Die Armenier? Alles Taxler!

„Expedition Europa“: warum die EU Armenien verloren hat.

Vergangene Woche wurde ich von kaukasischen Fahrern gekidnappt; dabei wollte ich nur verstehen, warum Europa Armenien verloren hat. Der Entschluss des armenischen Präsidenten, die EU-Assoziierung über Nacht hinzuschmeißen und Moskaus Eurasischer Union beizutreten, wurde nie erklärt. Mögliche Gründe bieten sich an: Bei drei Millionen Armeniern in Armenien arbeitet etwa eine Million in Russland, und nur Russland kommt als Schutzmacht des zwischen Feinden eingezwängten Kleinstaats in Frage. Ich stellte Anfragen, keine wurde beantwortet.

Allein eine EU-Beamtin empfing mich. Groß, stramm, weißblonder Kurzhaarschnitt, so hatte die selbstbewusste Estin im „EU-Bus“ die verlassenen Provinzen beackert. Die Armenier hätten nach EU-Geld und militärischer Sicherheit gefragt, für das EU-Anliegen Homosexuellenrechte „haben sie keine Zeit“. Als ich Armenien Europa zuordnete, unterbrach sie mich: „Was für ein Europa? Das ist der Mittlere Osten hier!“

Mein erster Fahrer war ein georgischer Sammeltaxler, Kutaisi–Chaschuri. Eine Stunde Warten, ein langer Halt für Gastanken, einer für Benzin, noch einer für Gas, Reifenaufpumpen. Als ich Kritik andeute, kündigt er weitere Stopps an: „Jetzt schaue ich mich nach Brillanten um.“ Ich frage einen Fahrgast: „Haben Sie es nicht eilig?“ – „Sehr sogar, mein Sohn wird gerade operiert. Aber da kannst nix machen.“ Achalziche–Achalkalaki, der erste armenische Taxifahrer. „Bruder!“, schreit er zwei Stunden, „Martin Dschan!“ Achalkalaki–Eriwan verläuft zügig, nur dass der Taxler am Ende mit meinem Wechselgeld flieht.

„Martin Dschan, du bist zu ehrlich“

Ich brauche ein Taxi zur gerühmten Riviera am Sewan-See. Der Fahrer bringt mich an einen unbeleuchteten Strandabschnitt, ich soll in einer Hütte hinter schlammigen Wegen hausen. Er macht das mit allen, weil seine Nachbarin dort kellnert. Sewan–Eriwan, statt am Busbahnhof wirft der Fahrer die dösenden Touristen am Stadtrand aus dem Bus. Ich vergesse meinen Koffer, springe in den nächsten Lada, Jagd auf einen weißen Bus. „Ich weiß, warum du schlecht verdienst“, sagt der runzlige Taxler: „Martin Dschan, du bist zu ehrlich.“ Hinterher zupft er mir ein Extrascheinchen aus dem Bündel. Eriwan–Schuschi, ein junger Grobian, der an jedem Stand unter dem Ararat nach dem Preis von Pfirsichen und Paradeisern fragt. Goris–Eriwan, man verfrachtet mich vom Bus in ein Auto, nach 300 Metern in ein anderes. Der Taxler flucht herum. „Benehmen Sie sich!“, ermahne ich ihn. Er schweigt zunächst wohltuend, beim Gastanken in einer Oase teilt sich die Fahrgemeinschaft grünen Sprudel. Als ich in Eriwan aussteige, schreit er mich jedoch auf Armenisch an.

Ich will keinen Fahrer mehr sehen, und doch brauche ich einen weiteren, raus aus dem Land. Einer setzt sich zu mir: „Ich verstehe die Leute nicht, jeder will ein größeres Haus als der Nachbar.“ Ich vertraue ihm, wir einigen uns auf Eriwan–Achalkalaki. Erst fährt er nach Hause, in einen Rohbau, höher als die der Nachbarn. Seine junge Frau, in getigerten Leggings, improvisiert ein Abendessen. Es folgt die unheimlichste Nachtfahrt meiner Reise. Alles Gesagte erweist sich als gelogen.

Bei aller Rüpelhaftigkeit muss ich diesen Armeniern eines lassen: Ich hörte keine politischen Dummheiten. Onkel in der Ukraine, Bruder in Moskau, Tochter in L. A. – Armenier beziehen Informationen aus erster Hand. In Europa geht es ziviler zu, sagten mir in Abwandlungen alle, aber wir können uns Europa noch nicht erlauben. Bedingt durch das Kidnapping, konnte ich halt fast nur mit Fahrern und Fahrgästen sprechen. Andererseits ist jeder Armenier irgendwo ein Taxler. „Als die Amerikaner auf dem Mond landeten“, erzählte einer, „hat dort schon ein armenischer Taxler gewartet.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2014)

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