Sex, Drugs & blauer Dunst

„Expedition Europa“: Rauchen hinter PVC – Besuch in Ungarns „Nationalen Tabakgeschäften“.

Seit sich die lustigste Baracke des Ostblocks in das grimmigste Exerzierfeld der Gegend verwandelt hatte, fuhr ich nicht mehr gern nach Ungarn. Und jetzt plötzlich das. Ein tausendfach aufblitzendes Schild in den Nationalfarben, im strengen Design des Spätstalinismus, dazu das rote Zeichen „Zutritt unter 18 Jahren verboten“: „Nemzeti Dohánybolt“, das „Nationale Tabakgeschäft“. Seit 2013 dürfen in Ungarn nur noch staatlich lizenzierte Läden Tabakwaren verkaufen. Selbst eigentlich fast Nichtraucher, werde ich umgehend süchtig nach „Nationalen Tabakgeschäften“.
Das Gesetz entfaltet seine verführerische Wirkung damit, dass man die Zigaretten von der Straße nicht mehr sehen können darf. Oh, diese Streifenvorhänge aus PVC! Oh, diese robusten Holztüren umgewidmeter Besenkammerln beim Greißler! Oh, ihr huschenden Schemen hinter Milchglasscheiben! Ich kann einfach an keinem „Nationalen Tabakgeschäft“ vorbeigehen. Im Ostkomitat Szabolcs-Szatmár-Bereg betrete ich fünf, im Zentralkomitat Heves vier, im Nordkomitat Nógrad zehn.
Die Nörgler sind natürlich wieder dagegen. Sie behaupten, die Regierungspartei Fidesz habe den Tabakhandel ihren Vasallen zugeschanzt, und außerdem müsse sie ein Sicherheitsproblem neuer Art verantworten – unbeaufsichtigte Kinder, die vor den „Nationalen Tabakgeschäften“ auf Mama oder Papa warten.

Grinsen, fideszfeindlich

Als hätte die Regierung dem nicht bereits vorgebeugt: Sie investiert in den Jugendfußball, so holt sie die vor den „Nationalen Tabakgeschäften“ stehenden Kinder von der Straße. Zsolt Hanzély von der nationalen „Nonprofit“-Dachorganisation fasst es so zusammen: „Es hat eine Restrukturierung des Tabakmarktes gegeben.“ Es würden weniger Zigaretten und mehr Schnitttabak gekauft. Der Schmuggel habe zugenommen.
Ziemlich irregulär wird das Gesetz in Grenznähe ausgelegt: In Somoskö, an der slowakischen Grenze, sind beide Läden frei einsehbar. Als würde man sich vor Ausländern des Sichtschutzes schämen. Schon 25 Kilometer vor der ukrainischen Grenze, in Vásárosnamény, kann ich mühelos durch einen Schlitz hineinlugen. Darf das sein, gibt es noch keine „Nationale Tabakgeschäftverhüllungsmiliz“?
Besonders neugierig bin ich auf Beregsurany, den letzten Ort vor der ukrainischen Grenze, ist doch in der Ukraine ein Packerl Beuschelreißer ab 25 Cent zu haben. Ich frage einen jungen Zigeuner, der auf seinem Fahrrad vorbeigondelt, paffend. „Nincs“, antwortet er, „es gibt keines.“ Sein Gesicht verzieht sich zu einem breiten, triumphalen, ja ich kann nicht ausschließen fideszfeindlichen Grinsen.
Im Rest Ungarns spielen mir die „Nationalen Tabakgeschäfte“ das ganze Kaleidoskop erwachsenen Lebens. Manche fühlen sich wie Apotheken an, andere wie dem Laster geweihte Zellen. Das einheitliche Nationaldesign lässt Unterschiede prägnant hervortreten: Oft sind draußen Zettel an das Milchglas geklebt, „Hier wird Kaffee verkauft“, „Lotto-Annahmestelle“, „Schnaps, Alkohol, Energy-Drinks“. Der Höhlencharakter führt offenbar zur Häufung von Regelübertretungen. Viele Lizenznehmer verbieten ausdrücklich das Rauchen im Geschäft, einmal sehe ich gar einen Zettel: „Rauchverbot ab fünf Meter Entfernung vom Eingang.“ Und sogar beim Schmusen ertappe ich eine nationale Tabakverkäuferin in ihrer blickdichten Höhle. Sex, Drugs & Nemzeti Dohánybolt, angeblich sind die „Nationalen Tabakgeschäfte“ auch leicht auszurauben. Nicht ohne Grund heißen die Männer in Familie Orbán „Sieger“. Vater und Bruder auf Ungarisch, Gyözö, der Premierminister auf Latein, Viktor. Mann muss ihm keine Triumphbögen errichten, er hat der ungarischen Nation ein Geheimnis geschenkt. ■

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