Der Bildstock von Pungeşti

„Expedition Europa“: Chevron, Shell und das Schiefergas.

Ich bezweifle sehr stark“, antwortete mir der Präsident von Gasprom-Export, „dass Europäer eine Mondlandschaft bei ihren Häusern tolerieren würden.“ Ein Grinsen, kurz und süffisant, huschte über Alexander Medwedews Stoneface. Wir saßen in der Dachetage des Moskauer Wolkenkratzers von Gasprom, ich drehte gerade den Dokumentarfilm „Gas Monopoly“. Das war 2011, die USA hatten sich mit Schiefergas unabhängig von Import gemacht, und die amerikanische Technologie des „Fracking“ drängte nach Europa. Fracking bedeutet, das in Schiefergestein gefangene Gas durch gewaltigen hydraulischen Druck freizurütteln, unter Beigabe von Chemikalien, die das Wiederverschließen der Ritze verhindern. In Westeuropa war das kaum durchzusetzen. Drei osteuropäische Länder, die sich vom verhassten Gaslieferanten Russland befreien wollten, setzten aber auf Schiefergas.

Und nun scheint alles schon wieder vorbei. Polens vermuteter Gasschatz erwies sich bei Probebohrungen als Fantasie. Den Konzernen blieben die Ostregionen zweier Ostländer: Chevron bekam die Lizenz für die rumänische Moldau, Shell wollte im ukrainischen Donbass zehn Milliarden Dollar investieren. Doch Überraschung, Überraschung – diese Ostler wehrten sich erbittert.

Ich war neulich im Donbass. Es ist mindestens auffällig, dass ausgerechnet in der Kurstadt, in der „Öko.Slawjansk“ ab 2013 gegen Fracking demonstrierte, 2014 der Sezessionskrieg begann. Ich kontaktierte diese Bürgerinitiative.

„Proamerikanische Geisteskranke“

Eine Aktivistin, die offenbar mit den aus Slawjansk abgezogenen Separatisten sympathisierte,mailte zurück: „Wir konnten Shell nur aufgrund des beginnenden Bürgerkriegs aufhalten. Einige Aktivisten unserer Bewegung gingen unsere Erde verteidigen. Die Mehrheit fand Zuflucht in Russland. Die in Slawjansk Verbliebenen wurden von den jetzigen ukrainischen Machthabern für ihre Überzeugungen verfolgt. Der eine oder andere Aktivist heißt die jetzigen Machthaber gut und blieb in der Stadt.“ In Kiew sah sie „proamerikanische Geisteskranke“.

Ich hörte mich um. Die Frau eines Forstunternehmers behauptete: „Man sagt, dass die Hauptader des Schiefergases unter unserem Leninplatz liegt. Darum soll der Krieg genau hier begonnen haben.“ In der Musikbar „Dukat“: junge Männer, zerbrochene Gläser. Ein Nihilist mit Kulleraugen provozierte mich: „Ich scheiß auf alles. Meine Seele ist leer, aber ich fühle mich stark.“ Als ich sagte, ich käme wegen des Schiefergases, da zeigte er doch Emotion: „Ich hasse dich.“

Zu jener Zeit erreichte mich die Ankündigung, dass Chevron aus Rumänien abziehe. Seit 2013 waren Popen gegen Chevron aufmarschiert, und moldauische Bauernbuben hatten sich vor Chevron-Laster geworfen. Es war schon dunkel, als ich im ärgsten Widerstandsnest ankam: Pungeşti. Der junge Greißler fragte mich: „Glauben Sie, dass Chevron wirklich geht?“ – „Nun ja, bei den fallenden Gaspreisen ist Schiefergas unrentabel.“ – „Jetzt ja, weil Putin bumm bumm. Aber kommen die in einem Jahr nicht wieder?“

Auch beim Billard-Greißler im Ortsteil Siliştea, direkt nach der massiv umzäunten Bohrstelle, hatte keiner Vertrauen. Vor mir baute sich eine Reihe kleinwüchsiger Bauernbuben auf, alle die typische Langmütze auf dem Kopf. Prahlend erzählten sie, wie „tausend Polizisten“ sie niedergeknüppelt hätten, „aus Bukarest, Ungarn sogar“: „30 warten noch auf ihr Gerichtsurteil.“ Diesen Sonntag demonstrieren sie wieder. „Kommen Sie, da gibt's was zu sehen!“ Vor Chevron bemerkte ich schließlich einen neuen Bildstock. Ein aufwändig geschnitzter Christus, zu seinen Füßen ein Totenkopf. Darunter stand ein neuer Kilometerstein: „Pungeşti, 0 km: Würde, Mut, Rumänien.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2015)

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