Fünf Hochzeiten und kein Todesfall

Männer blieben in ihrem Leben letztlich nur Intermezzo. Die Leidenschaft für die Bildhauerei aber wurde zum treibenden Motor. Über die Kunst zur Selbstfindung: die Bildhauerin Anna Mahler, 1904 bis 1988.

Es war im Jahr 1929, als Anna Mahler (1904 bis 1988) krankheitsbedingt ihr unstetes nomadisches Dasein unterbrechen musste und von ihrer Mutter kurzerhand zur Genesung auf den – seit der Jahrhundertwende in der noblen Society so beliebten – Semmering geschickt wurde. Die Wahl der Mutter fiel auf das Kurhaus, einem zwischen 1907 und 1909 entstandenen luxuriösen Grandhotel, das heute, seit Jahren geschlossen, einer neuen Bestimmung harrt. Paul Zsolnay, erfolgreicher Verleger und Freund der Familie, wurde gebeten, Anna Gesellschaft zu leisten. Beide waren von diesem Plan wenig begeistert. Im exquisiten und entspannten Ambiente der noblen Kuranstalt begann es dennoch emotional zu knistern. Der eingefleischte Junggeselle – er war bereits 34 Jahre alt – traf die große Liebe seines Lebens. Für die aufstrebende 25-jährige Künstlerin sollte die Verbindung eine weitere Station auf dem Weg zu sich selbst und in die bereits dritte Ehe werden.

Anna war die Tochter von Gustav und Alma Mahler und Enkelin des Malers Emil Jakob Schindler. Ihre Großmutter hatte ihren Mann bereits mit seinem Assistenten Carl Moll betrogen und den Secessionisten nach dem frühen Tod ihres Gatten zum Stiefgroßvater von Anna gemacht. Deren Mutter Alma übernahm die erotische Aufbruchstimmung. Zwar opferte sie ihre eigene musikalische Begabung der Ehe mit Gustav Mahler, setzte jedoch ein turbulentes Liebesleben mit Walter Gropius, Franz Werfel oder Oskar Kokoschka in die Tat um. Schon als Kind konnte Anna dem Maler beim Entstehen seiner „Windsbraut“ zusehen und ihre Affinität zur Malerei entwickeln.

Trotz des anregenden künstlerischen Umfeldes der Mutter hatte sie keine spezielle Schulbildung genossen, jedoch in den verschiedenen Städten Europas Studien in Malerei absolviert. Musikalisch war sie besonders talentiert und fertigte schon mit 15 Jahren Klavierauszüge an. Zudem konnte sie Violine, Violoncello und Klavier spielen. Sie war belesen, kultiviert, sprach mehrere Sprachen, war klug und schön und auf der Suche nach ihrem eigenen Weg. Beziehungen blieben in ihrem Leben zwar wichtig, aber letztlich doch nur Intermezzo. Die Leidenschaft für die Bildhauerei aber wurde zum fixen Bestandteil und treibenden Motor.

Offensichtlich durch das turbulente erotische Leben ihrer Mutter und Großmutter geprägt, hatte die junge Anna 1929 bereits zwei Ehen hinter sich. Ihre erste verband sie mit Rupert Koller, dem Sohn einer der bedeutendsten Malerinnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Broncia Koller-Pinell. Mit dem Sohn Rupert teilte Anna die Liebe zur Musik, mit der Mutter jene zur Malerei. Als sie den um acht Jahre älteren angehenden Korrepetitor im Jahr 1920 heiratete, war Anna noch blutjung. Sie tat diesen Schritt laut eigener Aussage weniger für ihn, sondern vielmehr wegen der überaus faszinierenden Familie.

Liaison mit Ernst Křenek

Besonders zu Broncia baute sie schnell ein gutes persönliches Verhältnis auf und wurde in der Folge von deren Malkunst beeinflusst. Die Beziehung zu Rupert lief jedoch bereits nach einigen Monaten äußerst schlecht. Anna rettete sich in die Kunst und entfloh nach Berlin. Ihre formale Freiheit konnte sie, indem sie von Rupert geschieden wurde, aber erst nach Erreichung ihrer Volljährigkeit 1923 zurückgewinnen. Da war sie jedoch bereits mit dem aufstrebenden Komponisten Ernst Křenek liiert, den sie im Jahr 1924 umgehend ehelichte – um sich bereits 1926 von ihm wieder scheiden zu lassen.

Für Křenek bedeutete die Begegnung mit der Mahler-Tochter eine persönliche Erfahrung, die seinen Aussagen entsprechend, die Entfaltung „zu einem vollständig entwickelten Menschen rasch vorantreiben und den Horizont seines Daseins entscheidend verändern sollte“. Seine Beziehung zu ihr war nicht nur durch Sinnlichkeit bewegt. Er fühlte sich durchaus geschmeichelt, die Tochter des berühmten Komponisten für sich gewonnen zu haben. Als der Schweizer Mäzen Werner Reinhart das Paar in sein Land lud, sponserte er Křenek zu einem Zeitpunkt, der für diesen wesentliche Weichen stellte. Über zwei Jahre hinweg finanzierte er den Künstler, machte seine Geldzuwendungen jedoch von einer Heirat und dem Aufenthalt von Anna und Ernst in der Schweiz abhängig.

Für die junge Anna war das Leben an der Seite ihres komponierenden Ehemannes bald zu eng, dennoch erhielt ihre eigene künstlerische Betätigung durch den Kontakt zu dem Schweizer Landschaftsmaler Cuno Amiet neuen Auftrieb, den sie bei ihren malerischen Studien in Rom ausbaute. Die Wendung von der Malerei hin zur Bildhauerei aber vollzog sie erst in Wien. Hier vertiefte sie ihre Kenntnisse durch das Studium bei Fritz Wotruba.

Bei der Geburt der Bildhauerin spielte ihre dritte Ehe mit Paul Zsolnay eine wesentliche Rolle. Der Aufenthalt im Kurhaus am Semmering hatte seine Wirkung getan. Die Beziehung zu Zsolnay entwickelte sich für Anna 1929 schnell zu einem Verhältnis. 1895 in Budapest geboren, war Paul studierter Landwirt und entstammte einer vermögenden Industriellenfamilie, deren Wohlstand durch Tabakimport entstanden war. Der Zsolnay Verlag war unter seiner Leitung und mit der finanziellen Unterstützung seiner Familie seit seiner Gründung im Jahre 1924 zudem der Hausverlag von Franz Werfel. Beide Familien waren demnach geschäftlich eng miteinander verbunden.

Im Winter 1929 fand die nicht ganz freiwillige Hochzeit statt. Anna war schwanger – eine Tatsache, die man äußerst diskret behandelte. Ihre Mutter hatte das Verhältnis zu Franz Werfel ebenfalls im selben Jahr durch die Eheschließung – kurz vor ihrem 50. Geburtstag – legalisiert. Die erste Enkelin kam 1930 zur Welt und wurde nach ihrer Großmutter Alma benannt. Mit dieser Verbindung verstärkten sich zwei wichtige Wiener Netzwerke: jenes von Alma Mahler, die ab 1931 auf der Hohen Warte ihre Feste feierte, und jenes von Andy Zsolnay im Kaunitz-Schlössl in der Hietzinger Maxingstraße, wo nun auch Anna lebte und arbeite.

Die Ehe empfand Anna schon bald als Gefängnis und entfloh ihr bereits 1931 mit dem rumänischen Zsolnay-Autor René Fülöp Miller. Ein Skandal war unvermeidbar, die beiden derart verzweifelt, dass sie versuchten, gemeinsam Selbstmord zu begehen. Dennoch gelang es Paul, Anna 1932 in die ehelichen Gefilde zurückzuholen und sie monatelang vor der Welt abzuschirmen. Dies war die Geburtsstunde der Bildhauerin. In der Verzweiflung ihrer Einsamkeit wandte sie sich verstärkt den Skulpturen zu. Ihr Mann soll ihr, gemäß der Aussage ihrer gemeinsamen Tochter Alma, die Idee dazu gegeben haben. Anfang der 1930er bezog sie ein eigenes Atelier in der Operngasse 4.

Als Steinbildhauerin durchbrach sie die für Frauen auferlegten Restriktionen, mit hartem Material zu arbeiten, und beschritt damit einen neuen Weg. Im Zentrum ihres Schaffens stand der Mensch. Ihre zu Porträtierenden fand sie in Personen aus dem Freundeskreis – bei der Operettendiva Fritzi Massary, dem Komponisten Alban Berg, den Schriftstellern Hermann Broch und Franz Werfel oder der Schauspielerin Julie Andrews. Der Bundeskanzler des Austrofaschismus, Kurt Schuschnigg, fand sich ebenfalls als Büste wieder. Auch er soll der sinnlichen Anziehungskraft Annas erlegen sein. Gleichzeitig machte die – durch das autoritäre Regime feierlich zelebrierte Porträtskulptur – den politischen Spagat Annas deutlich. Die Büste befindet sich heute im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien.

1934, im Jahr des österreichischen Bürgerkrieges, kam es zur endgültigen Trennung von Paul. Während Alma mit ihren antisemitischen Tönen ganz dem Zeitgeist folgte, positionierte sich Tochter Anna auf der linken politischen Reichshälfte. Kurz vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich versuchte sie sogar zusammen mit einigen Linksintellektuellen, ein Bündnis mit Bundeskanzler Schuschnigg zu vermitteln und eine Delegation der Kommunisten und Revolutionären Sozialisten nach Paris zu entsenden, was jedoch scheiterte.

Anna floh nach London. Sie verlor ihre ersten Arbeiten, die sie in Österreich zurücklassen musste. Ihre „Stehende“, eine monumentale Plastik von zwei Metern, die 1937 bei der Pariser Weltausstellung im Österreichpavillon ausgestellt war, wurde ebenso wie ihr Frühwerk in Wien durch Bomben zerstört. Sie heiratete noch zweimal: 1943 in London den russischen Dirigenten Anatole Fistoulari, der der Vater der zweiten Tochter, Marina, wurde, und 1970 den Filmcutter, Schriftsteller und Regisseur Joseph Albrecht.

Von Henndorf nach Beverly Hills

In der Zwischenkriegszeit war Albrecht literarischer Berater und enger Freund von Carl Zuckmayer gewesen. Auf dessen Domizil in Henndorf bewohnte er immer wieder ein Blockhaus und produzierte dort seine Werke. Zuckmayer führte Joseph Anfang der 1930er in den Alma-Mahler-Kreis ein, wo er zum ersten Mal Anna begegnete und sich bereits damals grenzenlos in sie verliebte. In Amerika verbanden sich die Kreise der Vertriebenen erneut.

In seiner Beziehung zu Anna – sie waren seit den 1950ern ein Paar – widmete sich Albrecht auch ihrer künstlerischen Karriere. Nach dem Tod der dominanten Mutter im Jahr 1964 begannen für Anna die reifen und nun finanziell leichteren Jahre. Den in den Wohnsitzen von Los Angeles, Spoleto oder London geschaffenen Werken folgten zahlreiche Ausstellungen. Mit ihren steinernen Arbeiten vollzog sie einen geglückten Weg zu sich selbst. Während ihre Büsten Männer und Frauen zeigen, vermitteln ihre monumentalen Skulpturen eine fast ausschließliche Beschäftigung mit dem weiblichen Körper. Ihr weiblicher Torso wurde im Luisenpark in Mannheim aufgestellt, das „Ruhende Mädchen“ von der Österreichischen Galerie im Belvedere angekauft. 1988 fand in Salzburg ihre erste größere Ausstellung nach dem Krieg statt, die sie jedoch nicht mehr erleben konnte. Der dazugehörige Katalog aber, in Zusammenarbeit mit Annas Tochter Marina Fistoulari-Mahler herausgegeben, gibt einen Eindruck ihres Œuvres.

Anna Mahler schuf mit ihren Arbeiten nicht nur in Stein gemeißelte oder Bronze gegossene Zeugen ihres Kunstverständnisses, sondern mit diesem auch sich selbst. Dennoch fand ihr imposantes Lebenswerk nicht wirklich seinen Platz in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Möglicherweise deswegen, weil sie, im Gegensatz zu ihrer Mutter Alma, öffentlichkeitswirksame Selbstinszenierungen und Legendenbildungen verweigerte. Zudem blieb sie zeit ihres Lebens eine Nomadin zwischen den Kontinenten.

Ihre letzte Reise vollzog sie alleine. Mit über 80 Jahren bat sie Albrecht Joseph, wieder aus dem gemeinsamen Haus auszuziehen, sie wollte nur noch für sich und die Bildhauerei leben. Als sie 1988 in London starb, notierte Joseph in sein Tagebuch: „Mir waren 38 Jahre meines Lebens mit einer Lichtgestalt beschert.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2015)

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