Der Selbstmord der Brigitte Schwaiger

„Es ist zu befürchten gewesen. Reisende soll man nicht aufhalten.“ Aus dem Nachlass: ein Nachruf zu Lebzeiten auf mich selbst.

Ihren Suizid – sie starb, 61-jährig, am 26. Juli 2010 in einem Seitenarm der Donau in Wien –hat Brigitte Schwaiger schon im Jahr 2003 thematisiert und damals einen Nachruf auf sich selbst verfasst unter dem Titel „Der Selbstmord der Brigitte Schwaiger“. Auf einer Diskette gab sie dem Wiener Theologen Paul M. Zulehner diesen folgenden Text, den Zulehner nun – „die Veröffentlichung möge sie dankbar ehren“ – in seiner Autobiografie zugänglich macht.

Brigitte Schwaiger, über die wir in der gestrigen Ausgabe berichteten, dass sie freiwillig aus dem Leben geschieden ist, hat einen großen Bekanntenkreis in Wien gehabt. Einer ihrer Freunde, Kardinal ChristophSchönborn, ließ mitteilen, dass er tief erschüttert sei. Für nähere Auskünfte war er bis Redaktionsschluss nicht erreichbar. Der ehemalige Generalvikar Schüller bedauerte das Ableben der beliebten Schriftstellerin mit den Worten: „Sie hat mir hin und wieder interessante Gedanken zur österreichischen Innenpolitik und zum Problem der Abtreibung geschrieben.“

Pastoraltheologe Paul Michael Zulehner, Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Wien, hat einen Nachruf versprochen,der am kommenden Samstag im „Spectrum“ erscheinen wird. Er war in den letzten Jahren der Erfolgsschriftstellerin, die zur Sozialhilfeempfängerin abstieg, verbunden durch Korrespondenz und gelegentliche finanzielle Unterstützungen, die er ihr seitens des „Pastoralen Forums“ zukommen ließ.

Die 85-jährige Mutter der Schriftstellerin in einem Telefonat mit der „Presse“: „Es ist zu befürchten gewesen, sie hat in den Siebzigerjahren drei Suizidversuche gemacht, befand sich fast 30 Jahre hindurch in psychotherapeutischer Behandlung und war zuletzt acht Monate lang Patientin des Otto-Wagner-Spitals wegen immer wiederkehrender Depressionen.“Nun ist ein weiteres Mal bewiesen, dass die „Krankheit zum Tode“ nicht nur Hausfrauen, nicht nur sogenannte Durchschnittsmenschen zur Verzweiflungstat, „Ausweg: Selbstmord“, treibt, sondernauch Künstlerinnen und Schriftstellerinnen nichtvor ihr beschützt sind. – Wir möchten das Ableben der Schriftstellerin, die 54 Jahre alt war und einen 15-jährigen Sohn hat, zweimal geschieden war und uns zahlreiche Bücher und auch einige amüsante Theaterstücke hinterlassen hat sowie zahlreiche Ölbilder, überwiegend Porträts, mit einer Aufklärungsserie über die Volkskrankheit Depression verbinden.

Vor zwei Jahren ereilte den Schriftsteller Franz Innerhofer in Graz dasselbe Schicksal. Auch er wollte nicht mehr leben, und es ist in der Literaturgeschichte immer wieder vorgekommen, dass Schriftsteller ihr Leben selbst und, wie wir leider sagen müssen, vorzeitig beenden.

Die Ärzte, die Brigitte Schwaiger zuletzt betreuten, sind unter Schock. Frau Schwaiger soll eine angenehme und sehr angepasste Patientin gewesen sein, nicht auffällig und in keiner Weise für die Psychiatrie beschwerlich. Im Gegenteil habe sie stets gut auf medikamentöse Behandlung angesprochen undsei in Gesprächen ruhig gewesen.

Die Verwandten, Freunde und Bekannten der Schriftstellerin sind ebenfalls unter Schock, zumal Brigitte Schwaiger in den letzten Jahren eine für sie erfreuliche Anstellung in einem Wiener Verlag hatte und dort mit Arbeit ausgefüllt zu sein schien. Ihr Chef, Prof. U.N.S., sowie die Mitarbeiter des Verlagsstanden uns für Gespräche zur Verfügung, die insgesamt ergaben, dass die Schriftstellerin labil gewesen sei, fröhlich bei der Arbeit, hilfsbereit, so wie auch schon 30 Jahre vorher, als sie als sehr junge Frau ein Jahr lang Sekretärin und Lektorin des Verlags war. Prof U.N.S. ist bestürzt, da er während der Monate, in denen die Sozialhilfeempfängerin(die übrigens dank Paul Michael Zulehner und Andreas Khol, ÖVP, eine Künstlerhilfe von der Abteilung Kunst des Bundeskanzleramtes in der Höhe von mehreren hundert Euro monatlich erhielt) angestellt war, den Eindruck gewann, ihre seelische Verfassung habe sich verbessert.

Voraus ging der Katastrophe eine Auseinandersetzung mit dem Verlag der Schriftstellerin, Langen Müller, München. Brigitte Schwaiger hatte jahrelang unter Druck geschrieben, erhielt nicht Zeit, ihre Manuskripte ruhen zu lassen, redigierte ihre Texte nicht mehr selbst, sondern ließ sie vom Verlagslektorat vollenden, und sie soll sehr darunter gelitten haben, dass ihr Name auf Büchern stand, die ihrer Meinung nach Erstfassungen waren, wobei sie mindestens zwei Fassungenzu erstellen pflegte in früheren Jahren, ehe sie ein Manuskript für den Druck freigab. Angeblich beschwerte sie sich auch darüber, dass Romantitel gefunden wurden vom Verlag und diese ihr aufgezwungen wurden, sodass sie sich überrumpelt und in der Öffentlichkeit falsch repräsentiert fühlte.

Es mag dies für eine sensible Schriftstellerin eine Belastung gewesen sein. Doch deshalb das Leben wegzuwerfen, erscheint uns übertrieben. Wir müssen die Todesursache und den Auslöser des Selbstmords wohl in der Krankheit suchen, zu der uns zwei Befunde vorliegen. Aus diesen geht auch hervor, dass die letzten Menschen ihres Vertrauens der Publizist DDr. Günther Nenning, die Schauspielerin Topsy Küppers, der wegen Mordes und Zerstückelung zu lebenslanger Haft verurteilte ehemalige FernsehmoderatorHelmut Frodl und der wegen sechsfachen Mordes und sechsfachen versuchten Mordes zu lebenslanger Haft, aber im Gefängnis im Juni 2001 verstorbene ehemalige Wiener Zuckerbäcker Udo Proksch waren.

Wie aus den Befunden ersichtlich, tat die Schriftstellerin bei ihren Aufnahmegesprächen auf der Baumgartner Höhe, besser bekannt unter dem Namen „Steinhof“, der Namen „Christoph Schönborn“ oder „Michael Genner“ keine Erwähnung. Der Kardinal soll jahrelang mit ihr in brieflicher Korrespondenz gestanden sein. Michael Genner, Flüchtlingsbetreuer, war 1987/88 mit der Schriftstellerin verheiratet und ist der Vater ihres Sohnes.

Es dürfte noch in Erinnerung sein, dass Brigitte Schwaiger im Jahr 1999 beim Prozess gegen den Terroristen Franz Fuchs auffiel. Offenbar bewogen persönliche und wahrscheinlich psychische Schwierigkeiten die Schriftstellerin dazu, sich in die Öffentlichkeit zu drängen. Sie begrüßte den den Gerichtssaal betretenden FranzFuchs mit „Franzi, kennst mi no?“, was einige Verwirrung stiftete, da sie behauptete, Fuchs durch ihren geschiedenen Mann zu kennen. Wir interviewten damals Herrn Michael Genner und erfuhren von diesem, dass dies ein Irrtum sei. Schon im Oktober 1994 war Brigitte Schwaiger dadurch aufgefallen, dass sie im Justizpalast dem wegen Mordes und Leichenzerstückelung zu lebenslangem Kerker verurteilten Wirtschaftstreuhänder Dr. Gabor Pesti die Hände küsste. Man kann daraus schließen, dass die literarischen Erfolge der Schriftstellerin nachließen und sie versuchte, auf andere Weise ins Rampenlicht zu kommen.

Erwiesen ist auch, dass sie eine Briefkorrespondenz mit Udo Proksch betrieb. Informierte Kreise wissen über die Schriftstellerin, dass sie einen Hang zur Prominenz zeigte. So soll auch Kardinal Schönborn eigentlich durch Briefe von ihr mehr belästigt denn erfreut worden sein. Die Schriftstellerin versuchte zuletzt, ihre Bücher, die beim deutschen Verlag Langen Müller verlegt wurden, seit vielen Jahren jedoch auch „verramscht“ in der Buchhandlung Hintermayr, Neubaugasse, Wien VII, aus Verträgen zu lösen.

Wir haben, da sie im Jahr 1980 ein Buch mit dem Maler Arnulf Rainer beim Paul Zsolnay Verlag herausbrachte, den Künstler zum Tod der doch für die österreichische Literatur nicht unbedeutend gewesenen Frau zu befragen versucht. Über seine Lebensgefährtin Hannelore Ditz, Mutter seiner 24-jährigen Tochter Klara Viktoria Rainer, ließ er ausrichten, Brigitte Schwaiger stets geschätzt zu haben, jedoch in den letzten 20 Jahren ohne Kontakt zu ihr gewesen zu sein.

Wie wir sehen, ist kein plausibler Grund für das tragische Ende erkennbar. Es sei denn,es gab etwas im Leben der Oberösterreicherin, die aus Freistadt im Mühlviertel stammte, 1949 geboren, Tochter eines Arztes und einer Krankenschwester, zweite von vier Töchtern, römisch-katholisch erzogen, später aus der Kirche ausgetreten, erste Ehe mit einem spanischen Tierarzt, was wir nicht wissen.

Selbstverständlich sind literarischer Misserfolg, also beruflicher, und finanzielle Not eine zusätzliche Belastung für einen Menschen, der von Jugend an zu Depressionen neigte und später in mehreren Kliniken Heilung suchte. Wir haben Brigitte Schwaiger 1977 kennengelernt als Literaturstar, umstritten von den Sachverständigen, umworben von den Medien, und wohl auch gab es das eine oder andere Gerücht, ihren kometenhaften Aufstieg betreffend, nämlich, sie sei, wie es Humbert Fink einmal formulierte, zu Kritikern zwischen Wien und Hamburg zärtlich gewesen.

Uns steht es nicht zu, zu beurteilen oder gar zu verurteilen, wie Brigitte Schwaiger lebte. Es besteht kein Zweifel, dass der Doyen der österreichischen Literatur, der 1979 verstorbene Schriftsteller und Schöpfer der „Tante Jolesch“, aber auch des „Schüler Gerber“ sowie Übersetzer des israelischen Humoristen Ephraim Kishon, der Anfängerin nahestand und diese auch förderte. Der Kulturpublizist und Schriftsteller DDr. Adolf Hollsoll über sie gesagt haben, sie sei „zäh“, ansonsten sie schon in den Siebzigerjahren „auf dem Zentralfriedhof“ gelegen wäre. Prof. Walter Davy, früher Fernsehspielleiter des Österreichischen Rundfunks, soll gefunden haben: „Die Männer sind Arsch zu ihr gewesen.“ Freundinnen hatte die Schriftstellerin zuletzt in einigen Therapeutinnen, Krankenschwestern und Patientinnen der Baumgartner Höhe.

Reisende soll man nicht aufhalten. Wir wünschen der 54-Jährigen, dass sie die Ruhe findet, die sie angestrebt hat, und wir werden uns ihrer und des Romans „Wie kommt das Salz ins Meer“, der in 20 Sprachen übersetzt und vor einigen Jahren neu aufgelegt wurde, noch lange Zeit erinnern.

Sie versuchte sich auch als Malerin, hatte jedoch keinen Erfolg, ebenso wie ihre Theaterstücke wohl eher Versuche waren, es den Dramatikern Peter Turrini und Franz Xaver Kroetz gleichzutun, was ihr jedoch nicht gelang. Als Literatin kopierte sie sowohl Ingeborg Bachmann wie auch Gabriele Wohmann. Einen großen Teil ihres Erfolgswerkes soll Friedrich Torberg persönlich verantwortet haben durch zahlreiche Korrekturen und Vorschläge, die er der Anfängerin stilistisch machte. Die Schriftstellerin machte sich an ihn heran, als sie schauspielerte in einem kleinen Linzer Theater. Umso peinlicher war es, als sie in einem kleinen Buch eine Abrechnung mit dem „Onkel Jolesch“ versuchte, wieTorberg bis heute liebevoll genannt wird.

Eine nymphomanische Veranlagung soll bewirkt haben, dass die in ihrer Jugend gut aussehende Frau Männer dazu benützte, für sie einzutreten. So quälte sie mit ihren Launen den Verleger Ing. Hans W. Polak, Zsolnay Verlag. Aus dem PEN-Club, zu demFriedrich Torberg sie gebracht hatte, schied sie aus wegen mehrjährigen Nichtbezahlens der Mitgliedsbeiträge.

In ihrem Wohnbezirk, Wien-Neubau, galtsie als „verrückte Schriftstellerin“, und in Literaturkreisen hatte sie den Ruf, „schrecklich“ zu sein. Natürlich stellten ihr Eintreten für den Mörder und Zerstückler Pesti (Fall Köberl, zweiter Verurteiler: der ehemalige Fernsehmoderator Helmut Frodl) im Jahr 1994 und ihre degoutante Anbiederung an den„BBA“-Alleintäter Franz Fuchs, Graz, Februar 1999, einen Affront und Eklat und eine schwere Belästigung der Öffentlichkeit dar. Aber auch Ehemänner sollen sich durch sie belästigt gefühlt haben. Was durch die Krankheit der Schwaiger, Borderline, Nymphomanie und Promiskuität, jedoch nahezu entschuldbar ist.

Ihre beiden vorletzten Bücher wurden vom inzwischen leider verstorbenen Verlagslektor Barthel F. Sinhuber geschrieben, das letzte Buch, „Ich suchte das Leben und fand nur dich“, fand so gut wie keine Beachtung mehr. Viel zu stark hatte sich bereits die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Oberösterreicherin in Wien zuerst Friedrich Torberg als Helfer hatte, später andere Schriftsteller, die ihr behilflich waren, und wir meinen, dass Peter Turrini ihr bei den dramatischen Versuchen unter die Arme griff. Dennoch bestürzt und erschüttert uns das Schicksal der in der Literaturszene von namhaften Kollegen wie Michael Scharang, Michael Guttenbrunner oder Alfred Kolleritsch („manuskripte“) sowie der gesamten Grazer Autorenversammlung nie ernst genommenen Dilettantin.

In unseren nächsten Ausgaben werden wir, wie schon erwähnt, über die Volkskrankheit Depression berichten. Die Beisetzung der Verstorbenen findet am kommenden Freitag, 14 Uhr, im Friedhof von Freistadt, Oberösterreich, statt. Die Angehörigen bitten von Blumenspenden abzusehen und allenfalls an die „Aktion Leben“ Geld zu überweisen beziehungsweise an die „Roten Nasen“ im Sankt-Anna-Kinderspital. – B. S., 2. 8. 2003.. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.