Der Blitz sucht sich nix Schlechtes aus

(C) StifterHaus Linz
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Heiligbüblein, Jesusschmatz und Dornenkronenbussler. Beim Lesen von Richard Billingers Geschichte einer Dorfkindheit, „Die Asche des Fegefeuers“.

Hör zu“, sagte die Muhme zu ihrem Neffen, die eine Schüssel voll Himbeeren auf den Tisch gestellt und eine sich auf die rote Frucht setzende Fliege ins Netz einer Kreuzspinne geworfen hatte, „ich weiß, dass dich deine Eltern in die Stadt schicken möchten, zum Pfarrerstudium, du Heiligbüblein, du Buchgucker, du Honigknäblein, du Jesusschmatz! Jeden Tag wasch ich die Hörner meines Ziegenbocks, keine Bischofsmütze hat ein schöneres Gekröne als die Hornsicheln des Bocks.“ Sie warnte ihn vor den Klerikern und erzählte von einem Bischof, der eine Spaltmütze trug, ein eifriger Beter, Fürbitter und Rosenkranzschlingel war,den die Domherren in gutem Glauben zum Bischof gewählt hatten, den aber der das halbe Land besitzende Graf aus dem Weg räumen ließ und den ein Kaplan, als Jäger vermummt, bei einer Wildschweinjagd hinterrücks erschossen hatte.

Ihr verstorbener ältester Sohn soll blitzsüchtig gewesen sein. Er ging immer außer Haus, wenn es donnerte und blitzte, entkleidete sich, stand splitternackt mit ausgebreiteten Händen auf einer Wiese und wartete sehnsüchtig, bis ihn dann einmal der Blitz endgültig gebissen undentseelt hatte. Die eineHimbeere nach der anderen zwischen die Lippen schiebend, zeigte die Muhme ihrem Neffen eine Fotografie, auf der ihr ebenfalls schon verblichener Ehegatte mit einem buschigen Schnurrbart neben ihren beiden Söhnen abgebildet war. „Der Blitz sucht sich nix Schlechtes aus!“, sagte befriedigt und stolz die Muhme zum Heiligbüblein und Buchgucker und deutete mit ihrem von den Himbeeren geröteten Zeigefinger auf ihren ältesten Sohn, der vom Blitz erschlagen wurde.

Vor Muhmes Haustür wartete ein Stromer, ein armer, buckliger Mann mit einer Klumpnase und einem ziegelroten Bart, der nur wenige Kleidungsstücke am Leib trug. DieMuhme kannte den Naseten und Buckleten,ließ ihn für Quartier und Kost das Holz aus der Scheune ins Haus tragen, drückte ihm das Hackbeil in die Hand. Ein Kienspan beleuchtete ihre Stube. Die Muhme stellte einenMelkerschemel vor den Ofen und setzte sich drauf. Schwarze Käfer liefen über den Tisch. Der Stromer saß herrisch am Tisch und stopfte seine Pfeife. Das Heiligbüblein wusch sich in einem Holzbottich die Füße, schlürfte kuhwarme Milch, strampelte im Wasser. Als sich die Tür öffnete, trat ein Zerlumpter in die Stube ein. Es war Muhmes verschollener Sohn Kaspar, den der Tod schon aufgeschrieben hatte, der sich an den Tisch setzte, aber von der Muhme und vom Naseten nicht beachtet wurde. Die Muhme erkannte ihren völlig entstellten und verwahrlosten Sohn nicht wieder. Er bettelte um Quartier, Brot und Speck, aber er bekam keine Antwort. Das Heiligbüblein begann sich zu fürchten, rannte nach Hause und schlüpfte unter die Bettdecke. Es hatte Angst, dass seine Tante ihren schon von den Grabwürmern verletzten Sohn verleugnen werde.

Am nächsten Morgen, als gerade erst die Sonne aufgegangen war, weckte die Magd das Heiligbüblein. „Der Kaspar ist da!“, sagte sie. Ohne seine Morgenmilch zu trinken, verließ es sein Elternhaus und lief zur Muhme, die gerade ihre sieben Ziegen in den Obstgarten getrieben hatte und dem Ziegenbock die Hörnerwusch. „Muhme, der Kaspar ist da!“ Die Muhme gab keine Antwort. Krähen saßen auf einem faulenden Baumstrunk, Frösche quakten, die Ziegen suchten in der schon fast kahl gefressenen Wiese die letzten Gräser. Die Mutter des Heiligbübleins trat in den Garten, öffnete einen Korb, zeigte ihrer Schwester Butter, Fleisch und Brot. „Für Kaspar!“, sagte sie. Die Muhme griff an ihr Herz und schrie: „Geht's, geht's, trag dein Dreckfutter heim!“ Erschrocken eilte ihre Schwester mit dem Proviant aus dem Garten.

Das Heiligbüblein glaubte, der Wahn hätte die Alte beflügelt, sie toll und teufelsböse gemacht, und ging ebenfalls nach Hause. Es musste den Mägden helfen, den Gemüse- und Kräutergarten zu gießen, das nach Harz riechende Holz in die Küche zu tragen, den Mostkrug und den Brotkorb für die Feldarbeiter auf den Acker zu schleppen. Die Mägde hoben den Wiesenbaum, einen geschälten Holzstamm, auf die hohe Heufuhre und seilten den Halmenberg nieder. Als der Buchgucker und Jesusschmatz einen Knecht beobachtete, der sich einer Magd unzüchtig näherte, glaubte er einen Schrei zu hören, der die Erde spaltet. Er sah einen Schweinskopf aus dem Hals der Magd kriechen, ein Maulwurf schaute mit den Augen seiner Muhme aus ihrem Kotloche. Und am Abend, unter dem lauten Gezirpe der Grillen, saß er auf dem Rücken eines Pferdes. Der Gaul schwamm über den Tümpel, das Wasserstand dem sich an den Zügeln festhaltenden Heiligbüblein bis zum Hals. Gleichzeitig tauchten Reiter von den Nachbarhöfen auf, vollkommen nackt ritten sie um die Wette, hetzten die erschöpften Ackergäule über die abgeernteten Felder, riefen zum Schrecken des Heiligbübleins obszöne und schamlose Worte gegen den Himmel.

Inzwischen hatte der Nasete den Kaspar mit einer Hacke erschlagen. Der Gendarm sagte: „Draußen liegt der Kaspar. Die Krahvögel haben ihn schon zerpeckt!“ „Da am Tisch ist er gesessen“, sagte die wie eine Wahnsinnige lachende Muhme, „ich hab ihn nimmer derkennt, der Nasete hat mein Herz gefressen!“ Und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Sie kannte jeden Schlumpfwinkel in den Bergen, die Gendarmen suchten sie vergeblich. Der empörte Vater des Heiligbübleins ließ das Haus seiner Schwägerin abreißen, die morschen Balken verbrennen. Das Heiligbüblein suchte die Muhme im Wald, im Flur und am Fluss. „Die Wellen beten!“, sagten die Schiffer, die sich auf ihren schwer beladenen Flößen flussabwärts treiben ließen. Laut betend hielt einer die Statue des heiligen Christophorus in den Händen, der sie im Notfall vor dem Ertrinkungstod retten sollte. „Muhme!“, rief sehnsüchtig das Heiligbüblein in die Wellen des Flusses hinein, „Muhme!“


Die Scheune war vollgestopft mit Heu und Getreidebündeln. Gerstengarben wurden vonden Stieren niedergetreten, damit sie unter dem Dach des Heustadels noch Platz fanden. Hans Faltenbauer, Jungknecht auf dem Hof eines alten Bauern, neckte die junge Bäuerin, die jeder Mannshose nachgelaufensein soll. Um die Bäuerin zu schrecken, sperrte er einen Igel in die Speisekammer, legte in der Wohnstube eine tote Ratte zwischen die Ofenscheiter, fing Kröten und Frösche und versteckte sie in den Betten.

Eines Nachts hörte die Bäuerin die Schreie einer noch schulpflichtigen Magd, die in der Vorkammer von Hans geschlafen hatte, und eilte dem Mädchen im Nachthemd zu Hilfe. Hans flüchtete aus dem Haus, ging in den Heustadel und warf ein Zündholz in die Garben hinein. Schafe liefen im Stall kreuz und quer, der Hengst bäumte sich in den Flammen auf, bereits angekohlte Schweine liefen laut zwillend zwischen den Wasser aus Eimern schüttenden Knechten, die aber das Gebäude verlassen und sich selber retten mussten. Der Hof wurde bis auf die Grundmauern eingeäschert.

Später näherte sich der brünstige Hans Faltenbauer in der Dorfkirche einem am Seitenaltar knienden Mädchen, legte besitzergreifend seine Faust auf ihre zum Gebet gefalteten Hände, hob sie auf und wollte sie in den Beichtstuhl tragen, aber das grazile Mädchen konnte sich von ihm losreißen und zur Kirchentür hinauslaufen. In der Kirche ging Hans auf einen Altar zu und sah die Statue der heiligen Notburga. Er stieg auf den Altar, riss die Heiligengestalt aus der Verankerung, stieg mit ihr in den Glockenturm hinauf und legte sie in einen breiten, leeren Sarg, in dem ein von Mäusen angeknabberter Polster mit goldenen Quasten lag. Hans entkleidete sich, legte sich zu ihr in den Sarg, liebkoste sie, bis die mit unzähligen Wurmstichlöchern übersäte Holzpuppe auseinanderbrach und unter seinem nackten Körper zerbröselte. Um den Frevel zu vertuschen, zündete er die Kirche an. Die Dorfleute liefen ins Kircheninnere und retteten die schon schwarz berußten Heiligenfiguren. Da sie die heilige Notburga nicht fanden, glaubten sie, dass sie das Feuer mit ihren bloßen Händen erwürgt habe und von rettenden Engeln in Sicherheit gebracht worden sei.

In der Zwischenzeit hatte Hans Faltenbauers Vater ein paar Äcker gepachtet. Er befahl seinem Sohn, nach Hause zu kommen, um auf dem eigenen Hof mitzuarbeiten. Wenige Tage nach seiner Heimkehr fand die Mutter ihren erwachsenen Sohn im Bett seiner jüngeren Schwester. Während sich am nächsten Tag Schwester und Bruder im Garten unter einem Apfelbaum balgten, schlug ihm der Vater die Hand ins Gesicht und zertrümmerte seine Nase. Noch in derselben Nacht, mit blutverschmiertem Hemd, zündete Hans Faltenbauer seinen väterlichen Hof an. Alle Tiere verschmorten im Stall, vom Hof blieb nur mehr ein Aschehaufen übrig. Der Vater erwürgte seinen Sohn und ertränkte sich selber im Karpfenteich des Pfarrhofs.


Seinem Cousin Franz,
der nach der Flucht aus seinem Elternhaus auf dem elterlichen Bauernhof des Heiligbübleins eine Zeit lang Unterschlupf gefunden hatte, zeigte das Heiligbüblein die nähere Umgebung. Vor der Armenseelenkapelle schlief ein Bettler, auf einem Acker zogen zwei Rösser den Pflug, Enten schliefen im Teich, schreiende Gänse rannten zur Bäuerin, als sie eine Schaufel voll Getreidekörner ausstreute. Krautköpfe, zu Bergen aufgehäuft, lagen unter den Apfelbäumen, Körbe voll Erdäpfeln wurden von Mägden in die Keller der Bauernhäuser getragen. Die abgedorrten Stauden auf den Erdäpfeläckern wurden verbrannt. An den Obstbäumen lehnten Holzleitern. Mit Säcken um den Hals standen die Knechte auf den Baumästen und pflückten Äpfel und Birnen. Ein steinernes Mühlrad zerquetschte Obst, aus der Presse rann brauner Birnen- oder Apfelsaft. Tauben gurrten und schnabelten weißen Kalk von einer Stallmauer. In einer Hausnische stand die Statue des heiligen Florian, des Schutzpatrons der Feuerwehr, einen Bottich Wasser auf ein brennendes Haus gießend. „Und da“, sagte das Heiligbüblein zu seinem Cousin Franz, „da ist das Haus vom Doktor, er ist reich, er hat Geld wie Mist, den füttern die Grabhügel!“

Mit einem ausgehöhlten Kürbis, Mund, Nase und Augen ausgeschnitten und mit rotem Seidenpapier überklebt, innen mit einer Kerze beleuchtet, traten die Kinder an die Fenster der Bauernhäuser, um die alten Leute zu erschrecken. Die Sensen der Knechte hingen, wie vom Tode abgelegt, an den Holznägeln der Scheunenwände. Das Heiligbüblein zeigte seinem Cousin die Hütte des Innfischers, in der seine verrückte, oft splitternackt am Herd stehende, die Fische bratende Tochter lebt. Es war schon finster, sie schauten durch das Fenster, der Fischer war am Tisch eingeschlafen. An den Wänden der Stube hingen Fischernetze, mehrere bereits geräucherte Hechte und Huchen lagen essbereit auf dem Tisch. Die nackte Fischerstochter schüttete einer schwarzen Katze Milch in den Fressnapf. Franz rief: „He! Die Nackete!“ Das Heiligbüblein klopfte keck an die Fensterscheibe. Das nackte Mädchen mit den buschigen Schamhaaren und großen, wogenden Brüsten lief ans Fenster. Der Fischer wachte auf, die beiden Buben schwangen sich aufs Pferd und galoppierten davon. Ein Fasan raschelte aus einem Gebüsch und flog über ihre Köpfe hinweg.

Als Franz nach mehreren Wochen wieder in sein elterliches Haus zurückkehrte, riefen die Mägde und Knechte schon von Weitem: „Freu dich, Franz, heute kriegt deine Hose zu fressen. Der Bauer hat den Stecken schon geschnitten!“ Als die Mittagskost in Pfannen und Töpfen prasselte, der Suppentopf auf dem Tisch stand und der widerspenstige Franz als einziger seine Lippen nicht zum Gebet bewegte, schrie der Bauer: „Hast nicht gebetet wieder!“ Und schlug ihm die Faust ins Gesicht. Mit dem Hemdsärmel wischte sich Franz das Blut vom Gesicht, stand vom Mittagstisch auf und zeigte seinem Vater die Zunge, ehe er zur Tür hinaus verschwand. Der Bauer riss das Gewehr von der Wand, stürzte aus der Stube, drei Schüsse fielen. Aufgeschreckt flogder Pfau vom Scheunendach. Als der Bauer wieder in die Küche kam, sagte er: „Derschossen ist er!“ Die Mägde beugten sich über die ohnmächtig gewordene Bäuerin, die Knechte legten den Leblosen auf die Küchenbank, Blut sickerte über der Herzgegend aus dem Hemd des Ermordeten.


Die groß gewachsene Bäuerin, die von denDorfleuten „Riesin“ genannt wurde, trug am Allerheiligentag aus ihrer kleinen Kapelle einen von Mäusen zerfressenen, wächsernenLeichnam Christi, warf ihn auf den Friedhofsabfallhaufen, ließ von einem Wachsbildner einen neuen Schmerzensmann anfertigen und in der Altarnische aufstellen. Das Heiligbüblein trat ans Kapellengitter heran und sah, dass die neue Jesusstatue die Gesichtszüge seines toten Cousins Franztrug, der von seinem Vater erschossen worden war. Die Riesin erzählte dem Heiligbüblein und Jesusschmatz vor der neuen Wachsfigur, dass ein Bauer, der in der Schlafkammer mit einer Magd schöngetanhabe, dass er afternach ohne Schutzhaube und Handschuhe ins Bienenhaus gegangen sei und ihn die Bienen zu Tode gestochen hätten, denn die Bienen haben's erwittert, die Bienen können die Unzucht nicht leiden.

Im Beisein vom Heiligbüblein betete die lebensüberdrüssig gewordene Riesin zu ihrem verstorbenen Mann: „Franz! Bist du da? Franz! Hab dir das Glasel gefüllt! Dir und mir! Dem Heiligbüblein habe ich auch roten Wein eingeschüttet in den Becher. Es muss

leben, Pfarrer werden, für alle einmal beten.
Hab bis auf den heutigen Tag gewartet. Jetzt hat der Weg sein End. Bei dir rast ich und hab ich Ruh. Die Ewigkeit hat so viele schöne Glocken. Ich hör sie oft läuten. Ich wasch dir im Himmel dein Hemdel, bad deine Füß, du darfst mich treten wie den Stein auf dem Weg. Du hast die goldene Sichel und die Sensen, du musst mich abmähen!“ Danach schüttete sich die Riesin Rattengift in den Wein und krepierte elend.


An die Tür, die zur Beikammer führte, warein junger Kauz mit gespreizten Flügeln genagelt. Auf der Küchenbank sitzend, flocht ein Mann rote Weidenruten zu Körben und Tragtaschen. „Das hat er im Zuchthaus so schöngelernt!“, sagte der Jungbauer Alois, als gerade die verrückte Fischerstochter die Haustür entriegelte, über die Stubenschwelletrat und sich obszön bog vor Lachen, als sie den Korbflechter und Alois mit glasigen Augen vor einem Mostkrug sitzen sah. Alois sprang hinter dem Tisch auf und umfasste den Leib der Fischerstochter. „Tust mir was?“, flüsterte sehnsüchtig das Mädchen. „Mein Vater hat mich heut wieder gehaut, gar aso geschlagen!“, klagte sie. „Er hätt gern unsere Sau abgestochen. Aber das lang Stechmesser hab ich versteckt. Im Kittelsack hab ich's“, flüsterte lüstern das Mädchen, „nimm's in deine Hand, Bauer, junger, du Betthupfer, du Fensterklopfer!“

Der junge Bauer setzte der Fischerstochter die Larve eines Kuhschädels auf, er maskierte sich mit einer Teufelslarve. „Bist jetzt die Hörndlete! Die Kuh!“, rief der Bauer. „Und wer bin ich? Der Nackete! Der Teufel!“ Vor Verzückung hüpfte die Fischerstochter durch die Stube und gab ihm das Messer. „Da, da, tu's!“, rief sie, „stich, stich mich!“ Nachdem Alois der Fischerstochter beigeschlafen hatte, stach er ihr unzählige Maledas Messer in die Brust und zündete dieKammer an.

Schwer betrunken kam in diesem Moment Alois' Vater nach Hause. „Du Teufelshund! Du!“, rief der torkelnde Alte auf den Sohn zu, der die angewachsene Teufelslarve nicht mehr vom Kopf heben konnte. Der Innfischer, der ebenfalls ins Haus gekommen war und nach seiner verschwundenen Tochter fragte, schob den verdächtig vor einer Tür stehenden Alois mit der Teufelslarve zur Seite, öffnete die Kammer und erblickte seine blutüberströmt auf dem Bett liegende Tochter. „Ich erwürg dich, du Hundsdarm!“, schrie er. Die Flammen schlugen bereits aus dem schneebedeckten Dach des Bauernhauses, der schwer betrunkene Altbauer kam in den Flammen ums Leben, und der Innfischer erwürgte mit bloßen Händen den Mörder seiner Tochter.


Als dann einmal der Jesusschmatz anScharlach erkrankt war und hohes Fieber hatte, plagten ihn die Albträume: Die Riesin im feuerroten Hemd flog auf dem Rücken eines Pfaus in den Himmel. Ein Hirsch sprang über einen Hochaltar, Lerchen sangen im Tabernakel, gusseiserne Glocken flogen von den Kirchtürmen, Tausende Blutegel krochen aus dem Teich und näherten sich seinem Krankenzimmer. Himbeere für Himbeere zupfte die verschwundene Muhme von einer Waldstaude und stopfte sie dem kranken Heiligbüblein in den Mund. Die Flammen des Fegefeuers züngelten um seinen nackten Leib. Knechte stützten sich abwartend auf die Stiele ihrer Sensen. Der am Kreuz hängende Jesus strampelte sich die eigenen Wunden vom Leib. Als ihm die ermordete Fischerstochter einen schuppigen, armdicken Huchen in den Mund steckte, schrie das scharlachkranke Heiligbüblein auf und erwachte.

Der Mesner saß mit einer brennenden schwarzen Kerze an seinem Krankenbett, eine Schale voll frisch gepflückter Himbeeren stand auf dem Tisch: „Du musst der Priester einmal sein“, sagte der Mesner, „derft nit grad die schönen Büchel lesen, du musst die Dornenkron busseln, ihr den Schmatz geben, die Geißel zu dir ins Bett legen, die unserm Herrgott das Blut voreinst abgelockt hat. Du Heiligbübel! Kimmst dem Engel nimmer aus, laufst der Glocken nimmer davon!“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2014)

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