Der Her-Steller (nicht: Hersteller)

Ich weiß auch nicht, wie er das macht. Zu Peter Turrini.

Das Sein der handelnden Personen, die keine wirklichen Personen sind oder eher: wirklichere als wirkliche Personen sind, im neuesten Stück „Aus Liebe“ sogar der liebe Gott, und zwar persönlich!, derjenige, der das Sein ja persönlich gemacht hat, dieses Sein also hat kein Geheimnis vor dem Sprechen. Die Bühnenpersonen Turrinis erlangen vom Autor, ebenfalls persönlich, die Erlaubnis, etwas zu sagen. Dasist bei allen Dramatikern so (bei mir nicht, denn bei mir gibt das Sagen sich selbst die Erlaubnis, ich habe damit nichts zu tun, ich habnichts gemacht!). Aber Peter Turrini ist wirklich ein Dramatiker. Ein echter! Ich weiß auchnicht, wie er das macht, aber seine Figuren wollen die Autonomie über ihr Sprechen erlangen und zeigen, indem sie sprechen, daß sie sie ja schon haben, diese Autonomie. Wer hier etwas sagt, der sagt es auch, weil er er ist,auch wenn er erfunden worden ist. Das Geheimnis, das eine dieser Personen vor ihrem Sprechen haben könnte, wird gelüftet. Sie machen was miteinander auf der Bühne, undsie sind es auch! Da entstehen menschliche Körper aus gesprochenen Sätzen, Textkörpern und einem Stück Seele, das natürlich auch erst aus den Körpern heraussprechen oder schreien kann, obwohl die Seele ja angeblich sowieso stumm sein soll. Alles sprichtalso, nicht: Es spricht. Die Sprache ist hier zu sich selbst gekommen, weil Menschen sie sprechen, nur so wird sie ein Ganzes, das etwas mit anderen verhandeln darf und soll. Dieses Ganze hat sozusagen eine Vollmitgliedschaft mit den tatsächlichen Menschen erworben, die Turrini als Muster zugestellt worden sind (aber so gar nicht musterhaft sind), und muß sich keine Hemmungen auferlegen, denn es sind eben wirkliche Menschen, die sprechen. Ja, ich sehe richtig: Das sind Menschen! Wieso hab ich vorhin geglaubt, sie wären jemand anderer? Was Turrinis Menschen (ich sage jetzt nicht mehr: Figuren) auf der Bühne sprechen, entspricht ihnen, manchmal entschlüpft es ihnen auch, wider Willen, aber es gehört immer ihnen, dasSprechen gehört den Personen, obwohl sie esja nur geliehen bekommen haben. Morgen werden sie in der Vorstellung genau dasselbe,aber anders, sagen. Das kann so oder so ausgelegt werden, die Personen können so oder so aufgelegt sein, wenn sie dort auf die Bühnedahingestellt bleiben. Ihr Sein durchzieht dasSprechen und macht sie zu dem, was sie sind. Nein, das Sein ist nicht einfach so hineingerührt worden, so wie das Sprechen nicht ins Sein gerührt worden ist. Sie sind beide immerschon dagewesen, nur werden sie uns jetzt vom Dramatiker vorgeführt, der seine lieben Personen aber nie: vorführt, in dem Sinn, daßer sie nie verrät oder lächerlich machen würde. Wenn sie lächerlich sind, dann weil sie es sind, nicht weil sie es gemacht worden sind. Die Sprechenden entsprechen sich; wollte man unbedingt kalauern, könnte man sagen: diese Wirrköpfe entwirren sich selbst. Und ungefähr so meine ich das ja auch, daß sich nämlich ein Sprechen aus Bühnenfiguren entrollt wie eine papierene Zunge, ohne daß die Figuren aber Papier sprechen würden, imGegenteil. Die Bühnenmenschen sprechen, und das Sprechen macht die Bühnenmenschen Turrinis, nein, es macht sie nicht aus, es erzeugt sie. Sie sind eins mit sich, und da auch andre auf der Bühne stehen, von denen jeder in seinem eigenen Sprechen wohnt, in seinem eigenen Sprachhäuschen, müssen siesich vor nichts hüten, sie sind ja geschützt in diesem Haus, das sie gleichzeitig sind, jeder sein eigenes: nicht Einfamilien-, sondern Einpersonenhaus, aber ohne Haushalt. Mensch, Sprache und die Hülle drumherum, oder? Nein, die Personen haben zwar, aber sie sind nicht einfach Hüllen, denn die würden ja das Sprechen vielleicht dämpfen oder gar davon abhalten hinauszudringen. Die Menschenhüllen hier kleiden wirklich Menschen, und in diesen Hüllen ziehen sie einander auch an. Die müssen sich aber wieder abgrenzen voneinander, diese Menschen (sonst würde ja immer nur einer, eine dort stehen!), denn jeder sagt ja was anderes, aber sie nehmen Bezug auf, und sie haben Bezüge zueinander, die der Autor herstellt, im Sprechen zu- und gegeneinander. Und auch, was sie voreinander verbergen, die Figuren, erkennen sie erst im Moment des Aussprechens. Es ist ihnen erst im letzten Moment eingefallen, so steht es bei Turrini geschrieben. Und so lassen die Figuren (wie in „Rozznjogd“) ihre Hüllen erstdurch die Hände gleiten, bevor sie sie fallenlassen, alle. Und so rühren die Figuren erst sich an, vergewissern sich, daß sie wirklich das sagen werden müssen, was sie dann gesagt haben werden, und dann werfen sie ihr Sprechen (und damit sich selbst) dem anderen zu, der da mit ihnen auf der Bühne steht, nicht zufällig und keinesfalls so, als stünde er da, weil es einfach dahingestellt gelassen worden wäre, was er sagt. Sondern weil er da steht und es sagen muß. Dafür hat der Autor Peter Turrini sie da her gestellt (nicht: hergestellt), damit nichts, was sie sagen oder tun, dahingestellt gelassen werden kann. Dann kommt das Nächste, und das zieht wieder dasNächste nach sich. Und, o Gott, jetzt fangen die auch noch zu leben an! Nichts wie weg! Aber natürlich ist wie so oft das Gegenteil wahr: Bitte kommen Sie und schauen Sie sicheinmal die Wahrheit an. Keine Ahnung, was das ist. Aber vergessen können Sie es dann nicht mehr, was da gesagt worden ist. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2014)

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