Das Schöne in Stepnogorsk

In der Serie „Expedition Europa“: was Chinesen in die südukrainische Steppe führt.

Versprochen ist versprochen, mein Mentor wäre von mir enttäuscht, ich werde daher in Stepnogorsk nur das Schöne suchen. Über diese Satellitensiedlung einer eingestellten Manganmine wird erzählt, dass nur noch verzweifelte Pensionisten ohne Wasser und Kanalisation ausharren; wer keine Gaskartuschen schleppt, erfriert; undwenn der Ukraine nicht sogar dafür das Geld fehlen würde, wären die paar Dutzend Plattenbauten schon plattgewalzt. Schluss mit dem Schwelgen in Tableaus des postsowjetischen Elends, ich will positiv sein.

Ich hörte von Stepnogorsk, als mich Beruf und Neigung öfters in einen unsittlichen Landstrich der südukrainischen Steppe führten, in die Atomstadt Energodar, an den gewaltigen Dnjepr-Stausee „Kachowsker Meer“ und auf das freie Feld der Machno-Anarchisten und Saporoger Kosaken. Ich hatte ein kleines Sparbuch, und mein Lieblingstaxler, San Sanytsch, ein soignierter Gentleman in einem schwarzen Mercedes, hatte einen Rat: „Wenn ich was übrig hätte, würde ich Wohnungen in Stepnogorsk kaufen. Du kaufst für 5000 Dollar und verkaufst für 25.000. Da kannst du nichts falsch machen – die Chinesen kommen!“

20 Jahre nach Schließung der Mine lag eine Fantasie in der Luft: Die chinesische Hongxin Group kündigte die Wiederaufnahme des Bergbaus an, Investitionen von 500 Millionen Dollar. Ich ließ mir den Manganmarkt erklären. Weltmarktführer China habe bereits eine Überproduktionskapazität für Manganlegierungen, das ukrainische Mangan sei ebenso wie das chinesische „low grade“ – warum sollten die Chinesen noch mehr minderwertiges Mangan brauchen?

Pompös-psychedelischer Punkrock

Ich zögerte. Fragte gelegentlich nach. Kaufte vorerst nicht. In diesem Winter der quälenden ukrainischen Aufstände wollte ich es endlich wissen. Ich hatte das Glück, dass meine schriftliche Anfrage an einen Insider gelangte, der mich googelte, lustig fand und in sein Büro einlud. Kurz hielt ich meinen Mentor für ein nettes Opilein, da stellte er mir sein Hobby vor. Die Kanzlei wurde von pompös-psychedelischem Punkrock durchpulst, mit selbst gefertigten Texten auf Deutsch, in denen sich „Kameraden“ auf „Barrikaden“ reimte.

Der Beamte lächelte. „Alle paar Monate kommt eine chinesische Delegation“, erzählte er, „ich bin immer dabei.“ Einer sei ihm aufgefallen, der als Geschäftsmann kam und ein halbes Jahr später als Mitglied der Diplomatengruppe. „Das ist bestimmt ein Militär, ich erkenne das. Er spricht sehr gut Russisch.“ –„Soll das heißen, ein Agent? Spionieren die nur?“ – „Das ist jetzt deine Erfindung.“Mein Mentor legte noch so eine wüste Nummer auf. „Deutsche Soldaten mit Offizieren / nachts durch Moskau gehn spazieren“, begann sie. Die Chinesen, meinte er, hätten das Projekt eingefroren. Bevor ich mich Richtung Stepnogorsk verabschiedete, ermahnte er mich: „Lass die übliche Schwarzmalerei! Beschreib lieber, wie bewundernswert die Stepnogorsker durchhalten!“

Und tatsächlich. Nur wenige Plattenbauten sind verlassen, viele pendeln in die nahe Großstadt Saporoschje. Ich gehe ein Stiegenhaus hinauf. Die Klappen des Müllschluckers sind so sauber verschweißt, als wäre es nie anders gewesen. Es gibt junge Menschen. Richtig schlimm, sagen sie, ist es drüben im Dritten Mikrobezirk. Ich wandere hinüber. Ach, diese miesepetrige Journaille, ich sehe als Erstes einen Haufen Kinder. Die Schule frisch renoviert, mit weißen Gardinen in zwölf verschiedenen Mustern. Die Kaffeemaschine im Kaufhaus, das einen „nun wirklich sehr leckeren italienischen Espresso“ bewirbt, ist ausgefallen; sonst passt hier fast alles. Stepnogorsk lebt, und die Ukraine ist noch nicht gestorben. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2014)

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