Rent a womb

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Mein Bauch gehört mir!, hieß es einmal. Und heute: Mein Bauch gehört dir, meine Eizelle gehört dir! Über einen neuen Markt: Nachrichten aus der globalisierten Kinderwunsch-Industrie.

Love, marriage, baby carriage“, das waren in den 1950er- und 1960er- Jahren die Stationen der Familiengründung. Damals, im sogenanntenGoldenen Zeitalter von Ehe und Familie, gab es ein anerkanntes und von den meisten Menschen auch praktiziertes Lebensmodell, die „Normalfamilie“.

Tempi passati. Wie hat sich die Welt seit damals verändert! Verheiratete schwule und lesbische Paare, Kinder nicht verheirateterEltern, Scheidungen: Bindungs- und Beziehungsmuster, die noch vor wenigen Jahrzehnten als abweichend galten, sind weit verbreitet. Was einst Gegenstand moralischer Verurteilung war, ist heute völlig unspektakulär, eine Verhaltensform unter anderen.

Wenn aber nun immer mehr Lebensformen gesellschaftliche Anerkennung erlangen, warum sollen dann die, die jenseits der traditionellen Normalfamilie leben, auf Kinder verzichten? Wenn die einen das Recht auf Elternschaft haben, warum nicht auch die anderen? Das ist die Frage, die im Raum steht, seit sich mit der Medizintechnologie gänzlich neue Möglichkeiten der Fortpflanzung eröffnen. Viele, die vorher keine Chance hatten, können mithilfe der Reproduktionsmedizin nun ihr Wunschkind bekommen: Alleinstehende; schwuleund lesbische Paare; Frauen, die noch niemals Geschlechtsverkehr hatten;Frauen jenseits der 60, die im Pensionsalter ihre Sehnsucht nach Mutterglück entdecken; Frauen, deren Partner im Sterben liegt oder schon tot ist und die noch ein Kind von ihm wollen; Frauen, die sich sterilisieren ließen, als ihr Kinderwunsch erfüllt und die Familie komplett schien, aber nach Scheidung und Neuanfang auf ein Kind vom neuen Mann hoffen; Paare, die das Geschlecht ihres Nachwuchses bestimmen wollen.

„Appetit wird geweckt von der Möglichkeit“, hat der Technikphilosoph Hans Jonas schon vor Jahrzehnten gesagt. In diesem Sinne findet heute eine Expansion des Kinderwunsches statt. Mit der Pluralisierung der Lebensformen erweitert sich die Klientel der Reproduktionsmedizin um die verschiedensten Gruppen. Jetzt kommen nicht mehr nur Männer und Frauen mit physisch bedingten Problemen, sondern auch die, die aus anderen Gründen kinderlos sind.

Allerdings gibt es zwei große Hürden für diejenigen, die ihren Kinderwunsch über die technologisierte Fortpflanzungsmedizin erfüllen wollen. Zum einen gibt es in vielen Ländern, und so auch in Österreich, gesetzliche Restriktionen: Nicht alles, was medizintechnisch möglich ist, ist auch erlaubt. Und zum anderen sind da die finanziellen Hürden. Die Angebote der Reproduktionsmedizinhaben ihren Preis, und die Kosten werden nur teilweise von den Krankenkassen übernommen, müssen nicht selten selbst bezahlt werden (das hängt im Einzelnen ab von Land, Versicherung, Art des medizinischen Eingriffs).

Doch im Zeitalter der Globalisierung gibt es genug Möglichkeiten, solche Hindernisse zu überwinden. „Outsourcing“ heißt die Methode der Wahl. Man versucht sein Glück jenseits der nationalen Grenzen – dort, wo es weniger gesetzliche Beschränkungen gibt; dort, wo die Arbeitskraft billig ist und die Preise niedriger sind. Auf die entsprechende Nachfrage hat der Markt schnell reagiert: Innerhalb weniger Jahre sind in verschiedenen Ländern, von Tschechien bis Russland, von Indien bis Israel – zahlreiche Kliniken entstanden, auf Dienstleistungen imBereich des Kinderwunsches spezialisiertund nicht zuletzt auf Klienten und Klientinnen aus dem Ausland. Wer will, kann im Internet schnell einschlägige Kliniken finden, manche verheißungsvoll schon im Namen, zum Beispiel „Recht auf Leben“, „La Vita Felice“, „Global Egg Donors“.

Oft sind die angebotenen Leistungen auf die Wünsche der ausländischen Kundschaft zugeschnitten. So werden häufig die legalen Hürden in anderen Ländern angesprochen, um dann die Gesetzgebung am eigenen Standort als positiven Kontrast zu beschreiben: Sie wird mit Prädikaten wie „modern“, „aufgeschlossen“, „liberal“ gepriesen. Was in freier Übersetzung bedeutet: Bei uns wird es keine Probleme mit lästigen Vorschriften geben, unsere Dienstleistungen folgen ganz Ihren Wünschen. Manche Kliniken liefern, diskret umschrieben, auch den Hinweis auf halb legale Auswege und Umwege. Wo bestimmte Leistungen am eigenen Standort nicht zulässig sind, sei demnach – so heißt es – die Kooperation mit einer im Ausland ansässigen Klinik möglich, wo solche Restriktionen nicht gelten.

Manche Kliniken bieten auch eigenenRechtsbeistand an, damit die Kunden oder Klienten vor juristischen Komplikationen geschützt sind. Die Botschaft heißt: Wir helfen Ihnen im Kampf gegen die Paragrafen der Gesetzesmaschinerie. Für uns gilt: JederMensch hat ein Recht auf Kinder. Darüber hinaus werben manche Kliniken auch mit dem Hinweis auf deutschsprachiges Personal und deutschsprachige Ärzte. Als besondere Belohnung werden bei Internetauftritten gern auch die touristischen Reize der Klinikumgebung hervorgehoben, von Sonne und wunderbaren Stränden bis hin zu organisierten Sightseeingtouren. Nicht zu vergessen die Angebote für den gehobenen Geschmack, von kulinarischen Genüssen bis zu exzellenten Möglichkeiten des Shoppings. Was in freier Übersetzung heißt: Vergessen Sie Stress, Enttäuschung und Tränen. Bei uns finden Sie viele Möglichkeiten für Vergnügen, Entdecken, Erholung. Genießen Sie Urlaubsfreuden bei uns – und reisen Sie schwanger in die Heimat zurück.

Oft ist im Internet auch von den finanziellen Vorteilen des gegebenen Standortes die Rede, die Kunden erwartet eine „äußerst attraktive Preisgestaltung“. Mit anderen Worten: Wir bieten ein exzellentes Preis-Leistungs-Verhältnis, bei uns können Sie Ihr Wunschkind günstig bekommen. Manche Kliniken haben auch verschiedene Versionen im Angebot, nach Finanzkraft der Klienten gestaffelt – von der Komfortvariante (enthält Abholung am Flughafen mit eigenem Chauffeur); über die Standardversion; bis hin zum abgespeckten Basisangebot für den kleinen Geldbeutel. Und tatsächlich sind die Preise konkurrenzlos günstig, verglichen mit denen in den Ländern des Westens. Dies wird möglich durch die global ungleiche Verteilung von Wohlstand und Armut. In Ländern wie Indien oder der Ukraine sind Dienstleistungen aller Art billig. Entsprechend auch jene, die dem Kinderwunsch nachhelfen sollen. Das wirkt sich günstig auf die Preisgestaltung aus: Hier gibt es das Wunschkind zu Dumpingpreisen.

Im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage etabliert sich derart ein neuer Markt der transnationalen Kinderwunsch-Behandlung und des Kinderwunsch-Tourismus. Internationale Kliniken bieten Dienste aller Art an, von In-vitro-Fertilisation als Standardangebot bis zur Geschlechtswahl, von Katalogen mit Bildern der Samenspender und Eizellenspenderinnen bis hin zu Agenturen für die Vermittlung von Leihmüttern, mit Fotos und biografischem Profil.

Schon zeigen sich nationale Schwerpunkte auf dem globalen Markt der Kinderwunsch-Industrie, Formen der internationalen Arbeitsteilung entstehen. Weltweit kristallisieren sich Zentren heraus, die sich auf bestimmte Behandlungswünsche und Kundengruppen spezialisieren. Kopenhagen ist für lesbische Paare und alleinstehende Frauen attraktiv, Belgien gehört in Europa zu den Ländern mit den geringsten gesetzlichen Beschränkungen, und Indien wird zum Welt-Standort für Leihmutterschaft. Je nach gewünschter Behandlung und finanziellen Ressourcen entstehen allmählich länderspezifische Routen. So fahren Deutsche in die Türkei, Ägypter in den Libanon, Holländer nach Belgien, US-Amerikaner nach Rumänien. Deutsche Frauen lassen sich die Eizellen spanischer Frauen einpflanzen, US-Amerikanerinnen holen sich in Italien oder Griechenland Eizellen ab, Frauen im Libanon verwenden die Eizellen amerikanischer Frauen. Und immer mehr Kinderwunsch-Interessenten – Männer wie Frauen, Alleinstehende wie Paare –fahren nach Indien, um sich ihren Traum vom eigenen Kind zu erfüllen. Indien ist ein tief gespaltenes Land. Ganz oben die sehr kleine Gruppe der Mächtigen und Reichen;dann die immer noch kleine, allerdings expandierende Mittelschicht; undschließlich die Massen der Armen, ohne Zugang zu Bildung, sicherer Arbeit und angemessener Gesundheitsversorgung – viele Millionen ohne Aussicht, je dem Elend entkommen zu können.

So erklärt sich, warum immer mehr Frauen – insbesondere Analphabetinnen, Frauen vom Land, die am meisten Benachteiligten also – bereit sind, ihren Körper und seineRessourcen in den Dienst der Fertilitätskliniken zu stellen. Nach einschlägigen Berichten gibt es in Indien inzwischen zahlreiche Kliniken, die Leihmutterschaft anbieten. Leihmutterschaft, so heißt es, ist eine florierende Wirtschaftsbranche geworden, Indien ein „Mutterleib zu Billigstpreisen“, die „Welthauptstadt für Schwangerschaftsdelegation“. Leihmutterschaft, in vielen Ländern verboten,ist in Indien zugelassen, ja unter Gesichtspunkten der Wirtschaftsförderung positiv angesehen (der Medizintourismus wird durch Werbekampagnen der Regierung gezielt gefördert). Während sich die Gesamtkosten für ein über Leihmutterschaft geborenes Kind in den USA auf 70.000 bis 100.000 Dollar belaufen, ist die gleiche Dienstleistung hier für 12.000 bis 20.000 Dollar zu haben.

Davon erhält die Leihmutter selbst zwischen 5000 und 7000 Dollar – mehr, als viele sonst in Jahren verdienen können. Dafürmüssen die Frauen sich aber einem strengen Regime unterwerfen. Sie dürfen, so wird in den entsprechenden Verträgen bestimmt, während der Schwangerschaft nicht mehr zu Hause wohnen, müssen sich an einen vorgeschriebenen Ernährungsplan halten, auf sexuellen Kontakt mit dem Ehemann verzichten, ihre eigenen Kinder in der Obhut anderer lassen. Zur besseren Überwachung stellen dieKliniken oft Gemeinschaftsunterkünfte oder Schlafsäle bereit, wo die Frauen während der Schwangerschaftsdauer untergebracht werden. Regeln, um die Rechte der Leihmütter zu schützen, sind kaum existent.

Indem Medizin zum Geschäft wird, verändern sich auch die Normen. Nicht die Ethik ärztlichen Handelns hat Priorität, sondern das Prinzip der Gewinnmaximierung und Produktoptimierung. Zeugung, Schwangerschaft und Geburt werden aus dem personalen Verhältnis herausgelöst, werden ein Vorgang, der mithilfe von Lieferanten und Technikern zu erledigen ist. Dies zeigt sich auch in der Sprache. Mit Formeln wie „Rent a womb“ wird aus dem Blickfeld gerückt, dass das zu vermietende Objekt zugleich auch Subjekt ist, eine Frau und ihr Körper.

Unter diesen Bedingungen wird die Erfüllung des Kinderwunsches zu einer geschäftsmäßig kalkulierten Transaktion, vertragsförmig geplant und abgesichert. Manche Verträge enthalten Regelungen bis ins Detail, bis hin zu unerwarteten Ereignissen und möglichen Sonderfällen. (Wenn das bestellende Paar sich scheiden lässt oder stirbt, was soll dann mit den Embryonen geschehen? Wenn das Kind behindert ist oder wenn statt eines Kindes Drillinge kommen, besteht auch dann Abnahmepflicht?)

Aber gleichzeitig ist die industrielle Kinderproduktion kein Gewerbe wie andere auch, sondern eines, das höchst sensible,emotional hoch besetzte Bedürfnisse, Sehnsüchte, Hoffnungen der Menschen anrührt. Gleichzeitig geht es nicht um ein beliebiges, schnell entsorgbares, bei Nichtgefallen weiterreichbares Produkt, sondern um eines, das auf Dauer angelegt ist, ja eine lebenslange Bindung enthält, ohne Umtausch- und Rückgaberecht. Deshalb ist in allen Stadien der Produktion besondere Vorsicht geboten. Maßnahmen zur Qualitätssicherung sind unerlässlich und gehören zur gängigen Praxis. Etwa bei Samenspende und Eizellenspende: Wie die Kliniken immer wieder versichern, wird die Gesundheit und medizinische Familiengeschichte möglicher Spender und Spenderinnen einer genauen Prüfung unterzogen (welche Erkrankungen bei ihm oder ihr, den Eltern, den Geschwistern?), problematische Kandidaten und Kandidatinnen werden vorweg aussortiert. Ähnlich bei Leihmutterschaft: Hier werden die schwangeren Frauen nicht selten dazu verpflichtet, Untersuchungen durchführenzu lassen, die den Embryo auf mögliche Behinderungen oder genetische Belastungen (wie Down-Syndrom) testen sollen, um „gegebenenfalls“ einen Schwangerschaftsabbruch einzuleiten und die Geburt eines behinderten Kindes zu vermeiden. Bei Leihmüttern wird auch die Lebensführung während der Schwangerschaft durch Verbote und Gebote reglementiert (kein Rauchen, kein Alkohol, keine Drogen, kein Sex; stattdessen vitaminreiches Essen, genügend Schlaf); bei den Luxusvarianten ist dafür eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung der Schwangeren im Paketpreis enthalten. Solche Regeln sollen die Bestellväter und -mütter gegen Unfälle im Produktionsverlauf absichern: Sie können erwarten, dass das anvisierte Produkt, sprich das Kind, möglichst mängelfrei ist.

In den 1970er-Jahren hieß die Forderung der Frauenbewegung: „Mein Bauch gehört mir!“ Damals ging es um das Selbstbestimmungsrecht von Frauen, die sich gegen den „Gebärzwang“ auflehnten. Heute gibt es zunehmend Frauen, auch Männer, die sich ebenfalls auf das Recht der Selbstbestimmungberufen – nun mit der Absicht, ein Kind zu bekommen, auf welchen Wegen auch immer. Dafür bezahlen sie „reproduktive Dienstleistungen“, zum Beispiel Leihmütter und Spenderinnen von Eizellen, deren Devise heißt nun: „Mein Bauch gehört dir“, „Meine Eizellegehört dir“.

Aus der Perspektive der Marktliberalen istdas eine Win-Win-Situation. Die einen bekommen die Kinder, die anderen das Geld. Doch eine solche Perspektive übersieht, und das ist entscheidend, die grundsätzlicheAsymmetrie der Machtverhältnisse. Sie blendet die ungleiche Verteilung von Wahlmöglichkeiten, Abhängigkeiten, finanziellen Ressourcen aus, auch die ungleiche Verteilung von gesundheitlichen Risiken und Belastungen (etwa im Fall von Leihmutterschaft).

Deutlich wird jedenfalls, dass hier eine Transformation von Elternschaft beginnt. Was einst Naturereignis war, Schicksal oder Gottesgeschenk, wird im Prozess der medizintechnischen Bearbeitung und transnationalen Auslagerung marktförmig aufbereitet und vertragsförmig geregelt. Das mag manchen als Fortschritt erscheinen. Aber beim Blick auf die beschriebenen Bedingungen muss auch die Frage nach der Qualität dieses Fortschritts sich stellen; die Frage also, inwieweit der Trend zur „Ware Kind“ vereinbarist mit unseren Vorstellungen von der guten Gesellschaft: mit Menschenwürde, Freiheit, sozialer Gerechtigkeit. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2015)

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