Warum ich lieber über Tote schreibe

Verstimmung, böse Briefe, Paniktelegramme, Geldforderungen, Drohung mit dem Anwalt. Von Thomas Bernhard bis Einzi Stolz, von Mary Tucholsky bis zur Wieland-Wagner-Witwe Gertrud: über meine gefahrvollen Erlebnisse mit berühmten Persönlichkeiten.

Unter dem halben Hundert Protagonistinnen meiner Künstlerwitwenbücher „Musen lebenlänger“ und „In deinem Sinne“ waren nicht wenige, die demAutor Lob zollten. Lucy Wotruba, Beata Ambrosi, Rosemarie Bonsels, Sigrid Hartung und Gertrude Pabst (Gattin des Filmregisseurs G.W. Pabst) wohnten meinen Buchpremieren bei, Elisabeth Furtwängler, Valeska Lindtberg, Maria von Doderer schickten Dankbriefe, mit Charlotte Bergengruen, Michiko de Kowa und Ilse Benn bauten sich Freundschaften auf. Nur Mary Tucholsky und
Olda Kokoschka, die mich gleichfalls zu ausführlichen Gesprächen (in ihren Domizilen am Tegern- beziehungsweise Genfersee) empfangen hatten, entließen mich bei der Verabschiedung mit der zwar höflichen, doch in der Sache knallharten Warnung, sie wüssten sich, wenn auch nur die kleinste Kleinigkeit an meinen Texten nicht „stimmen“ würde, zur Wehr zu setzen – Frau Kokoschka übrigens unter Hinweis auf ihre abgeschlossene Ausbildung zur Juristin.

Gütlicher ging die Sache mit Thomas Bernhard aus: Er begnügte sich damit, mir über einen seiner Vertrauten ausrichten zu lassen, dass er an meiner Geschichte über die Schauplätze seines Romans „Das Kalkwerk“ etliches auszusetzen habe. Aus dem Umkreis der in die Ermordung des Philosophen Moritz Schlick verstrickten Ärztin Sylvia Borowicka („Eine Liebe in Wien“) erhielt ich einen bösen Brief, über meiner Darstellung der Papst-Vertrauten Madre Pasqualina kam's zum offenen Krach, und einer der Nachkommen jenes Georgios Sorbas, der Nikos Kazantzakis als Urbild seiner berühmtenRomanfigur gedient hatte, schreckte mich mit Geldforderungen.

Über Lebende zu schreiben, und sei es noch so korrekt, ja liebevoll, ist stets ein Wagnis. Doch auch vom Gegenteil kann ich berichten: Auch das Nichtschreiben, das Übergehen und Ignorieren kann Unmut stiften. Als 1985 mein Buch „In deinem Sinne“ erschien, meldete sich eine entrüstete Einzi Stolz zu Wort und setzte mir in der ihr eigenen Monomanie auseinander, welch schwerer Fehler es gewesen sei, sie von meinem Projekt auszuschließen: Eine komplette Auflage hätte sie angekauft! Ich hütete mich, meinen Verlag davon in Kenntnis zu setzen; dort wäre man über den vom Autor verschuldeten Verdienstentgang sicherlich nicht glücklich gewesen.

Doch zurück zu meiner Ausgangsthese: Über Lebende zu schreiben birgt Gefahren über Gefahren. Mein Schlüsselerlebnis – ein Trauma, das bis heute fortwirkt – reicht in die Zeit meiner allerersten journalistischen Versuche zurück: 1952. Ich hatte nach der Reifeprüfung, um Geld fürs Universitätsstudium anzusparen, einen Job in einer Landmaschinenfabrik meiner pfälzischen Heimatstadt Zweibrücken angenommen, gefolgtvon einem Volontariat in der Redaktion des am selben Ort erscheinenden Lokalblattes „Pfälzischer Merkur“. Ich schrieb über Kaninchenzüchterwettbewerbe und Tanzstundenbälle – über alles, was an Berichtenswertem in einer Kleinstadt von mäßigem Ereignisvolumen anfiel. Auch Vorträge an der örtlichen Volkshochschule zählten zu meinem „Ressort“.

Ein ambitionierter Zweibrücker Lehrer hatte eine Stellung erhalten, die in der damaligen Zeit einer Sensation gleichkam: Er wurde als Deutsch-Lektor an ein Gymnasium in Spanien verpflichtet, und das auf Dauer. Nun war er, ferienhalber, für ein paar Wochen in die Heimat zurückgekehrt und berichtete in der Volkshochschule über seineErfahrungen in der Fremde. Das Auditorium hing an seinen Lippen. Ich zückte meinen Notizblock, schrieb eifrig mit, verfertigte meinen Bericht, der Bericht erschien.

Einige Monate später erfuhr ich von Bekannten, Herr N. sei aus Spanien ausgewiesen worden – und zwar wegen meines Artikels im „Pfälzischen Merkur“. Der Passus in meinem Text, der ihn um seinen Posten gebracht habe, sei das Wörtchen „Caudillo“ gewesen, mit dem er in seinem Vortrag Staatschef Franco charakterisiert hatte. Und Caudillo, also Führer, mochte der Generalissimus absolut nicht genannt werden, schon gar nicht im weltweit geschmähten ehemaligen Führerstaat Deutschland.

Obwohl ich mit meinem Bericht nichts anderes getan hatte, als wortgetreu zu referieren, fühlte ich mich schuldig. Der Fruchtmarktstraße in Zweibrücken, wo der Expatriierte nunmehr sein Domizil hatte, wich ich großräumig aus. Nicht auszudenken, ich hätte ihn aus dem Haus treten sehen; sein mit Sicherheit vorwurfsvoller Loser-Blick verfolgte mich bis in meine Träume.

Mit dieser Hypothek trat ich 20 Jahre später – 1973 erschien mein erstes Buch – einen Job an, der zu großen Teilen darin bestand, mit Persönlichkeiten öffentlichen Interesses Kontakt aufzunehmen, sie an ihren Wohnadressen aufzusuchen, mir ein Bild von ihrem Leben und Schaffen zu machen, das Bild in Worte zu fassen, die Worte zu Büchern zu bündeln und mit den Büchern an die Öffentlichkeit zu treten. Die Querelen blieben nicht aus: von Verstimmung über Protest bis zu Drohung mit anwaltlichem Einschreiten.

Mit dem in New York recherchierten Jura-Soyfer-Kapitel meines Buches „Glückliche Erben“ wurde ich in erbitterte Eifersuchtshändel zwischen Schwester und Exfreundin des Dichters hineingezogen; die Schwierigkeiten mit Charlott Frank, die eigentlich hätte dankbar sein müssen, dass ichmit dem Porträt ihres verstorbenen Mannes einen Beitrag zur Wiederbelebung des Werksvon Leonhard Frank hatte leisten wollen, führten dazu, dass ich das betreffende Kapitel entnervt strich; und mein Plädoyer für die Wieland-Wagner-Witwe Gertrud Wagner, deren allseits verschwiegenen Anteil an den gerühmten Inszenierungen ihres Mannes ich zu würdigen und deren einsamen Kampf gegen die Anfeindungen aus der Schlangengrube Bayreuth ich zu unterstützen versuchte, bekam es plötzlich so sehr mit der Angst zu tun, dass sie unseren mehrstündigen Diskurs in ihrem Haus auf Sylt ungeschehen machen und mit Paniktelegrammen die Veröffentlichung meines Textes unterbinden lassen wollte. Nur dem Beistand eines Urheberrechtsspezialisten, der zur vorsorglichen Streichung mehrerer „heikler“ Passagen riet, war es zu verdanken, dass das Buch erscheinen und die zu gewärtigende Einstweilige Verfügung abgewendet werden konnte.

Ich will es bei diesen wenigen Beispielen bewenden lassen. Ich denke, sie reichen aus, um meiner Leserschaft verständlich zu machen, warum ich lieber über Tote schreibe. Grillparzer und Mozart reden mir nicht drein, sie lassen mich gewähren.

Blieben nur noch die lästigen Einwürfe der selbst ernannten Gralshüter e.V., die, mitgliederstark und statutenfreudig, im Eintreten für ihr Idol vor keinem Mittel zurückschrecken: Auch Karl-May-Gesellschaft und Bert-Brecht-Kreis sind nicht ohne. Aber das wäre schon wieder ein eigenes Kapitel. ■

Geboren 1934 in Hannover. Aufgewachsen in der Saarpfalz. Lebt seit 1957 in Wien. Jüngstes Buch: „Landpartie. Begegnungen, Erlebnisse und Entdeckungen in Österreich“(Amalthea Verlag, 2013).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2014)

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