf der einen österreichischen Seite relativ viel zu sein, kommen sie mir nach der anderen ziemlich bescheiden vor. Etwa wenn ich mir vorstelle, dass mit jener Summe, die wir Preisträger heute Abend für etwas erhalten, was man ein Lebenswerk nennen könnte, die pensionierten Vorstände der Oesterreichischen Nationalbank ungefähr über den Zeitraum eines Monatsdrittels auskommen müssen; dass sie also die Summe, die wir für unser Lebenswerk erhalten, beiläufig bis zum Zehnten jedes Monats ausgegeben haben müssen, damit sie die Chance wahren, mit den 30.000 Euro bis zum nächsten Monatsersten auch wirklich durch zu sein.

Wofür sie das Geld ausgeben, ob sie damit eine karitative Organisation bedenken, eine private Kunstsammlung anlegen oder den verkommenen Neffen alimentieren, ist für die Klärung der Sache selbst übrigens ganz unerheblich; der Chefredakteur der „Salzburger Nachrichten“ hat vor einigerZeit geschrieben, wer so viele segensreicheDinge aus seinem Privatvermögen unterstütze wie Didi Mateschitz, der habe ein Anrecht darauf, selbst zu bestimmen, wofür seine Steuern verwendet werden. Im Unterschied zu ihm bin ich nicht der Meinung, dass es sinnvoll ist, den Sozialstaat zu einem Charity-Unternehmen umzubauen, in dem die, die genügend haben, ihre Steuern in Form von Spenden abgeben, um für diese milden Gaben auch noch den Dank der Gesellschaft einzukassieren. – Apropos Banken. Vor etwas mehr als einem Jahr ging eine Heldengeschichte durch die österreichischen Medien, die, so dramatisch sie uns zwei, drei Tage lang dargeboten wurde, inzwischen doch vergessen ist. Die Heldin der Geschichte war eine 82-jährige Niederösterreicherin, sie hatte, wie in zahlreichen Einspielungen im Fernsehen zu sehen und zu hören war, kräftige graue Haare, einen prächtig ausgereiften Dialekt und eine im Wortsinn zupackende Art.

An einem Herbsttag des Jahres 2012 standsie um 14 Uhr in der Filiale einer Bank in ihrer Heimatgemeinde St. Egyden am Steinfeld brav in der Schlange, als ein Mann den Raumbetrat und im Hereinkommen eine Mütze mit Sehschlitzen über sein Gesicht zog. Die resolute Greisin hielt dies für eine an diesem Ort gänzlich unangebrachte Kopfbedeckung, sodass sie schnurstracks zu dem trat, der noch gar nicht richtig dazu gekommen war, sich, just indem er sein Antlitz verhüllte, als Bankräuber zu erkennen zu geben, und ihm die Mütze vom Gesicht riss. Es entspann sich ein kleiner Kampf, in dem es dem Mann, der Übles plante, vorderhand gelang, sich in den Besitz dessen zu setzen, was tatsächlich sein Eigentum war, nämlich – der Mütze. Sodann sprang er zum Schalter und hieß die Angestellte, alles Geld, das vorrätig wäre, in die Tasche zu leeren, die er bei sich trug. Die betagteDame, bereits auf dem Wege, zur Heldin zu werden, hat ihrer Aussage zufolge erst jetzt dieAbsicht des Mützenträgers erkannt und ihm, der mit der Pistole herumfuchtelte, gleichwohl die Mütze ein zweites Mal vom Gesicht gerissen, sodass später alle in der Filiale Anwesenden zusammen eine sehr gute Personenbeschreibung von ihm geben konnten. Als sich der Bankräuber ohneseine Mütze, aber immerhin mit der Beute aus dem Staub machen wollte, entriss ihm Hertha W. in einer Rangelei auch noch die Tasche, die sie der Schalterangestellten mit dem denkwürdigen, den Räuber auf die Knochen blamierenden Satz zurückgab:„Das Geld gehört der Bank!“

Das Geld gehört derBank, so enden heute in Europa Tausende bürgerliche Lebensläufe, die aus den mit Krediten finanzierten Häusern wieder hinausführen, so endet aber auch der zeitgemäße Bankraub. Dort, wo die Welt noch in Ordnung ist, im österreichischen Fernsehen, schilderte Hertha W. mit eigenem Charme, was sich zugetragen hatte, nicht ohne die Männer zu rüffeln, die mit ihr in der Bank gewesen waren, sich aber nicht gegen den Bankräuber zu wenden gewagt hatten. „Ich fürchte mich vor gar nichts“, sagte sie, „und schon gar nicht vor einem Mann.“ Zur Heldin des Fernsehens taugte sie aber nicht, weil sie sich so selbstbewusst gegen die Männer in Szene, sondern weil sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt hat, damit das eherne Gesetz unserer Tage Gültigkeit bewahre: Das Geld gehört der Bank. Das weiß jetzt auch jener Mann, der es schon vorher wusste, sich aber trotzdem in räuberischer Absicht in eine Bank begab, der Gefahr nicht achtend, dass die kleinen Leute ihre Lektion gelernt haben und wissen, dass es die Banken sind, denen ihr Geld gehört. (Wer das jetzt als Plädoyer dafür missverstehen möchte, Banken zu überfallen, dem kann ich auch nicht helfen.)

Wie viel sind 12.000 Euro? (In der Tasche des Räubers – dem ich in meinem noch ungeschriebenen Buch mit dem Titel „Sternstunden des Scheiterns“ ein eigenes Kapitel widmen werde – sollen sich übrigens 778 davon befunden haben.) Das Geld, indem es alles bemisst, was in einer Gesellschaft vorhanden, benötigt oder gewünscht wird, festigt deren Zusammenhalt – und fördert doch zugleich ihren Zerfall. Das ist mir zuletzt einprägsam zum Jahreswechsel vor Augen geführt worden.

Das ganze Jahr über schleppt ein Briefträger in den Riesentaschen, mit denen er in meiner Gegend unterwegs ist, Bücher mit sich, von denen er mindestens zwei pro Tag in meinem Postkasten zu verstauen hat. Rechnet man noch die Zeitungen dazu, die ich erhalte und die, zumal wenn sie aus Deutschland stammen, schon durch ihren Inseratenteil zu einigem Umfang neigen, muss sich der freundliche Mann das Jahr über gewaltige Gewichte für mich aufladen lassen. Weil ich mit einem inzwischen in Frühpension gezwungenen Postgewerkschafter seit gemeinsamen Schultagen befreundet bin, weiß ich ziemlich genau, wie viele Stunden ein Briefträger früher arbeiten musste, wie viel seine gesamte tägliche Fracht wog und wie hoch sein Lohn damals war. Ich spreche von damals, von jenen finsteren Zeiten, als die Post noch ein Unternehmen war, dessen Daseinszweck darin bestand, einige Millionen Österreicher täglich mit ihrer Post und nicht einige Großaktionäre mit Millionen zu versorgen. Und weil ich nicht nur weiß, wie es einst war, sondern auch sehe, wie es sich jetzt verhält, habe ich mir angewöhnt, meinem Briefträger zum Jahreswechsel immer ein kleines Kuvert mit Danksagung und 40 Euro im Postkästchen zu deponieren. Dieses Mal aber läutete der Briefträger an meiner Wohnungstür Sturm, das Kuvert in der Hand, von dem er mir aufgeregt beschied, dass er es leider nicht annehmen dürfe, wurden die Briefträger doch eindringlich vor dem Disziplinarverfahren gewarnt, das ihnen unweigerlich blüht, wenn sie sich zur gewohnten illegalen Geschenkannahme zu Weihnachten verleiten ließen.

Da standen wir nun, der Brief-, Buch-, Zeitungsträger und ich, und dachten ein wenig nach, wie viel 40 Euro sind, um dann den Fortschritt zu rühmen, der darin besteht, dass sogar uns beiden die Korruption endlich ausgetrieben wurde und dafür wenigstens der Postgeneral für die Unannehmlichkeiten, die es ihm bereitet, die Postämter der Reihe nach zuzusperren, mit etwas mehr als 800.000 Euro entschädigt wird und es fünf seiner Vorstandsmitglieder mit den Boni, die sie sich hart genug dadurch verdienen, dass sie die Arbeitsbedingungenvon Tausenden Bediensteten stetig verschlechtern, immerhin noch auf schlappe669.500 Euro bringen.Sehr geehrter Herr Minister Ostermayer, liebe Frau Ministerin Heinisch-Hosek, ich nehme einfach einmal an, Sie hegen so wie ich einige Sympathie für diesen Papst Franziskus,der darüber und überähnliche Angelegenheiten im letzten Herbstgeurteilt hat: „Geld istdas Exkrement des Teufels.“ Vermutlich deswegen, weil man Exkremente in der Öffentlichkeit nicht herzeigt, verpacken es manche bei uns so gut in Plastiksackerl, ehe sie es für die Schwiegermutter über die Grenze bringen.

Viele von uns erinnern sich noch daran, wie wir vor einigen Monaten unsere demokratischen Köpfe geschüttelt haben, als aus Ungarn berichtet wurde, dass dort neuerdings das Verbrechen der Obdachlosigkeit mit schweren Strafen bedroht werde. Weil wir Österreicher keineswegs unbelehrbar sind, sondern uns von den Nachbarn gerne abschauen, was sie schlechter machen als wir, haben wir die im pragmatischen Sinne völlig sinnlosen, im moralischen höchst unmoralischen Gesetze, die Bedürftigen zu strafen, indem wir ihnen das Geld, das sie nicht haben, wegnehmen, von Budapest nach Wien importiert. Bis zu 10.000 Euro können hier neuerdings als Buße dafür verlangt werden, dass jemand auf öffentlichem Gelände im Freien, also etwa im Stadtpark, nächtigte. Wiener Freunde versichern mir zwar, dass natürlich niemand daran denke, diese Summe auch tatsächlich einzufordern, aber gegen diese Begütigung möchte ich einwerfen, dass ich prinzipiell gegen Gesetze und Verordnungen bin, die unter dem Vorbehalt erlassen werden, dass mit ihrer Befolgung ohnedies nicht gerechnet werde.

Wie viel also sind 12.000 Euro, um die Eingangsfrage endlich zu klären? Nun, hat ein Bettler zufällig gerade die 12.000 Euro bei sich, kann er davon einmal im Stadtparkund um den schönen Rest, der ihm danach noch bleibt, dreimal im Hotel Imperial nächtigen. Wenn diese schlichte Tatsache bis zu den Bedürftigen dringt, werden sie rasch erkennen, dass arm zu sein ihnen einfach zu teuer kommt und kein Geld zu haben sich für sie schlichtweg nicht auszahlt. Diese ökonomische Regel wird als sogenanntes Wiener-Stadtpark-Theorem eine erstaunliche Karriere in der Wissenschaft machen, ist aber auch dazu angetan, die soziale Realität selbst zu verbessern: Ist die Armut erst einmal unerschwinglich geworden, werden es sich die Leute schon überlegen, ob sie nicht doch lieber auf sie verzichten mögen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2014)

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