Der Heimat blieb die Asche

Von der „Ekstase“ zur Mobiltelefonie oder: Wie eine Schönheitskönigin zur Erfinderin wurde. Zum 100. Geburtstag: Hedy Lamarr – von Wien in die Welt. Und ihre Rückkehr nach dem Tod.

Es war im Sommer 1914, als auf den Thronfolger Franz Ferdinand die tödlichen Schüsse fielen. Und im Spätherbst desselben Jahres, als in Wien ein besonderes Mädchen das Licht der Welt erblickte. In den turbulenten Dezennien des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts sollte es jene weitreichenden Erfahrungen sammeln, die es im Zweiten Weltkrieg zusammen mit dem Komponisten George Antheil in Amerika zu einer bahnbrechenden Entwicklung, dem Frequenzsprungverfahren, führte. Als Patent nicht, wie gehofft, im Abwehrkrieg der Alliierten gegen Hitler eingesetzt, schuf es in der Folge die technische Voraussetzung für die Mobiltelefonie. Das Mädchen hieß Hedwig Eva Maria Kiesler und wurde als skandalumwitterte Hauptdarstellerin des Films „Ekstase“ weltberühmt. Als Hedy Lamarr ging die Schönheitskönigin in die Filmgeschichte ein, als Erfinderin aber schrieb sie Geschichte.

In ihrem Leben spiegelt sich das gesamte Spektrum zwischen Angleichung und Abweichung weiblichen Rollenverhaltens. Die Eltern waren in die Metropole zugezogen, der Vater aus Lemberg, ein erfolgreicher Bankier, die Mutter, eine Budapester Pianistin, die ihre Karriere zugunsten der Mutterrolle aufgab. Bei der Geburt erwarteten sich die assimilierten und bürgerlichen Vorstellungen folgenden Eltern selbstverständlicherweise einen Knaben, der den Namen Georg tragen sollte. Es wurde ein Mädchen, noch dazu eines, bei dem von Schönheit zunächst keine Rede war. Oft wurde es als hässliches Entlein tituliert. Daran sollte es in späteren Jahren noch lange leiden.

Unterricht bei Max Reinhardt

Schon früh nahm Hedy Klavier- und Ballettunterricht. Nach dem Besuch eines Schweizer Pensionats brach sie mit 17 die Schule ab und schrieb sich in Wien für das Studienfach Kunst und Design ein. Da hatte sie bereits ein traumatisches Ereignis zu verarbeiten. Sie war von einem Boten der Wäscherei im elterlichen Haus vergewaltigt worden. Als sie zudem von einem bayerischen Industriellensohn schwanger wurde, das Kind abtrieb und eine Heirat verweigerte, erschoss sich der junge Mann aus unglücklicher Liebe zu ihr. Möglicherweise um dem Skandal zu entfliehen, fuhr sie 1930 nach Berlin und nahm bei Max Reinhardt Schauspielunterricht. Aus dem hässlichen Entlein war ein beeindruckender Schwan geworden. Reinhardt soll die junge Hedy als „schönstes Mädchen Europas“ bezeichnet haben. Sie selbst benötigte ein ganzes Leben, um den Umgang mit diesem Weiblichkeitsmythos zu erlernen. Zwischen künstlicher Maske und wirklicher Persönlichkeit schien sich eine dauerhafte Spannung zu entwickeln.

Ganz zum dramatischen Drehbuch passend, spielte die junge Hedy im Theater an der Wien in der Operette „Sissy“, einem Stück über Kaiserin Elisabeth, als ihr der begeisterte Fritz Mandl, im Publikum sitzend, erlag. Im Hochsommer des Jahres 1933 gab sie ihm in der Wiener Karlskirche das Ja-Wort. Mandl stammte aus einer klassischen jüdischen Familie. Zugezogen aus Mähren, war den einzelnen Mitgliedern durch Geschick der soziale Aufstieg in der Metropole gelungen. Als Ärzte und Kaufleute machten sie nicht nur Karriere, sondern auch Vermögen. Eine besondere Rolle spielte ein Onkel, Ignaz Mandl. Als Mentor und Lehrer von Karl Lueger gilt der Wiener Gemeinderat als Wegbereiter für den politischen Aufstieg des christlich-sozialen und antisemitischen Wiener Bürgermeisters. Aber auch die Kunst war in der Mandlschen Ahnenreihe von Bedeutung. So hatte Irene, die Schwester von Arthur Schnitzlers Mutter Louise, in die Familie Mandl eingeheiratet, und Julius Mandl schrieb als Joe May in Deutschland mit seiner Agentur Filmgeschichte.

Fritz Mandls Vater, Alexander, besaß in Baden bei Wien die Hirtenberger Patronen-Zündhütchen-Metallwarenfabrik AG und konnte das Unternehmen 1916 auf einen Höchststand von mehr als 4000 Beschäftigten bringen. Die lukrative Rüstungskonjunktur brach jedoch mit dem Friedensschluss zusammen. Der jungen Republik gestattete man als Kriegsverlierer mit Ausnahme einer „Staatsfabrik“ nur mehr zivile Produktion. Um im internationalen Waffengeschäft konkurrenzfähig zu bleiben, wurde eine Verlagerung der Unternehmensbeteiligungen notwendig. Als Nachfolger seines Vaters transferierte Fritz Mandl den organisatorischen Umschlagplatz seiner Geschäfte und einige Standorte durch kluge Schachzüge ins Ausland. Durch taktisches Geschick avancierte er zu einem der erfolgreichsten Waffenfabrikanten der Ersten Republik. Er verwandelte die Hirtenberger AG zu einer der führenden Munitionsfabriken der Welt.

Waren die Jahre nach 1918 und verstärkt nach dem Justizpalastbrand von 1927 politisch, ökonomisch aber auch sozial durch massive Konflikte und hohe Gewaltbereitschaft gekennzeichnet, so zeigte der Beginn des Jahres 1933 für Fritz Mandl persönlich einen Umbruch. Der erfolgreiche Waffenfürst eroberte eine Schönheitskönigin zu einem Zeitpunkt, als der Film „Ekstase“, in dem sie eine Hauptrolle spielte, bereits fertig gedreht war. In dem berühmt-berüchtigten Film des tschechischen Regisseur Gustav Machatý debütierte Hedy Kiesler in einer Nacktszene. Der Film wurde zum internationalen Skandal und weltweiten Kinohit – die junge Hauptdarstellerin zu einem Star. Mandl versuchte, alle im Umlauf befindlichen Kopien des Films aufzukaufen. Da er hohe Preise zu zahlen bereit war, wurden immer mehr Kopien auf dem Markt erhältlich, und schließlich musste er das Scheitern seines Ansinnens erkennen.

In den diversen Mandlschen Domizilen lebte man in beeindruckendem Luxus und bahnte bei den Gesellschaften gleichzeitig lukrative Geschäfte an. Hedy kam in diesem Schauspiel eine wichtige Rolle zu. Sie brillierte bei den prominenten Gästen als vorzeigbarer Dekor des Hausherrn. So soll ihr Hitler die Hand geküsst und Benito Mussolini den Sessel gehalten haben, wie sie in ihrer Autobiografie berichtet. Von den exklusiven Diners in Wien führten die Einladungen in die Villa Mandl auf das Gut Fegenberg – nach Schwarzau im Gebirge. Dort frönte man zusammen mit dem Nachbarn Fürst Rüdiger von Starhemberg dem Jagdvergnügen und konnte in der Abgeschiedenheit der Natur zudem leicht Geschäftliches lösen. Starhemberg war 1930 zum neuen Führer der paramilitärischen Heimwehr aufgestiegen. Deren öffentlichen Provokationen bei Aufmärschen gegen den sozialdemokratischen Schutzbund erhöhten die allgemeine Gewaltbereitschaft. Die Umsturzversuche nationalsozialistischer Kreise taten ein Übriges, dass in der jungen Republik ein Klima der permanenten politischen Instabilität herrschte.

Der ungarische Reichsverweser Miklós Horthy war, ebenso wie Mussolini, für Starhemberg ein politischer Gesinnungspartner, der an der Festigung seiner autoritären Führung arbeitete. Mit der Hilfe von Fritz Mandl sollten schließlich in einer groß angelegten Waffenschmuggelaktion Gewehre von Italien über Österreich nach Ungarn verschoben werden. Man wollte sowohl der österreichischen Heimwehr als auch dem benachbarten, antidemokratisch geführten Magyarenland eine bessere Bewaffnung ermöglichen, verstieß damit jedoch gegen die Friedensverträge. Die illegalen Schiebereien wurden entdeckt und gingen als Hirtenberger Waffenaffäre in die Geschichte ein, die in Österreich die politischen Gegensätze weiter verschärfte.

Mit Louis B. Mayer nach Hollywood

Mandls Frau glänzte nicht nur als attraktive Gastgeberin, sondern erfuhr bei den zahlreichen Gesellschaften gleichzeitig viel über Waffen. Dieses Wissen sollte sie mit über den Atlantik nehmen. Da die Schöne von ihrem Mann nicht nur verehrt, sondern eifersüchtig bewacht wurde, erträumte sie bald die Freiheit und floh aus der Beziehung. 1937 wurde sie geschieden. Sie reiste über Paris nach London, wo sie Louis B. Mayer traf und mit ihm nach Hollywood fuhr. Der Filmmogul und seine Imagesucher versorgten die Schauspielerin mit dem untrüglichen Kennzeichen von Grazie und Erhabenheit. Sie gaben ihr das Image eines kalten Marmortyps und einen neuen Namen: Hedy Lamarr! Mit beiden Attributen wurde sie zu einem internationalen Star aufgebaut, was jedoch nur zeitweise gelang. Hedy zeigte bei der Wahl der Drehbücher keine gute Hand, galt bei den Filmarbeiten als exzentrisch und verstrickte sich zudem immer wieder in sie zermürbende Liebesabenteuer. Fünf Verehelichungen und drei Kinder waren die Bilanz einer Frau, deren gescheitelten dunklen Haare und ihre extravaganten Hüte nachahmenswerte Attribute weiblicher Schönheit wurden.

Ihre Flucht vor einem dominanten Ehemann ersparte ihr die Flucht vor dem Nationalsozialismus. Auch Fritz Mandl, mit zunehmendem Antisemitismus konfrontiert, verlagerte 1937 sein Tätigkeitsfeld ins europäische Ausland und schließlich über den Atlantik. Nun betrieb er von Argentinien aus die Geschäfte. Seine Exfrau Hedy hingegen betätigte sich in Amerika nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges als Pazifistin. Als Hollywoodschauspielerin lernte sie den Avantgardekomponisten George Antheil kennen. Er erzählte ihr von seinem „Ballett für 16 mechanische Klaviere, Sirene und Flugzeugpropeller“, bei dem er alle Instrumente synchronisieren wollte. Bei der Lösung des Problems entwickelten beide das Frequenzsprungverfahren. Ihr Anliegen war Friedensarbeit, um den Alliierten zum Sieg zu verhelfen. Sie erkannten, dass durch synchronen Frequenzwechsel die feindliche Kontrolle des Funkverkehrs unterbrochen werden konnte. Um einen Torpedo optimal fernzusteuern, musste man ihn vor feindlichen Störsendern schützen. Die beste Möglichkeit sahen sie in ständig wechselnden Frequenzsprüngen. 1940 präsentierten sie ihre Entdeckung vor dem Erfinderrat, 1942 wurde sie patentiert, jedoch vom Militär ignoriert. Der Zweite Weltkrieg ging ohne den Einsatz blutig zu Ende, das Patent lief 1959 ab. Das Frequency-Hopping, wie es in der Folge genannt wurde, bildete jedoch die Basis für das Bluetooth-Verfahren und damit die technische Grundlage für die mobile Telefonie.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es um Lamarr als Filmdiva immer ruhiger. Das Alter versuchte sie mit Schönheitsoperationen zu retouchieren, ihr wirkliches Leben durch freizügige Memoiren zu kaschieren. Ihr Buch „Ekstase und ich“ erschien 1966. Als gute „Fünfzigerin“ erregte sie nochmals die Gemüter, als sie, wegen Ladendiebstahls festgenommen, durch die Gazetten funkelte. Sie betörte vor Gericht mit einem derart überzeugenden Auftritt, dass man sie freisprach. Die letzten 30 Jahr ihres Lebens verbrachte sie zurückgezogen. Ihren großen Erfolg verbuchte sie nicht als Schönheitskönigin, sondern als Erfinderin. 1989 erhielt sie die Viktor-Kaplan-Medaille, eine Auszeichnung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, die als höchste Ehrung für eine Erfinderin gilt.

Hedy Lamarr starb im Jahr 2000. Ihren letzten Wunsch, die Asche in Wien zu verstreuen, erfüllten Tochter Denise und Sohn Anthony. „Am Himmel“, hoch über Wien, ließen sie Teile der Überreste vom Winde verwehen. In Deutschland begeht man ihr zu Ehren den Tag der Erfinder am 9. November, dem Geburtstag der einstmals schönsten Frau der Welt. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2014)

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