Plastikwelt

Ihr Erdöl-, Ihr Weichmacher-, Ihr Duroplast-, Ihr Silikon-, Ihr Polyestergesellschaft: Ihr Aufpasser unserer Tragödie. Eine Litanei.

Ein kleines Mädchen auf Rollschuhen treibt einen Reifen vor sich her, der vom Bottich der Welt abfiel. Zbyněk Havlíček


Ihr Erdölgesellschaft, Ihr Aufpasser unserer Tragödie, mit dem eintätowierten Modell eines Galgens in Euren sprunghaften Kniekehlen, den abgeschriebenen Plastikrosen auf Euren fadenscheinigen Totenkränzen, die Ihr das Grabeslächeln beim Wort nehmt mit dem Geruch der frischen, sich mit menschl. Herzblut vermischenden Tinte – Ölhand aufs Herz! –, wie viele Äxte braucht eigentlich Euer Himmel? Und die Ihr nach unzähligen Niederschlagskilometern mit dem pumperlgesunden Menschenverstand bei Eurer Expedition, beim Flirt mit dem Tod, die himmlischen Augen der Pfauenfedern aufs Kreuz legt, wann werdet Ihr uns einen kreuz und quer und im Kreis fahrenden Omnibus voller bestattungswürdiger Vögel hinterlassen in der Höhenlage über den Luftkurorten, wo selbst das Fensterkreuz unter dem Herrgottswinkel von der Wegbiegung abkommt?


Ihr Weichmachergesellschaft, Ihr Aufpasser unserer Tragödie, vom Standpunkt Eurer öligen Fußabdrücke aus gesehen, wie viel Ausblick schenkt Ihr noch den im Gravensteinerfruchtfleisch eingeschlossenen Apfelkernen, wenn der Himmel den Schnee willkommen heißt auf den gebogenen und glitzernden Plastikgriffen der Regenschirme,Kain und Abels Lebensversicherungen auslaufen – kadavergehorsamst!, sagt neidvollder Bestatter – und die „Basstölpel“ auf Helgoland, die gänsegroßen Meeresvögel, die Stoßtaucher mit den stromlinienförmigen Körpern mit ihren langen, schmalen Flügeln, ihren fein gezähnten Schnäbeln, ihren großen Schwimmfüßen, die in schnellem Sturzflug ins Meer eintauchen, um Fische zu jagen, die beim Begrüßungsritual ihrer Artgenossen ihren Kopf senkrecht hochreckend, „Zum Himmel schauen“, sich scharenweise auf den Seeklippen in den fadenscheinigen Kunststoffabfällen strangulieren, um nichts in der Welt, auf der glanzbeschichteten und farbigen Landkarte?


Ihr Duroplastgesellschaft, Ihr Aufpasser unserer Tragödie, wann endlich dürfen wirglauben an die auf uns zukommende Hostie aus Plastik als neuer, glänzender und glanzvoller Leib Christi, die man wird öfter verwenden können auf der röm.-kath. menschl. Zunge zwischen den menschl. Lippen, damit endlich das Steak – Rindersteak? Kalbssteak? Wildschweinsteak? – als Fleisch zum Wort geworden sein wird, wenn Ihr hinter der senkrechten Wirbelsäule des von den Toten Auferstandenen Rute und Orange versteckt, der aufrechte Bischofssitz auf dem rechten, erhobenen Flügel des gelben Kanarienvogels die Schulter zuckt und mit seinem Sitzfleisch – des Sessels Kleber! – von einem Buchstabenfeld auf der beschlagenen Milchglasscheibe träumt, auf der – vor der Bruchlandung der Abfangjäger! – geschrieben steht: „Ich bin keinMädchen für die Zeitungen!“
Ihr Silikongesellschaft, Ihr Aufpasser unserer Tragödie, die Ihr mit dem wässrigen Monsun in den Mundwinkeln, palmenartig sich biegenden Zungen, mit einem D-Zug durch die Asche dieser Welt fahrt, ohne mit der Wimper zu zucken, mit dem Zuckerlächeln des Wildschweinfleisches auf den Lippen, mit der Lüge in der jungfräulichen Auster in Eurem stürmischen Mund – Ihr Freibeuter als freie Beuter! –, die Ihrdas Feuer unter den Achseln der Blinden schürt, wann glaubt Ihr denn, wirddie Worthülle des Alptraums platzen,und wann werden unter Eurer Obhut für uns die räudig zum Mond hinaufjaulenden Schakale den nächtlichen Schrecken fressen müssen?


Ihr Polyestergesellschaft, Ihr Aufpasser unserer Tragödie, mit dem gelben Todesschweiß zwischen den Milchzähnen, selbstverständlich unter der Gürtellinie des Alligators mit dem Menschengebiss, mit der Luftbrücke zwischen den Augenbrauen der verfluchten Öl-Engpässe, Ihr karwochenvioletten Haubentaucher der Ölpfützen, Ihr Konstrukteure himmelslanger Treppen aus geknickten Kunststoffseepferdchen, wann werdet Ihr zum Anlass der Kehrseite der Sonnwendfeier, wenn nur mehr die krokusfarbenen Spitzen von nadelstreifanzugmäßigen Plastikstecktüchern als Lebenszeichen verloren gegangener Grabsteine aus den friedlichen Höfen der Gottesäcker ragen, damit auch für Euer Wirtschaftswachstum, wie Ihr es geflissentlich nennt, als waidmannsheiliges Wunder, die Bäume aus der Mitte des Toten Meeres wachsen –„Oma! Wann ist das Tote Meer gestorben?“ –, wann werdet Ihr auch noch den Geruch der Blitze entzaubern und zerstäuben lassen und uns im kunstvoll schillernden Regen stehen lassen, den Ihr die neuen, uns vermaledeiten, aus der Tiefe der Bohrlöcher steigenden Sterntaler nennt? Aber dann, wie es Marcel Havrenne sagt, dann wird es eines Tages so heftig schneien, dass man die Bäcker und die Schornsteinfeger nicht mehr voneinander wird unterscheiden können. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2014)

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