Neugierig im „Motel Wien“

Mazedonien? „Existiert nicht.“ In der Serie „Expedition Europa“.

Am duftend klaren Ohridsee eine Ohridseeforelle, das macht meine erste Mazedonien-Fahrt schon mal schön. Oder bei Nacht runter von der Mutter-Teresa-Autobahn, um in der albanisch-türkisch geprägten Stadt Gostivar zu übernachten. Der Rezeptionist im „Motel Wien“ erzählt: „Mein Chef hat im Wiener Prater gearbeitet.“ Er gibt mir zwei Zimmer zur Auswahl, eines mit Whirlpool und eines mit gebrauchtem Kondom. Die Kaschemme im Erdgeschoß bezeichnet der Albaner als „serbische Singbar“. Neugierig geworden, setze ich mich rein. Ich will niemandem unrecht tun, die aufgereiht vor der Elektroorgel sitzenden Mädels halte ich aber für Prostituierte. Eine von ihnen verschwindet zu einer Gruppe junger Männer in eine Nische. Die anderen Mädels beobachten interessiert das Geschehen, nur ich an meinem Platz sehe nichts. Verrückt vor Neugier, gehe ich schauen: Die Frau steht angezogen da und singt. Eine Stadt ohne Serben, in der Prostituierte für albanische Typen serbische Balladen schmettern? Ich frage nicht weiter nach. Ich gehe schlafen.

Die Republik Mazedonien ist ein junger Nationalstaat, der einerseits von fast allen Nachbarn infrage gestellt wird, besonders von Griechenland. Andererseits betreibt Mazedoniens Regierungspartei, deren Name VMRO-DPMNE das Wörtchen „revolutionär“ enthält, eine freihändige Identitätspolitik, die sich Südosteuropas Helden bis lange vor Ankunft der Slawen auf dem Balkan unter den Nagel reißt.

Weltparlament von Mazedoniern

Der Präsident des „Mazedonischen Weltkongresses“ behauptet gar, dass es viel mehr Mazedonier gebe als gedacht. Ich kriege diesen Todor Petrov ans Telefon. Er liegt mit Grippe im Bett, klingt aber nett. Er simst mir, dass sein Verein „Mazedonier rund um die Welt als Weltparlament von Mazedoniern aus aller Welt vereinigt hat“. Die versprochenen Antworten auf meine Fragen bleiben aus.

In der Hauptstadt steht ein 22 Meter hoher Reiter, Alexander der Große. Die Regierung nennt ihren großen Verschönerungsplan „Skopje 2014“, und so irre ich an einem Werktag des Jahres 2014 durch das sauber ausgeräumte Skopje, auf der Suche nach einer Auskunftsperson. Um das und auf dem Vardar-Brücklein stehen Statuen bedeutender Mazedonier, ein albanischer Skanderbeg, ein serbischer König, ein bulgarischer Zar – eine Armee überdimensionierter Zinnsoldaten zwischen unzähligen Laternen. Die neulich von russischen Meistern gelieferten Historienschinken im neuen „Museum der Aufstände“ sprechen mich durchaus an, genauso der weiße Klassizismus der Fassaden. Auch der dunkle Büroblock unserer EVN wird bald hellenisiert.

Erst am Abend bekomme ich Auskunft. „Wir erreichen nun wohl den Gipfel unseres nation building“, erklärt mir ein smarter Anzugträger in der VMRO- Zentrale. Man locke endlich Touristen nach Skopje und spare sogar: „Das Außenministerium zahlte pro Jahr eine Million Miete, nun haben wir für fünf Millionen einen ziemlich repräsentativen Bau.“ Gegen Ende des Gesprächs falle ich aus allen Wolken – der Mann erweist sich als Staatssekretär. Unterhalb der Chefetage scheint im mazedonischen Staatsapparat niemand zu arbeiten.

Ich fahre ins griechische Makedonien. Bei Amphipolis wurde neulich eine Sensation ausgegraben, eine Grabstätte der Familie Alexanders des Großen wohl. Die Verkehrspolizei bewacht die Anhöhe rund um die Uhr. Ein Kameramann mit Schnapsfahne redet mich an: „Mitteleuropa hat überhaupt keine Geschichte, ihr seid Barbaren.“ Ansonsten Schaulustige, eine Hollywood-Selektion edelwüchsiger Griechen steht an diesem frühherbstlichen Sonntag selbstvergewissernd im Abendwind. Über Mazedonien, das sie „Skopje“ nennen, nur verächtliche Worte: „So etwas existiert nicht.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2014)

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