Jetzt boomt der Bauch

Kopfdenker oder Bauchdenker?
Kopfdenker oder Bauchdenker? (c) AP (Diether Endlicher)
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„Die Kraft der Intuition“, „die Intelligenz des Unbewussten“, „die Weisheit der Gefühle“. Ist unser Weltbild zu kopflastig? Die aktuelle Bauchgefühlsliteratur.

Wörter machen Sachen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich das erste Mal hörte, dass ein Freund von mir - damals auf die Frage eines Bekannten, die ich nicht verstanden hatte - triumphierend antwortete: "... aus meinem Bauch heraus!" Wovon mochte hier wohl die Rede sein? sIntuitiv konnte ich mir nichts anderes vorstellen, als dass mein Freund sich irgendetwas aus dem Bauch hatte herausoperieren lassen. Mir wurde regelrecht mulmig. Denn intuitiv fielen mir dazu nicht nur die Wörter "Magengeschwür" und "Darmkrebs" ein, sondern auch jener "Alien"-Film, in dem einem bedauernswerten Astronauten das scheußliche außerirdische Jungmonster aus dem Bauch fährt wie ein schleimiger Torpedo mit Zähnen.
Kurz: Ich konnte mir zunächst keinen Reim darauf machen, weder intuitiv noch durch Schlussfolgerung aus irgendwelchen mir bekannten Tatsachen, was das auftrumpfende Gehabe meines Freundes zu bedeuten hatte. Doch dann, als das Gespräch weiterging, begriff ich. Mein Freund hatte "aus dem Bauch heraus" entschieden, sein Aktienpaket XYZ gegen wertgesicherte Staatsanleihen einzuwechseln, sodass er von dem gerade laufenden Kursverfall der XYZ-Aktien nicht betroffen war. Glück? Nein, Intuition!

Denn wie schon das Wort "Intuition" sagt: Intuition ist nicht bloß Glück. Und wie schon das Wort "Bauch" sagt: Was aus dem Bauch kommt, kommt nicht aus dem Hirn! Ich mochte die mittlerweile geflügelte Wendung "Das kommt aus dem Bauch" nie wirklich leiden, es sei denn, sie bezieht sich auf Babys. Babys kommen "aus dem Bauch", das ist in Ordnung. Aber Einfälle, Ideen, Entscheidungen?
Ich finde es abstoßend, derlei "Sachen" aus dem Bauch kommen zu lassen, und zwar aus einem Grund, den kein Geringerer als Immanuel Kant in seiner Abrechnung mit dem berühmten Medium und Geisterseher Emanuel Swedenborg (1688-1772) folgendermaßen umschrieb: "Wenn ein hypochondrischer Wind in den Eingeweiden tobt, so kommt es darauf an, welche Richstung er nimmt, geht er abwärts, so wird daraus ein F, steigt er aber aufwärts, so ist es eine Erscheinung oder heilige Eingebung."
Doch die Zeiten ändern sich, und so heißt eines der Sachbücher, die diesen Bücherherbst zieren, "Bauchentscheidungen", und ein anderes heißt: "Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft". Dabei geht es stets um so "Sachen" wie "die Intelligenz des Unbewussten", "die Macht der Intuition", "die Kraft der Intuition" oder gar "die Weisheit der Gefühle", lauter Untertitel, die nichts Geringeres anzeigen als die Revolutionierung unseres bisher allzu kopflastigen Weltbildes. Der Bertelsmann Verlag wirbt für das Buch "Bauchentscheidungen" seines Autors Gerd Gigerenzer, Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, mit dem Satz: "Das heutige Wissen über das Bauchgefühl revolutioniert unser Bild vom menschlichen Verstand." Gigerenzers Buch, so der Werbetext des Verlags, biete eine "in mancher Hinsicht geradezu revolutionäre Lektüre". Willkommen in der Weltbildrevolutionierungsliteratur! Wie gesagt, Wörter machen Sachen. Da aber keiner der Bauchgefühlsexperten, die ich für diese Rezension studierte - das sind, außer Gigerenzer, die Wissenschaftsjournalisten Bas Kast und Gerald Traufetter -, mir verständlich machen konnte, was der Bauch mit der Intuition zu tun hat, halte ich mich vorerst an Letztere. Denn schon dieses Wort - INTUITION - bezeichnet eine "Sache", unter der sich eine große Mannigfaltigkeit ganz unterschiedlicher Situationen verbirgt.
Hier eine Sammlung typischer Beispiele, die zum Teil von mir, zum Teil aus den von mir gelesenen Büchern stammen.
13 Sommer lang vertraute der Amerikaner Timothy Treadwell darauf, dass er sich den Grizzlybären in Alaska beliebig nähern dürfe - bis ihn ein hungriger Bär 2003 anfiel und tötete. Treadwell hatte stets beteuert,s "intuitiv zu wissen", dass ihm nichts passieren könne, während alle Bärenkenner nicht s8;0intuitiv, sondern aus gut belegten Erfahrungen wussten, dass es mit Treadwell ein schlechtes Ende nehmen werde. sDaraus lernen wir, dass Intuitionen unter Umständen lebensgefährlich sind.


Nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 kam es zu einem deutlichen Rückgang der Passagierzahlen. Denn nun fürchteten sich viele US-Bürger vor weiteren Flugzeugkidnappings mit terroristischem Ausgang. "Intuitiv schätzten" sie die Wahrscheinlichkeit, im eigenen Auto sicher zu reisen, als höher ein. Diese intuitive "Schätzung" war grundfalsch und hatte zur Folge, dass es - wie man berechnete - im Terrorjahr in den Vereinigten Staaten etwa 1600 Tote infolge von Autounfällen mehr gab, als es ansonsten der Fall gewesen wäre.


Dass Intuitionen, wenn schon nicht lebensgefährlich, so doch oft gefährlich sind, sollte gar nicht eigens erwähnt werden müssen. Angesichts der Intuitionen-Euphorie, die zurzeit grassiert, mag es indessen nicht schaden, auf die verhängnisvolle Rolle kultureller Vorurteile hinzuweisen, die mit zum Teil ererbten Abwehrmechanismen verzahnt sind. Bestimmte Gesichter beispielsweise "mögen wir intuitiv nicht". sUnter den Nazis waren es die tausendfach hasskarikierten Juden-Physiognomien, und heute sind es unter christlichen Weißen garantiert alle, die auch nur entfernt so ähnlich ausschauen wie jene Mullahs, die im Fernsehen Allah und seinen Propheten lobpreisen.


Die Kindchenschema-Forschung hat Folgendes herausgefunden: Frauen wie Männer finden reale Frauengesichter "intuitiv hübscher und sympathischer", wenn ihren Gesichtszügen im Computer Anteile der typischen Merkmale eines Kleinkindergesichts beigemengt werden. Demgegenüber "misstrauen wir intuitiv" Politikern mit Mondgesicht, mit großen Augen, Stupsnasen sund schmalem Kinn - während wir uns dem Schwarzenegger-Typ "intuitiv zuwenden": Er scheint uns vertrauenswürdig und kompetent. Das leitet über ins fragwürdige Gebiet der moralischen Intuitionen. Schon Konrad Lorenz machte sich in seinem Klassiker "Das sogenannte Böse" über Kants Vernunftethik lustig: Dem Königsberger Philosophen zufolge müsse sich eine Mutter, die im Fluss ihr Kind vorübertreiben sehe, zuerst überlegen, ob sie die Maxime ihres Handelns ("Ich will mein Junges aus der Gefahr retten") zu einem moralischen Gesetz verallgemeinern könne ("Eltern sollen ihre Kinder aus der Gefahr retten"). Erst dann, so Lorenz, dürfe laut Kant die Mutter ihrem Kind in den Fluss nachspringen, was zur Folge hätte, dass das Kind inzwischen bereits ertrunken wäre. Gott sein Dank, sagt Lorenz, reagieren in einer solchen Situation die meisten Menschenmütter nicht anders als eine Affenmutter. Sie "helfen intuitiv", ohne nachzudenken!


Dazu ist zweierlei zu sagen: Erstens, in der Moral _ ähnlich wie in vielen Lebenssituationen - könnte aufgrund des enormen Zeitdrucks nicht effektiv gehandelt werden, falls es nicht bestimmte Reiz-Reaktions-Ketten gäbe, die entweder angeboren oder durch Training automatisiert sind. Man mag das entsprechende Verhalten dann "intuitiv" nennen, etwa wenn eine Mutter selbstlos handelt oder ein Pilot sich innerhalb von Sekunden für eine Notlandung entscheidet. Aber man darf dabei nicht vergessen, dass keine Intuition eine Garantie ihres Gelingens in sich birgt. Wenn die Mutter selbst nicht schwimmen kann, wäre es besser, um Hilfe zu rufen; und nachdem bei der Notlandung der Großteil der Passiere ums Leben kam oder schwer verletzt wurde, stellt sich vielleicht heraus, dass es besser gewesen wäre, noch einmal durchzustarten.


Zweitens aber: Kant wusste selbst, dass man in der Moral ohne intuitives Handeln nicht auskommt. Es ist überhaupt typisch fürs die vorliegende Intuitionen-Literatur, dass sie die Philosophen, Achtung: Kopfdenker!, dümmer macht, als sie es jemals waren. Doch Kant wusste anscheinend besser als die heutigen Bauchdenker, dass sich hinter moralischen "Intuitionen" häufig eigensüchtige Interessen verbergen, die sich moralisch aufmascherln und damit vor den Ausgenützten rechtfertigen wollen. Hatten die Herren dieser Welt nicht jahrtausendelang eine geradezu "heilige Intuition", nämlich die, dass es eine natürliche Ungleichheit der Menschen nach Rasse, Geburt, Religion, Stand und Geschlecht gebe? Deshalb versuchte Kant, die Moral unter die Vernunft zu stellen, was er in die zugegebenermaßen wenig bauchgefühlige Formel fasste, dass die begründbare Pflicht auch dann noch gelte, wenn schon "keine Neigung (,Intuition`)" mehr vorhanden sei.

Ich unterschied bis jetzt sechs, sieben nichtrationale Arten, wie eine Einstellung oder Handlung zustande kommt. Sie alle haben ihre eigene Funktion und "Logik", vermutlich unterschiedliche gehirnphysiologische Grundlagen und mit Sicherheit nichts mit dem Bauch zu tun. Dennoch sind wir mehr oder weniger gewohnt, sie alle mehr oder weniger unter den Begriff "Intuition" zusammenzufassen. Mehr oder weniger. Wörter machen eben Sachen. Was die Bücher über Intuition, Bauch und Gehirn, die ich bisher las, irgendwie flatterhaft macht, ist der Umstand, dass sie, schaut man genau hin, kein wirklich einheitliches Thema abhandeln. Es ist überall ein bisschen von diesem und jenem drinnen.

Und nun höre ich schon die Interessierten unter meinen Leserinnen - die laut Simon Baron-Cohen, Autismusexperte an der englischen Cambridge University, ein Einfühlungshirn besitzen, das sogenannte E-Hirn - ungeduldig fragen: "Was ist denn mit den Spiegelneuronen?" Keine Sorge, auch diese neuen Stars der Gehirnforschung werden gewürdigt, besonders bei Traufetter, denn sie sollen es ja sein, die für unser Ein- und Mitfühlen verantwortlich sind. Sie sind es, die bewirken, dass der innere Nachvollzug des Gefühls einer Person A durch eine Person B darin besteht, dass sich in B's Gehirn an jenen Stellen etwas zu rühren beginnt, die bei A voll gefühlsaktiv sind. Die Spiegelneuronen heißen deshalb Spiegelneuronen, weil sie bewirken, dass sich in unserem Gehirn die innere Welt des jeweils anderen "spiegelt", sobald wir uns im intuitiven Zustand der Empathie befinden. Das kann soweit gehen, dass Gretel in dem Moment, in dem sie die verbrannte Hand von Hans sieht (oder davon hört, wie dessen Haut auf der heißen Ofenplatte zischte), Hansens Brandschmerz zu fühlen glaubt. Und heute wissen wir dank der Gehirnforschung: Gretel glaubt nicht nur, Hansens Schmerz zu fühlen; sie fühlt ihn wirklich!


Und die Genies, was ist mit den Genies? Klar, in einer Systematik des Begriffs "Intuition" - als Mann besitze ich übrigens ein intuitionsdummes Systematikerhirn, das sogenannte S-Hirn - dürfen die Superkreativen nicht fehlen. Also bitte: In Archimedes blitze es beim Hineinsteigen in die Badewanne auf: "Heureka!" Seither wissen wir, wie sich das Volumen von Gegenständen bestimmen lässt. Newton fand das Gravitationsgesetz, weil er, unter einem Apfelbaum liegend, einen Apfel beim Herunterfallen beobachtet hatte. Und Kekulé träumte von einer Schlange, die sich in den Schwanz beißt, was ihn auf die chemische Struktur des Benzolrings brachte. Daraus lernen wir vor allem, dass es ganz ohne "geniale Intuition" nicht geht, soll Exzellenzforschung auf Dauer möglich sein.
Ach ja, und dann die Savants, die "Wissenden" unter den Autisten: Wie machen sie das, wenn sie uns die ersten 22.500 Stellen hinter dem Komma der Zahl Pi (= 3,14159...) aufsagen oder jedes Detail der Fassade des Mailänder Doms zeichnen, nachdem sie ein einziges Mal an ihr vorbeigegangen sind? Die Antwort lautet: intuitiv! Dabei weiß die Gehirnforschung längst, dass es die mangelnde Aktivität in bestimmten Teilen von Autistengehirnen ist, die es anderen Hirnteilen ermöglicht, sich über das normale Maß hinaus phänomenal zu entfalten, was in manchen Fällen zu "Superman-artigen Intuitionen" führt.
Über vieles wäre noch im Einzelnen zu berichten, doch als Rezensent spüre ich bereits ein gewisses Nachlassen der inneren Spannung. Geht es Ihnen beim Lesen meiner Rezension ähnlich? Wenn ja - was ich Ihnen keineswegs verübeln könnte -, würde ich mich mit der Begründung aus der Affäre ziehen, dass man einem Rezensenten fairerweise nicht mehr an Spannung abverlangen sollte, als die Bücher hergeben, die er rezensiert. Angekündigte Revolutionen verlieren leicht an Schwung im Rascheln der vielen eng bedruckten Seiten, die beim Lesen alle umgeblättert werden müssen.


Dabei trieb es Bas Kast regelrecht wild. Er flog nach Sydney, um sich dort am "Centre for the Mind" durch "Abschaltung" seiner linken Gehirnhälfte mittels eines Medtronic MagPro X 100 Magnetstimulators in einen Savant verwandeln zu lassen. Das berichtet er am Anfang seines Buches, ich glühe als Rezensent vor Spannung, muss aber bis zum Ende ausharren, um dann Folgendes zu erfahren: Die Zeichnung, die Kast von seinem Lieblingsstoffhund (!) vor der Behandlung mit dem Magnetstimulator anfertigte, war wesentlich weniger detailreich als danach.


Gierig betrachte ich beide Bilder: Bas Kast ist offenbar ein eklatanter Fall von zeichnerischer Minderbegabung, der eine Hund schaut so zerquetscht aus wie der andere. Das ist es, was die Bilder vor und nach der Behandlung zeigen, der Leser sollte sich also eher auf den "herrlichen eigenen Sound" freuen, zu dem _ laut Werbetext des S. Fischer Verlags _-Kast gefunden hat, ich weiß nicht, mit oder ohne MagPro X 100.
Und es ist auch dieser herrliche eigene Sound, der am deutlichsten durchklingen lässt, worum es bei der Intuitionen-Literatur geht. sWährend Gerd Gigerenzer dem Leser einzuschärfen versucht, dass es trotz des Titels seines Buches, "Bauchentscheidungen", gerade nicht um den Bauch geht - man merkt, dass Gigerenzer eine akademische Reputation zu verlieren hat -, legt sich Bas Kast gleich auf den ersten Seiten ins Zeug. Unsere abendländische Kultur sei von den Ideologen des Verstandes, das sind die Männer, behext: "Es waren die Männer, die die Ratio - sprich: sich selbst - vergöttlichten, während sie die Frauen auf ,Gefühlsduselei` und das Musische reduzierten und damit abwerteten."
Aber jetzt wird dank der Gehirnforschung (in der, nebenbei gesagt, an führenden Positionen fast nur Männer tätig sind) alles anders. Nämlich wie? Nach weiteren 170 Seiten erfahren wir es dann, leider scheint Kast mittlerweile selber langweilig geworden zu sein. Denn er schreibt das langweiligste Resümee, das ich kenne: "Aus all diesen Befunden allgemeine Schlüsse zu ziehen ist nicht leicht... Vielmehr besteht unser Gehirn aus vielen unterschiedlichen Teilen, aus verschiedenen Kräften und Gegenkräften." Und so weiter.

Das erinnert an einen der vielen Sätze aus Oswald Wieners "Verbesserung von Mitteleuropa", der da lautet: "Aus vielen Sätzen folgt erst recht ein Schmarrn." Was die aktuelle Bauchgefühlsliteratur betrifft, so kann ich diesem Satz Wieners nur beipflichten.

Wie in den von mir gelesenen Büchern die exzellentesten Gehirnforscher in ihren Exzellenzlabors zwischen ihren Geräten immerfort hin- und hereilen, zwischen Elektroenzephalographen, Kernspintomographen, Magnetresonanzstimulatoren, um der Intuition auf die Schliche zu kommen und auf die Sprünge zu helfen, das lässt Großes erwarten. Doch wenn wir von den Ebenen der seriösen wissenschaftlichen Kleinarbeit einmal absehen, dann werden wir von den Autoren der Bauchgefühle in die dünne Luft des Weltbildwandels gehoben.

Hier nun hat die Verschmelzung zwischen hochtechnischer Experimentalwissenschaft am Gehirn und der Magie von Wörtern wie "Intuition", "emotionale Intelligenz" oder "Weisheit der Gefühle" fast etwas Religiöses. Ist es nicht so, dass sich das Göttliche stets im Intuitiven verbirgt und nicht im rechnenden Verstand? Dass es sich in spontanen Bildern und Gefühlen, in irrationalen Gewissheitsschüben offenbart statt im Begriffsgeklapper der Gottesbeweise?
sKein Wunder also, dass denjenigen, die sich bei der Internet-Buchhandlung Amazon mit Bauchgefühlsliteratur eindecken, wenig später Empfehlungen bekommen, die im Gebiet der Esoterik angesiedelt sind ("Leser, die dieselben Bücher wie Sie bestellt haben, haben auch noch folgende Bücher bestellt...").
Doch die Signale sind nicht eindeutig, und das erst macht den Intuitionen-Boom aus. Denn dieses Thema spricht die Mystiker unter uns gleichermaßen an wie die Realisten. Gerald Traufetter, Wissenschaftsredakteur des aufgeklärten Magazins "Der Spiegel", weiß intuitiv, was er seiner Leserschaft schuldig ist: Die Neurologen werden mit ihren Maschinen "Einzug in den Gerichtssaal" halten, Verstand und Gefühl sind dabei, "wieder stärker vermählt" zu werden, die Intuition gilt bei Managern "zunehmend als ein Talent von einzigartigem Wert". Ob das alles zu einem humaneren Menschenbild führt? Das will Traufetter nicht entscheiden, eines aber ist gewiss: "Es wird jedenfalls ein realistischeres sein" _ was immer das heißt, ich hoffe, es heißt nicht allzu viel.


Denn wenn ich an dieser Stelle nicht meinem Bauch, sondern meinem historischen Gedächtnis trauen darf, bedeutet der Neurologe im Gerichtssaal eine Gefahr für die Menschenrechte des Angeklagten, mehr Intuition bei Managern noch mehr Bankenzusammenbrüche und die Vermählung von Verstand und Gefühl alles Mögliche, Faschismus und Kirchenstaat eingeschlossen.


Das ist - vom Standpunkt der Vernunft aus - viel zu viel. Also lassen wir den Bauch, wo er hingehört, damit wir den Kopf frei behalten für die neueste "revolutionäre Lektüre" der laufenden literarischen Saison. 


("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2007)

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