Saufen, singen, sitzen

Was das fröhliche Besingen des fröhlichen männlichen Betrinkens mit den Werten der Universität verbindet – oder auch nicht. Anmerkungen zu einem Liedgut besonderer Art.

Noch treten sie „geschlossen stark“, gemäß ihrem Motto, gegen die Welt an, auf dem Universitätsgelände ihre gefährdete Sichtbarkeit und Versammlungsfreiheit verteidigend – die Couleur-Studenten. „Frisch auf, wir wollen fröhlich sein, hoscha poscha!“ Und doch: Ein Genre ist in Gefahr – das Studenten-, Trink- und Männerlied. Manche der Sänger-Studenten-Seilschaften sagen alles im Titel, wie die Sängerschaft Waltharia. Ihre Trinklieder sind ein zutiefst männliches, zentrales Genre für die Musikszene. Nach Sex, Love und Rock'n'Roll, Pardon, Trennungsschmerz, ist kein Thema so oft besungen worden wie alkoholhaltiges Getränk. Wobei die These zu prüfen ist, ob das Besingen immer ein Lob des Trinkens ist. Das Genre des Trinklieds ist in der klassischen Musikwissenschaft jedenfalls ein wenig beachtetes. Eher führt uns die Musikethnologie in die Produktionsbedingungen des Trink-Singens, Besingens, Betrinkens und erweitert den Blick der puren Textur auf jene, die das Lied des Trinkens vollführen: die Matrosen, die Seeleute, die Studenten, die Tagelöhner, die Arbeiter, die Hippies.

Nach der Frage, wer aller singend trinkt, ist die Frage nahezu obsolet, ob darunter auch Frauen sind. Wohlgemerkt: Frauen, die ihr Trinken besingen. Selbstredend gibt es trinkende Frauen, aber Betrinken, Besingen und Studentinnenleben sind doch innerhalb und außerhalb der Lieddichtung schwer vereinbare Bereiche. Die erste Damenverbindung wurde 1899 im Köln-Bonner Raum gegründet. In einem der Lieder dieses Studentinnenvereins, „Hilaritas“, sangen die Frauen: „Mag zehnmal der Franzose sein verhasstes Wesen treiben, / Wir wollen hier am deutschen Rhein stets deutsche Frauen bleiben!“

Trinklieder, erstmals erschienen im Allgemeinen Deutschen Kommersbuch im Jahr 1858, sind eine zentrale Kategorie der Studentenlieder, wozu auch Wander- und Mensurlieder zählen. Letztere sind ein besonders brutales Metier, „in dem in Strömen Blut dort rinnen tut“. Die studentischen Trinklieder lassen jubilieren: „General Laudon rückt an, mit 600.000 Mann.“ Oder: „Die feurigen Bomben erschallen, piff, paff, puff, vivalleralala!“

Die Genregrenze zu Vaterlandsliedern ist fließend, ebenso zu den Altherren-Liedern und den Liebesliedern, die Verwandtschaft zu den Fechtliedern ist gegeben und zwar so: Das Singen der Trinklieder folgt ganz bestimmten sportlichen Abläufen. Sitz- und Kleiderordnung sind festgelegt, genauso das Verhalten der Beteiligten. Das inkludiert das Verbot, den Raum zu verlassen, sowie die Erlaubnis zur Unterhaltung – ein Regelwerk, entstanden als Parodie auf den Fechtcomment im 19. Jahrhundert, genannt Biercomment. Da gibt es den Bierjungen, ein Trinkduell, das derjenige gewinnt, der schneller als sein Gegner eine vorher festgelegte Anzahl Gläser leert. Ein Schiedsrichter beim Biergericht entscheidet, ob der Comment eingehalten wurde. Wer dagegen verstößt, landet im Bierverschiss, wird von der Kneiptafel verwiesen und muss bestimmte Aufgaben erfüllen, um sich aus seinem Exil herauszupauken.

„Stoßt an! Männerkraft lebe!“

Der Biercomment, eine Parodie also, wie auch das ganze studentenbündische Leben eine Parodie auf das Studentenleben ist, legt akribisch fest, wie Trinkrituale und Trinkspiele auf Kneipen abzulaufen haben. Die Bezeichnung „Kneipe“ ist 1781 bei Christian Wilhelm Kindleben für „eine Bierschenke“ belegt und entstand als Verkürzung aus „Kneipschenke“, bezieht sich auf kniepen oder kneifen, auf das enge Zusammensitzen. Der Begriff des Wirtshauses ging auch auf die Wohnstätte des Studenten über. Im engeren Sinne ist die Kneipe ein Ort des Singens, im weiteren liegt die Kneipe im poetischen Fall auf einer Burg, am besten auf der Wartburg – „Stoßt an! Männerkraft lebe! Hurra hoch! Wer nicht singen, trinken und lieben kann, den sieht der Bursch voll Mitleid an“, – realerweise im Keller, im Burgkeller oder gleich im Keller einer Bierbrauerei.

Wenn die Studentenverbindungen eine Parodie auf das Studentenleben sind, so sind die studentischen Damenverbindungen eine Parodie auf die Studentenverbindungen. Ein gegenwärtig gesungenes Lied einer Mädelschaft nach der Melodie von „Es zog ein flotter Bursch zum Rhein“ singt sich: „Wie wütend ich aufs Studium bin! Mein rosenfarbner Teint ist hin, vom Lernen gehn die Haare aus.“ Die Studentinnen besingen die gegen sie verwendeten Vorurteile als zarten Versuch der Auflehnung und Ironie.

Auf der Suche nach den speziellen Regeln und Ritualen des universitären Trink-Singens sagt der Biercomment: Der Abend beginnt mit dem Ruf „Silentium“ und dem Anstimmen des „Ersten Allgemeinen“. „Es erklingt der erste Kantus dieses Abends – Titel – auf Pagina – Seitenzahl – Bierorgel – bitte ein halbe Weise voraus. Ad eins! Das Lied zieht durch!“ Den strengen Regeln, „stricitissime“ genannt, steht der Auftrag, „Inoffizium“, gegenüber: „Hiermit trinke ich die Kneipe unter den Tisch.“ Die Wahl der Lieder wird bestimmt vom Präsidium, jeder ist verpflichtet mitzusingen, es sei denn, er hat dem Präsidium vor der Kneipe, also dem Zusammensein, seinen Entschuldigungsgrund mitgeteilt. Zum Sologesang wird man als Strafe verdonnert; vertreten – also substituieren – darf man sich nicht lassen.

„Rundgesänge und Komments müssen auswendig gesungen werden“, heißt es, wobei die Kinderreim-ähnlichen Verse wie „Es geht ein . . . an unserm Tisch herum“ wohl leicht gemerkt werden können. Daran anschließend kommt das Lob des Biersingens und die Frage: „Bruder, deine Schönste heißt?“ Die Frage ist unausweichlich mit einem Frauennamen zu beantworten; die nun im Kreise genannte Geliebte lässt der singende Männerchor hochleben, danach singen dieMänner auf Bacchus und lassen die „Schwarzen, die Blonden, die Braunen“ hochleben. Frauen und Wein sind Grund zur Freude und Fröhlichkeit: „Hübsche Mädchen, guter Wein, laden uns zur Freude.“

Getanzt wird nicht, jedenfalls nicht mit den Füßen. Was Galopp heißt, ist kein Tanz, sondern ein Weiterreichen des Biergefäßes. Es gibt auch das Aufstellen in einer Reihe, rund um das Präsidium auf dem Fass, wobei sich die aufgestellte Reihe unter fortwährendem Absingen um den Fürstenthron, das Fass, herumbewegt. Diese Zeremonie ist etwas für Aufgestiegene. Fortgeschrittenere, akrobatischere Trinklieder werden zu zweit auf einer Stuhllehne absolviert: „Wir steigen einen Halben in die Welt.“ Nachdem sich die Sänger jeweils einen Substituten ernannt haben, steigen alle auf den Tisch, leeren die Gläser, ducken sich unter den Tisch und singen mit gedämpfter Stimme weiter.

Die Trinklieder schwärmen von vergangenen Zeiten, „da Treu und Glaube galten“, sie verspotten den Träumer und Misanthropen, den Einsamen, besingen die Geschlossenheit, die Männlichkeit, den Landesherrn, verhöhnen jene Religionen, die das Trinken ablehnen, besingen die Liebe, die immer an hübsche Mädchen gerichtet ist; eher als ein christlicher Gott – der zwar besungen wird, aber nicht in den Trinkliedern – wird Bacchus besungen, und Freiheit, Ehre und Vaterland. Noah habe das Keltern erfunden, aber: „Hat uns nicht Mahommed schändlich betrogen, dass er das Trinken zur Sünde gemacht?“

Das fröhliche Besingen des fröhlichen männlichen Betrinkens mit den Werten der Universität zu verbinden heißt, mehrere unüberbrückbare Gegensätze zu erkennen: Die Universität bekennt sich in ihrem gesungenen Wortschatz zu niederen, nicht universitären Begriffen – Saufen, Raufen, Kotzen – und zu wenig eleganten Verhaltensweisen. Keineswegs ist das Saufen und Grölen mit dem Abschluss des Studiums zu Ende; was Studentenverbindung heißt, ist ein sowohl hierarchischer wie – Frauen und Nichtmitglieder – ausschließender Gesellschaftsentwurf, der Aufstiegschancen und berufliche Möglichkeiten bietet, die allein den Eingetretenen vorbehalten sind.

Trinklieder werden zwar gemeinsam, aber selten im öffentlichen Raum gesungen, als ob das Aufkommen der Scham verhindert werden sollte. Der Intimität des männlichen Nahebeisammensitzens steht die seltene Öffentlichkeit entgegen. Beim Begräbnis Jörg Haiders im Oktober 2008 sangen Tausende Sänger und Sängerinnen, es kamen auch Burschenschafterchöre, manche der Verbindungsmitglieder wie der damalige Sozialminister Herbert Haupt kamen (und sangen) in Burschenschaftertracht.

Die akademischen Sängerschaften sahen sich als elitären Teil der florierenden bürgerlichen Männergesangsvereine in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – wobei sich die Elite auf die universitäre Mitgliedschaft und weniger auf das Repertoire der Lieder bezog. Was mit der Forderung nach Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit begann, wurde nach Aufhebung der Versammlungsverbote in den 1850er Jahren zu waffenstudentischen Korporationen; mit deren vordringlichem Ziel, das als bedroht gesehene Volkstum der Deutschen zu verteidigen. Die erste Republik ist von den universitären Verbindungen geprägt. Ottokar Kernstock dichtete als Mitglied der akademischen Burschenschaft Olympia im Jahre 1909 von den „deutschen Farben, der deutschen Kraft, der treuen deutschen Studentenkraft“, der er den „Saft, der ins Kelchglas rinnt, weiht“.

Studentenlied im Konzertsaal

An zwei Beispielen ist dem Studentenlied der Sprung in den Konzertsaal geglückt. „Gaudeamus Igitur“, bereits 1781 erstmals in einem studentischen Liederbuch gedruckt, wurde von Brahms anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an ihn 1879 in das Finale der Akademischen Festouvertüre integriert. Studentische Wanderlieder fanden Eingang in die mittelalterliche Anthologie Carmina Burana, aus denen 24 Lieder zu einer szenischen Kantate von Carl Orff gefasst wurden. „In taberna“ ist ein von Orff verwendetes Fress-und Sauflied der Vaganten: „So wir sitzen in der Schenken, / Darf uns Erdennoth nicht kränken; / Hier ein spiel, ein Suff daneben, / Dort ein wahres Heidenleben.“

Das Bild, das sich der ausgeschlossenen Forscherin aus den ihr zugänglichen Quellen zeigt, ist jenes eines fensterlosen Raumes, in dem an langen Tischen mit Stühlen einander gegenüber, Schulter an Schulter, sich berührend, Männer trinken, singen, gelegentlich aufstehen und sich niedersetzen oder ein paar Schritte nach festgelegtem Ritual gehen. Sie gleichen einander in ihrer Kopfbedeckung und Haartracht, sie unterscheiden sich in ihrer Kleidung in Details, die ihre Rangordnung bezeichnen. Sie kommen zu festgelegten Zeiten, müssen den Vorschriften des Singens und Trinkens gehorchen, werden zur Ruhe aufgefordert.

Alle Handlungen und Verhaltensweisen sind – mit Ausnahme von Stiftungsfesten – in einer hierarchischen Ordnungsstruktur verankert, unter den Anwesenden sind ausschließlich Mitglieder, keine Gäste, keine Frauen. Die sexuelle Orientierung, die in den Liedern vorausgesetzt wird, ist ausschließlich hetero, für Themen abseits der Vaterlandsliebe, der Treue, der Liebe zu Wein und Weib ist, nach den Liedtexten zu schließen, kein Raum. Im Kreis des männlichen Singens fehlt die Ironie, die Männlichkeit ist Voraussetzung für die Gemeinsamkeit mit dem Weiblichen der Universität: „Mögen sie saugen am Bierglas in Fröhlichkeit und Übermut, an den Brüsten der Alma mater mit Ernst und Eifer, alles zu seiner Zeit.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2015)

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