Brimsen und blaue Augen

„Expedition Europa“: wovon junge Slowakinnen träumen.

Einmal im Jahr bin ich Juror eines Literaturpreises. Es geht nicht um viel, slowakische Studenten bewerben sich mit Kurzgeschichten in deutscher Sprache um einen Preis. Als deutschsprachiger Autor, der in der Slowakei lebt, kann ich mich einem solchen Ehrenamt nicht entziehen. Es nehmen fast ausschließlich weibliche Studierende teil, häufig aus dem Einzugsgebiet der ostslowakischen Hochschulstadt Prešov. Auch wenn die Texte keine statistische Größe darstellen, so erzählen sie vielleichtdoch etwas über Sehnsüchte, Ängste und Ideale der ostslowakischen Jugend.

Da sich in den letztjährigen Einsendungen kein rechter Inhalt erkennen ließ, denke ich lieber an das Jahr davor zurück. Da brach sich erstmals eine Tendenz Bahn: Es wimmelte nur so von sexy Germanen, blauäugig oder gar blaublütig. Wie auch in der professionellen slowakischen Literatur, so kommen bei den Studentinnen des Ostens die Themen des Ostens nicht vor, weder die 20 Prozent Roma noch die Massenwanderung ihrer Mütter als 24-Stunden-Pflegerinnen in unser schönes Österreich.

Nicht ganz im Trend lagen ein Text, in dem ein schönes junges Paar über die Existenz Gottes streitet, und die Geschichte von einem radikalen Bücherwurm, den seine Freundin zur Rede stellt: „Meinst du, dass es normal ist, mit 26 in einer Garage zu wohnen und noch dazu das einzige Bett zu verkaufen, um mit allen Büchern der Welt leben zu können?“ Einst von der Großmutter ermahnt, dass man nie im Leben auf dem Boden schlafen dürfe, verlässt die Ich-Erzählerin nach zweieinhalb Jahren Garage den Bücherwurm. Besser ging die Geschichte von der Klette aus, die in einer einsamen Gegend mit ihrem „lila Hut“ glänzt, bis ihr der Wind zuflüstert, dass sie von den Menschen als Unkraut betrachtet wird.

Märchenprinz auf Schildkröte

„So radikal wie Romeo und Julia muss es wiederum auch nicht sein“, sagte eine andere Ich-Erzählerin. Und doch: „Für Geld würde ich auch nicht heiraten.“ Aber: Der Erträumte sollte „ein halbes Königreich erben und mich heiraten.“ Sein Blut „ist blau. Er ist adelig. Er kommt aber nicht auf einem weißen Pferd, sondern mit einerSchildkröte.“ Im Text „Brimsennocken“ verliebte sich eine Prešover Erstsemestrige in den Besitzer eines Eissalons – „wunderschönes Lächeln, blaue Augen“. Sie beginnt für ihn zu kellnern: „Für eine Weile bediente ich in einem schwarzen Rock und einer weißen Bluse die Gäste. Manchmal ist Gehirn nicht so wichtig.“

Der Held einer Geistergeschichte stellte sich vor als „Georg Freiwald, ich bin der Förster hier“. Der Spuk endet im finsteren deutschen Wald mit einem Schuss: „Aber etwas war nicht in Ordnung. Wölfe haben keine blauen Augen.“ Alle Leitmotive jenes Prešover Frühlings waren in dem Text vereinigt, in dem die 17-jährige Slowakin Anna den deutschen Wehrmachtssoldaten Hermann erblickt. „Das blonde Haar zottig, der Helm auf dem Boden. Sie konnte nicht seine Augen sehen, doch sie war sicher, dass sie blau sind. Sie mussten doch blau sein. Er las ein Buch, Schiller.“ Wir schreiben das Jahr1944, ein unverständiger Partisan zerfetzt mit einem Bauchschuss die deutsch-slowakische Liebe.

Es wäre billig, aus den paar Texten eine Theorie abzuleiten. In den Anfängen des Wettbewerbs wurden mir eher Krimis und Gewissenserforschungen zum Thema Abtreibung vorgelegt. Doch auch in den letztjährigen Einsendungen zog sich das Motiv der blauen Augen durch. Aus mir spricht übrigens nicht die Missgunst. Es kommt nur vor, dass ich bei meinem schnurrenden alten Cafetier sitze und dass der Blick meiner tiefblauen Augen auf vorbeigehende Slowakinnen fällt und dass sich mir die Frage aufdrängt: Träumen diese Mädels von blonden Soldaten, blauäugig und deutsch? ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2015)

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