Das Wettrüsten der Fahnen

Der nächste Nationenkonflikt? Mein Tipp: Szeklerland. In der Serie „Expedition Europa“.

Fragt man mich, wo sich in Europa das nächste unnütze Unglück zusammenbraut, dann tippe ich auf das Szeklerland. Die ungarische Sprachinsel in der Mitte Rumäniens fordert Autonomie. Rumänien, der wohl zentralistischste Staat der EU, plant zwar die Schaffung von Regionen. Die Szekler, einst als Wehrbauern in den Ostkarpaten angesiedelt, gehen aber in den Plänen leer aus. Vorläufig ist das ein Wettrüsten der Fahnen, Tafeln und Büsten. Ein Präfekt ließ die Szeklerfahne abnehmen, darauf Geschimpfe zwischen Bukarest und Budapest. Der ungarische Staat steuert auftrumpfende Beflaggung bei. Ein rumänischer TV-Mogul ließ 2013 die größte Fahne der Welt ausrollen, sieben Hektar.

Ich gehe zu einer Lesung. Die neue Komödie des jungen Dramatikers Székely Csaba gipfelt in einem Streit darüber, wer angefangen hat mit dem „Töten von Frauen, Kindern und Blinden“. Die „verlausten Mamaliga-Fresser“? Oder die „nach Pferd stinkenden Barbaren ohne Land“? Gefragt, wie seine Freunde in der einzigen Szeklergroßstadt, Targu Muresch, reagieren, lächelt der schüchterne Hüne: „Manche fragen, warum ausgerechnet der rumänische Polizist die einzige positive Figur ist.“

Am Tag, nachdem 100.000 Szekler für Autonomie marschiert sind, suche ich den Organisator auf. Ferencz Csaba, Vizeobmann des Vereins „Szeklernationalrat“, ein verschmitzter Journalist mit seinem sehr ungarischen Schnauzer. Ich spreche das ungelöste Rätsel an, woher die Szekler seinerzeit gekommen sind. Sind sie nicht ein magyarisiertes Turkvolk? „Die Szekler sind ein ungarischer Stamm“, antwortet Csaba, „mit einer militärischen Identität. Wir haben keine Steuern gezahlt, unsere Steuer war unser Blut.“ Csaba will eine territoriale Autonomie, von der auch die 200.000 Rumänen des Szeklerlandes profitieren sollen. „Unser Vorbild ist Südtirol.“

Ich spreche mit den Szeklern rumänisch. Da sie lange nach Worten suchen, geben sie ideale Konversationspartner ab. Nur gewisse rumänische Worte fallen ihnen nicht ein, Vokabel wie „Verfassung“ oder „Steuern“. Alle beteuern, dass Autonomie nicht Abspaltung bedeute. Der Trafikant von Targu Secuiesc kommt gelegentlich nach Ungarn. Eine Vereinigung will er nicht: „Ungarn ist auch nur zu 40 Prozent ungarisch, es ist voller Russen.“ Ich sitze in einer der vielen herrlichen Café-Konditoreien und betrachte die Physiognomien der Szekler. Überall hängt die Szeklerfahne, blausilber glänzend, als wäre sie einem Märchenfilm entsprungen. Eine rumänische Autostopperin, die unter lauter Szeklern lebt, kommt gut mit ihnen aus. „Sie sagen nichts, aber ich weiß, was sie denken – sie wollen Unabhängigkeit.“

Das Szeklerland quillt über von Szeklerliteratur, in ungarischer Sprache. Ich frage in sieben Buchhandlungen, ob sie nicht auch ein Buch auf Rumänisch über die Szekler hätten. Sie haben kein einziges. Dabei verstanden sich Szekler und Rumänen nicht immer schlecht. Als Joseph II. den Szeklern ihre Privilegien im Salzabbau strich, rächten sich diese, indem sie Salz aus Altrumänien ins Habsburgerreich schmuggelten. Auf diese Freiheitstradition könnten auch Rumänen stolz sein.

Die Regionalisierung Rumäniens, allein zur besseren Abschöpfung von EU-Geld gedacht, dümpelt einstweilen dahin. Rumänische Politiker zitieren die EU-Richtlinie 1054/2001, wonach eine Region zwischen 800.000 und drei Millionen Einwohner zählen soll. Da trifft sich gut, dass die Szekler ohne das halb rumänische Targu Muresch nur 700.000 sind. Rumänien hat starke historische Regionen, die Regionalisierungskommission spuckt jedoch künstliche Gebilde aus. Man verschneidet das Banat mit Teilen Siebenbürgens, die Dobrudscha mit Teilen der Walachei. Damit sich nur ja niemand in seiner Region zu Hause fühlt. Das Unglück nimmt seinen Lauf. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2014)

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