Keine Heilige für das Land

Eine kolumbianische Nonne oder: Herztransplantation im 18. Jahrhundert. "Also gab es die erste Herztransplantation in Kolumbien bereits vor 1727.“ Mein lässiger Satz hätte mir fast eine Ohrfeige aus weiblicher Hand eingetragen.

"Also gab es die erste Herztransplantation in Kolumbien bereits vor 1727.“ Mein lässiger Satz hätte mir fast eine Ohrfeige aus weiblicher Hand eingetragen. Denn Doña Angela, meine Führerin durch die Frauenmystik im kolonialen Lateinamerika, verehrt die Herz-Jesu-Ikone, der ganz Kolumbien anhängt.

Wir pilgerten gerade durch den Kirchenraum des vorbildlich renovierten Santa-Clara-Klosters in Bogotás Altstadt, wo im 17. und 18. Jahrhundert Clarissinnen nach strengsten Ordensregeln residierten. Eine von ihnen, Jerónima Nava y Saavedra, verstorben 1727 nach 43 Klausurjahren, hatte eine „Autobiografía de una monja venerable“ hinterlassen, ein Dokument, welches ich dank Angelas Betreuung in Bogotás Nationalbibliothek einsehen durfte. Darin schildert sie, angefeuert von ihrem Beichtvater Juan de Olmos (er steuerte ein Vorwort bei und hat wohl auch den Text redigiert), ihre Visionen, bei denen viel Blut strömt, gipfelnd im Herztausch mit Jesus.

Als ungläubiger Katholik, der einiges von Entwicklungstheorie versteht, aber nichts von Nonnen-Mystik weiß, verstörte mich der in gestochener Handschrift vorliegende Text. Denn die Nonne Jerónima, bereits als Kind ins Kloster gesteckt, zeigte keineswegs die Verzückung wie im Gesicht der von Gian Lorenzo Bernini unübertroffen ausgearbeiteten Marmorstatue der heiligen Teresa von Avila, sondern stöhnte unter der Last der Erscheinungen: Sie trinkt Blut aus Jesu Seitenwunde, erleidet mit ihm die Schmähungen der Ungläubigen, windet sich in Unterleibskrämpfen, spürt die göttlichen Liebespfeile im eigenen Körper. Und tauscht mit Jesus mehrmals das Herz. Freude war wenig dabei. Daher überrascht es nicht, dass Jerónima, sich selbst demütig als „yo, pobre, ignorante, ciega“ (Ich, arm, unwissend, blind) darstellend, einmal rebelliert, indem sie Jesus, der sein Herz nach einem Tausch wieder einfordert („Gerónima, dáme mi corazón“), dies verweigert und es nicht zurückgeben will. „Na gut“, lenkt Jesus schließlich ein, „aber dann musst du auch alle Sündenlasten tragen.“

Geplagt von Zweifeln

Der Herztausch lässt sich in der prächtigen Heiligengalerie des Santa-Clara-Klosters anhand eines großformatigen Ölbildes anschauen, angefertigt von Schülern des kolumbianischen Kolonialkünstlers Gregorio Vázquez: flammende Herzen im händischen Tausch, züchtig, voll bekleidet, ohne Anzeichen erotischer Verzückung (wie bei Teresa von Avila).

Uns plagt ein Zweifel. Figuriert auf dem Bild überhaupt die kolumbianische Nonne, die schließlich nie selig gesprochen wurde? Wohl nicht, meint meine spirituelle Betreuerin Angela, sondern eher die heilige Gertrud, eine der intensivsten Mystikerinnen aus dem Kloster Helfta beim deutschen Eisleben, wo im Hochmittelalter eine Nonnenschar betete, komponierte, dichtete und alle möglichen Erfahrungen blutströmender Visionen, Herztausch eingeschlossen, erprobte.

Aber wie wusste eine kolumbianische Nonne um die Erscheinungen deutscher Mystikerinnen aus dem 13. Jahrhundert? – Weil, so die kundige Antwort, Spaniens Krone deren poetische Werke aus dem Lateinischen ins Spanische übersetzen ließ und Gertrud von Helfta als „Patronin Lateinamerikas“ zur Schlüsselfigur aufbaute, was die heutige Herz-Jesu-Verehrung überall auf dem Subkontinent nährt.

Getrieben von ihrem Beichtvater Juan de Olmos, erpicht auf eine Heilige in seinem Kloster, sollte die Nonne Jerónima nach Gertrud von Helfta deutsche Muster wiederholen: koloniale Mimikry auch im Religiösen! Allerdings, wie aus dem freudlosen, fast sadomasochistischen Text ersichtlich: Verzückung, allen Ermahnungen und Kasteiungen zum Trotz, blieb ihr verwehrt. Also keine Heilige für Kolumbien! ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)

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