Idyll mit Pipeline

(c) Clemens Fabry
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Die Lobau: ein „intaktes Augebiet“, wie gern behauptet wird? Ein einzigartiges bestimmt: mit Ölhafen, Öltanklager, Grundwasserwerk, drüber der An- und Abflugverkehr des Wiener Flughafens – und drunter demnächst womöglich eine Autobahn. Nachrichten aus Wiens äußerstem Osten.

Die Lobau gehört zu den letzten intakten Augebieten Europas.“ So steht's auf der Lobau-Website der Stadt Wien zu lesen. Und so hören wir es alle gern. Aber wie hat man sich so ein intaktes Augebiet von magistratischen Gnaden vorzustellen? Fast 150 Jahre ist es her, da wurde durch die Donauregulierung bleibend getrennt, was unstreitig zusammengehört: die Au von ihrem Fluss. 75 Jahre ist es her, da ward die Au quer durchgeschnitten, von einem Kanalprojekt, lächerlicher Rest eines wahnsinnigen Regimes bleibend, das unserer Au zudem ein Öltanklager bescherte. 50 Jahre ist es her, dass die Stadt selbst die Au anzuzapfen begann, auf dass die Wasserversorgung sichergestellt sei. Demnächst wiederum schickt man sich möglicherweise an, das, was bis dato noch verblieb, für einen Autobahnbau zu untertunneln; und wie viel Wenn und Aber die Umweltverträglichkeitsprüfung zutage fördern darf, wird gewiss aufregend zu beobachten sein. Donauregulierung, Donau-Oder-Kanal, Tanklager Lobau, Ölhafen, Wasserwerk Lobau, 40, 50 Meter über all dem der Flugverkehr einer mitteleuropäischen Metropole – und drunter alsbald vielleicht die Wiener Außenringschnellstraße S1: Was ist da noch intakt – und was ist da Natur?

Alexander Faltejsekgreift in den Sand. „Ich hab meiner Tochter einen Kübel voll versprochen. Wenn man da bloßfüßig drinnen geht, fühlt man sich wie weiland Florian Berndl.“ Herr Faltejsek leitet die Forstverwaltung Lobau, Teil der städtischen Magistratsabteilung 49, zuständig für Land- und Forstwirtschaft; Florian Berndl (1856 bis 1934) ging als Begründer des Wiener Gänsehäufels in die Geschichte und in ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof ein; und die Sandschicht, die hat das Hochwasser des Jahres 2013 hier, nächst dem Donauufer, zurückgelassen. „Die Auflandungen der vergangenen Jahre, vor allem beim Hochwasser 2002 und zuletzt 2013, die sind ein gravierendes Problem, auf den großen Flächen sind da 15, 20 Zentimeter dazugekommen, dort, wo sich die Fließgeschwindigkeit rasch verlangsamt, auch mehr. Da gibt es richtige Sanddünen.“ Faltejsek weist Richtung Barbara-Brücke, die Rohrbrücke einige Meter flussaufwärts. „Man sieht es auch hier, wie weit der Weg unten ist, das Rundherum wird immer höher. Und das bleibt so, in diesem Bereich erodiert ja die Donau nichts.“ Die Folgen sind auch für den Nichthydrologen problemlos einsichtig: „Der Retentionsbereich wächst immer weiter heraus, und man muss alle 30 Jahre den Damm erhöhen, damit er mitwächst und damit die Wassermassen untergebracht werden können.“

Wenig später haben wir den Uferbereich hinter uns gelassen, bewegen uns Richtung Mühlleiten. „Schauen Sie da drüben, das sind Flächen unseres Landwirtschaftsbetriebes.“ Faltejsek zeigt auf ein Roggenfeld, das sich mitten im Auwald auftut, und fügt gleich an: „Die landwirtschaftliche Nutzung soll 2017 auslaufen, so sehen es die Regeln des Nationalparks vor.“ Jenes Nationalparks Donauauen, der, 1996 eingerichtet, auch weite Teile der Lobau umfasst. Und was passiert nach Auslaufen der Landwirtschaft? „Es werden derzeit schon ehemalige landwirtschaftliche Flächen in der Oberen Lobau Richtung autochthone Auwaldwiesen umgewandelt, die aber auch bewirtschaftet werden müssen.“ Weil sonst die Wiese demnächst keine Wiese mehr ist: „Man glaubt gar nicht, wie rasch sich der Wald das Territorium zurückerobert.“ Die Natur nämlich, weiß Faltejsek, die ist „in diesem Bereich ja seit Jahrhunderten vom Menschen geprägt“. Und der Wechsel aus landwirtschaftlich genutzten Flächen und Auwald mache für ihn im Übrigen ein Gutteil des Charakters der Landschaft aus.

Knapp bevor wir das Nationalparkcamp nächst dem Donau-Oder-Kanal erreichen, passieren wir die Schusterau, jenen Lobauteil der Wiener Stadtgrenze, der sich so willkürlich ins Niederösterreichische ausstülpt, als habe sich der Grenzzieher einen Scherz erlauben wollen. „Da gibt es eine alte Schottergrube, die ist, seit Längerem aufgelassen, ein Hotspot für die Adriatische Riemenzunge“, erzählt Faltejsek. „Das ist zunächst einmal ein von Menschen geprägter Standort, auf dem sich diese Orchideenart in den vergangenen 20, 30 Jahren ansiedeln konnte. Mittlerweile wächst aber der Wald dort wieder herein, und wenn man die Orchideen erhalten will, muss man eingreifen und die Flächen offenhalten.“ Also die Natur vor der Natur beschützen. Aber von welcher Natur ist überhaupt die Rede, Herr Faltejsek? „Nehmen wir als Beispiel die Diskussion um die Neophyten.“ Eine Art „Ausländer-raus“-Debatte unter Botanikern rund um Pflanzenarten, die mehr oder minder neu zugewandert sind. „Da gibt es die eine Gruppe, die sagen: Pfui, nein, die Neophyten, die gehören weg. Die anderen sagen: Okay, wir lassen die Natur arbeiten, warum gehen wir auf die los? Nur weil sie erst nach 1492 gekommen sind? Da gibt es einige ziemlich diskussionswürdige Bereiche im Naturschutz.“

Christian Egel ist zufrieden. „Ich bin froh mit dem Arbeitsplatz da herüben.“ Da herüben, das ist das Büro des Hafenmeisters im Ölhafen Lobau, und „da herüben“ ist es deshalb, weil alles andere, was dem Hafen Wien angehört, dort drüben, am rechtsseitigen Donauufer, liegt: der Hafen Freudenau, das Containerterminal Freudenau, der Hafen Albern. Da herüben, da ist alles viel kleiner, da herüben geht's geruhsamer her, da herüben gehört nicht einmal das Büro des Hafenmeisters dem Hafen selber: „Wir sind in dem Gebäude nur Untermieter, ich bin ja auch der Einzige vom Hafen hier.“ Außerdem: „Wirklich viel zu sehen gibt es halt nicht in einem Ölhafen, keine Kräne oder so etwas, das geht ja alles mit Leitungen. Im Augenblick haben wir nur ein Schiff herinnen.“ Auch wenn es mehrere wären: „Die Schiffe stehen nur da, und mit der Leitung, an die sie angeschlossen sind, werden sie befüllt.“ Spektakel, zugegeben, sehen anders aus.

Immerhin 1200 Schiffe legen hier jährlich an, immerhin 1,2 Millionen Tonnen Mineralölprodukte werden hier jährlich umgeschlagen. Und weil man als Binnenländer halt so gar keine Erfahrung damit hat, folgt die Hafenmeisterfrage aller Hafenmeisterfragen: Was hat ein Hafenmeister eigentlich zu tun? „Mein Aufgabenbereich ist, das Ganze hier zu kontrollieren. Gleichzeitig bin ich Hilfsorgan der Schifffahrtspolizei und nebenbei auch für die Verrechnung zuständig.“ Schließlich, jedes Schiff muss etwas zahlen, wenn es in den Hafen kommt. „Und Ansprechpartner bin ich für die Kapitäne.“

An jenem Vormittag jedenfalls ist über allen Pumpstationen wirklich und wahrhaftig Ölhafen-Ruh, und so fährt Herr Egel mit mir zur Hafeneinfahrt hinaus, dorthin, wo Donau, Entlastungsgerinne sowie Hafenein- und -ausfahrt ineinanderfließen, zu dem kleinen Leuchtturm, der anzeigt, ob der Hafen frei ist – oder eben nicht. „Es könnte ja etwas passieren“, sagt Egel, „und dann muss ich den Hafen sperren.“ Was wäre es, was da passieren könnte? Christian Egel zögert kurz: „Bevor ich den Hafen fix übernommen hab, ist einmal beim Befüllen etwas übergegangen.“ Aber: „Das ist heute nicht mehr möglich, dafür gibt es mittlerweile eigene Sicherungen.“

Hinter uns baggert ein Schiff das Hafenbecken frei. „Mein Problem“, sagt Herr Egel, und ausnahmsweise wirkt er ein wenig unentspannt, „ist das Entlastungsgerinne.“ Wenn das bei Hochwasser offen sei, treffe es direkt vor der Hafeneinfahrt auf die Hochwasser führende Donau: „Dann drückt es den Rückstau in den Hafen herein, und ich sauf herinnen ab.“ Dieses Wasser wiederum bringt jede Menge Schlamm, die es im Hafen zurücklässt. Und diese Menge wird von Hochwasser zu Hochwasser größer: „Sobald das Hochwasser kommt, macht jeder die Schleuse auf und schickt's dem Nächsten, der wieder dem Nächsten und der wieder und wieder und wieder. Bei uns bleibt's dann liegen, wir müssen nachbaggern.“ Und was geschieht mit dem Ausgebaggerten? „Das bringen wir in die Donau zurück.“ Damit man weiter flussabwärts auch noch eine Freude hat. Verklappen nennt man diese Art der Entsorgung auf kurzem Wasserweg. Freilich, damit werde es bald vorbei sein: „In Deutschland“, weiß Herr Egel, „ist es schon verboten, da muss man alles, was herausgebaggert wird, regelrecht entsorgen.“ Nur, das Baggern allein sei schon teuer genug: „Wie man das dann von den Kosten her behandeln wird . . .“

Im Kollektorgang hängen die Vorratszwiebeln. Kühl und feucht ist es hier, zwischen den beiden Wasserbehältern, links 28.000 Kubikmeter Wasser, rechts 28.000 Kubikmeter Wasser, dazwischen der Gang, der beide trennt und in dem sich nicht nur Zwiebeln tadellos lagern ließen. Walter Pichler ist Mitarbeiter der Wiener Wasserwerke, und in einem von zwei Wiener Wasserwerken, die tatsächlich auf Wiener Boden stehen, befinden wir uns in diesem Augenblick: im „Grundwasserwerk Lobau“.

Das heißt, „Grundwasserwerk“ darf es nur mehr auf der Erinnerungstafel rechts neben dem Eingang heißen, mittlerweile ist der „Grund“ der Anlage abhandengekommen, wie klingt das denn, Grundwasser, brrr, das möcht man ja nicht einmal die Toilette runterspülen. Hochquellwasser ist da gleich etwas anderes, und selbst wenn naturwissenschaftliche Gemüter einwenden mögen, dass beides, Hochquellwasser wie Grundwasser, doch auf die eine oder andere Art dem geologischen Untergrund entstammen: Grund ist Grund, und hoch ist hoch, und Ende der Wortklauberei.

„Grundwasserwerk sagen wir nicht mehr“, bestätigt Walter Pichler, wobei es ihm wichtig ist zu versichern, dass es von der Qualität her „kaum einen Unterschied“ zwischen Grund und hoch gebe, einzig von der Härte her: „Bei Hochquellwasser haben wir sechs bis acht deutsche Härtegrade, bei Grundwasser 15, vielleicht 16.“ Was in der Praxis nicht viel zu bedeuten hat, schließlich handelt es sich beim Wasserwerk in der Lobau um ein „Spitzendeckungswerk“. Heißt was? „Nur bei hohem Verbrauch über längere Zeit wird von hier eingespeist.“ Oder bei sogenannten Abkehren, will sagen: „Wenn auf einer der beiden Hochquellleitungen kein Wasser nach Wien kommt, weil an der Strecke gearbeitet wird.“

Das freilich bedeutet nicht, das Wasserwerk Lobau stehe mehrheitlich still. Denn: Gefördert wird immer, egal ob Wasser gebraucht wird oder nicht. „Die Brunnen sind immer in Betrieb“, sagt Walter Pichler, und er sagt auch, warum: „Da geht es um die Desinfizierung, damit die Rohrleitung immer gespült ist; wenn man sie braucht, kann man sie sofort verwenden, sonst müsste man ja drei Tage warten, bis man eine Freigabe hat.“ Was mit dem geförderten Wasser geschieht, das nie einen Verbraucher sieht? „Das kommt in die Entleerung.“ Klingt unerfreulich, bedeutet freilich nur: Das Wasser wird der Natur zurückgegeben, allerdings an anderem Ort, als es vordem war. Walter Pichler: „Früher sind wir fast nur Donauentleerung gefahren, dann hat es eine Besprechung gegeben mit dem Nationalpark, und da ist man draufgekommen, dass es gscheiter ist, wir lassen das Wasser da vis-à-vis reinrinnen in die Au, das ist die Entleerung Lausgrund.“

Mittlerweile haben wir längst das Zwiebelreich des Kollektorgangs verlassen, ich stehe in einem der beiden Wasserbehälter, vor mir braust und rauscht es, wie es sonst nur an den üppigeren der heimischen Gebirgswasserfälle braust und rauscht. Fünf Brunnen gebe es in der Lobau, der stärkste liefere maximal „280 Litersekunden“. In die Alltagssprache übertragen: jede Sekunde knapp drei Badewannen voll. Ob es der Au nicht schade, wenn ständig aus ihrem Untergrund so viel Wasser abgezapft werde? „Es gibt Untersuchungen schon aus der Bauzeit“, weiß Walter Pichler, „da hat man geschaut, wie viel man entnehmen kann. Da gibt es Konsense, das ist in Bescheiden festgelegt.“ Und was in hiesigen Bescheiden festgelegt ist, wird für Au und Grundwasser schon richtig sein.


„Ich darf vorausgehen?“Kurt Schneider fragt nur der höflichen Ordnung halber. Selbstredend geht er voraus, wenn wir in seinem Herrschaftsbereich unterwegs sind, im Tanklager Lobau der OMV. Gleich zur Begrüßung hat er mir die Dimensionen der Anlage in Daten und Fakten vorgestellt: „Das Lager ist einen Quadratkilometer groß, wir haben 62 Lagertanks, Fassungsvolumen insgesamt circa 1,6 Millionen Kubikmeter.“ Außerdem: „Das Tanklager ist durch eine öffentliche Straße getrennt. Im südlichen Teil sind die Halbfabrikate, auf der anderen Seite die Fertigprodukte.“ Und überhaupt: „Wir haben hier die größten Lagertanks Österreichs, das sind 130.000-Kubikmeter-Tanks mit 29 Meter Höhe, Durchmesser 80 Meter.“

Genau vor einem dieser Betonriesen stehen wir in diesem Augenblick. Nein, nicht vor einem dieser, vor dem Betonriesen schlechthin. „130-01“ heißt er, was ihn als 130.000-Kubikmetler mit der laufenden Nummer 01 ausweist. „Sodala, das ist ein Einzelstück.“ Kurt Schneider plaudert im Vorausgehen weiter, die Metalltreppe hinauf, die an die Oberkante des Tanks führt. Seit Jänner 2011 ist er Anlagenleiter in der Lobau, dortselbst wiederum der Raffinerie Schwechat zugeordnet, und zwar organisatorisch wie technisch-faktisch – durch eine Rohrbrücke über die Donau. Denn nicht in der Raffinerie selbst, sondern erst im Tanklager werde fertiger Treibstoff produziert, in zwei Mischanlagen nämlich, in einer „für Ottokraftstoff, also Benzin“, einer zweiten „für Mitteldestillate, also Heizöl extra leicht und Dieselkraftstoff“.

Man sieht schon, hier geht's unter anderem auch ziemlich petrochemisch zu. Wozu passt, dass wir uns auf dem gesamten Gelände, also auch jetzt, den Tank „130-01“ hinauf, komplett schutzbekleidet zu bewegen haben: Schutzhose, Schutzschuhe, Schutzjacke, Schutzbrille – und Schutzhelm sowieso. Hat ja seine guten Gründe. „Im gesamten Betriebsgelände können bei Betriebsstörungen brennbare und giftige Flüssigkeiten und Gase austreten, die explosionsfähige Gemische bilden können“, hat mich noch im Foyer ein gut viertelstündiger Film aufgeklärt, inklusive anschließendem Test, ob ich denn wenigstens das Wesentlichste verstanden habe, multiple choice, aber immerhin.

Multiple choice hat auch jeder, der von der Lobau aus beliefert werden will. Schiene, Straße, Hafen, alles da. Und sozusagen als Trumpf-Ass im Distributionsportfolio die Produktenleitung West, eine Pipeline, die das Tanklager Sankt Valentin, Oberösterreich, über 172 Kilometer mit Fertigprodukten versorgt. Die Donauauen: der Nationalpark mit Pipelineanschluss. So etwas kommt mutmaßlich nicht allzu häufig vor.

Mittlerweile haben wir die „130-01“-Oberkante erklommen, fast 30 Meter über Grund, und rund um uns öffnet sich der Blick ins Lobau-Ungefähre: von Lobau-Ölhafen über Lobau-Wald und Lobau-noch-Ackerflur bis zu den Lobau-Benzin- und -Dieseltanks in der unmittelbaren Lobau-Treibstoffnachbarschaft, militärisch streng in Treibstoffreih und Treibstoffglied. Vor uns das Innere des Tanks: ein gewaltiges Loch, das Schwimmdach, das ihn deckt, tief abgesenkt. Alles blitz und blank und aufgeräumt. Und fast könnte man über so viel Ordnung vergessen, dass wir auf einer quadratkilometergroßen Altlast stehen, zurückgelassen von den „Ostmärkischen Mineralölwerken“ der NS-Zeit, mit denen Tanks und Ölhafen überhaupt erst in die Lobau kamen, zurückgelassen von den Bombardierungen der Alliierten, zurückgelassen von mehr oder weniger leicht genommenen Lager-Hoppalas der Nachkriegsjahre – und erst vor gar nicht so langer Zeit, in den 2000ern, „saniert“. Konkret: mit einer bis zu 70 Meter tiefen Dichtwand und einer dichten Phalanx von Sperrbrunnen vom umliegenden Grundwasser getrennt. Was man halt so Sanierung nennt. Wenn eh nichts anderes mehr möglich ist.


Zeitungsausschnitte, Luftbilder, persönliche Notizen, Pamphlete. Im Lobaumuseum erinnern sie daran, wie das damals war, Ende der 1960er, Anfang der 1970er, als sich ein bis dahin nicht weiter auffällig gewesener Revierinspektor der Wiener Polizei anschickte, die Lobau zu retten. Will sagen: das, was davon noch geblieben war. „Lobau darf nicht sterben!“ nannte Anton Klein seine Bürgerinitiative, und es waren Projekte wie die (dennoch realisierte) Erweiterung des Tanklagers und eine (damals nicht realisierte) Autobahnquerung, die ihr 100.000 Unterschriften eintrugen.

„Wenn es diese Autobahngegner damals nicht gegeben hätte, hätten wir schon eine Brücke über der Lobau“, meint Robert Eichert. Eichert ist Grünmandatar im 22. Gemeindebezirk, deklarierter Lobaubegeisterter und im Übrigen eine Art geistiger Nachlassverwalter Anton Kleins, und an diesem Vormittag hat er sich Zeit genommen, mir die Tür des Lobaumuseums zu öffnen. Das nämlich, kurz nach jener frühen Lobau-Erregung im ehemaligen Hofjägerhaus, mitten in der Lobau, einquartiert, ist seit 2009 geschlossen: „Die Stadt Wien hat den Pachtvertrag mit Herrn Klein einfach nicht mehr verlängert“, erinnert sich Robert Eichert.

Und er erinnert sich auch an eine der Eigenheiten Kleins, die mit einer Museumsführung nach magistratischen Maximen mutmaßlich schwer vereinbar war: „Er hat ja die Natur hereingelassen, überall waren Spinnweben, die Fenster standen offen, die Schwalben haben herinnen gebrütet, das haben sie ihm immer vorgeworfen.“ Ganz abgesehen davon, dass die Bestände, von der Gewehrkugel aus den Franzosenkriegen bis zum Schwalbennest, heute auf zweieinhalb Zimmer zusammengedrängt, mehr private Präferenzen spiegeln, als es ortsüblichem musealem Anspruch unter ortsüblichen Museumsverhältnissen ortsüblicherweise zugestanden wird. Andererseits: Muss denn immer alles so ortsüblich sein?

Tatsache ist, dass es maßgeblich Kleins Initiative war, die Jahre später die Einrichtung eines Nationalparks Donauauen nach sich zog. Tatsache ist auch, dass der nunmehr vorgehabte Autobahntunnel passenderweise unweit von Kleins vormaligem Museumsreich zu liegen käme. Im Mai 2013 ist Anton Klein „von uns gegangen“, wie die Parte sagt, die an ein Museumsfenster geklebt ist. Zwei Wespen sind zwischen Parte und Fensterglas den Hautflüglertod gestorben. Die Natur nimmt ihren Lauf. Die Frage ist nicht, ob wir sie lassen, nur, ob wir ihn mit ihr nehmen. Dass die Lobau kein „intaktes Augebiet“ mehr ist, sollte hinreichend geläufig sein. Kein Grund, sie noch ein bisschen weniger intakt zu machen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2015)

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