Ciao, Europa?

Die Flüchtlinge von Trapani – ein Besuch in Sizilien. In der Serie „Expedition Europa“.

Der Anblick der afrikanischen Männer ist mir vertraut. So wie ich sie jetzt in der sizilianischen Hafenstadt Trapani sehe, sah ich sie vergangenen Winter in der marokkanischen Hafenstadt Tanger: Jeweils vor ausgeschalteten Springbrunnen versammelt, knöpfen sie ihre Winterjacken zu, während ich so viel Haut wie möglich in die Sonne halte. Was ich in Sizilien sehe, ist die Auslese junger Afrikaner, die es über das Massengrab Mittelmeer geschafft haben. Mit etwas Glück entgingen sie dann noch Don Sergio, dem Caritas-Direktor, der Asylwerbern als Mitglied der entscheidenden Kommission den Flüchtlingsstatus versprach. Dafür ließ sich der Pfarrer, sagt die Staatsanwaltschaft, von mindestens sieben jungen Ausländern im Auto befriedigen.

Ich will wieder eine Weile unter diesen Leuten sein, die für ein Leben in Europa ihr Leben geben. Ich nehme den Bus zum berüchtigten Asylwerberheim. Zwei EU-Abgeordnete bezeichneten dessen Schlafsäle 2011 als „Inferno“. 2014 verkündete der Präfekt die Schließung, die Schließung wurde verschoben. Am Tag meiner Busfahrt soll „CARA Salinagrande“ endgültig geräumt werden.

Im 31N fahren zwei Drittel der Fahrgäste in die Flüchtlingsunterkünfte. Der Bus passiert Wohnblöcke, Brachen, Seen, Olivenhaine, Hütten, Salinen – mehr Verbannung geht nicht.

Leitplanken statt Gehsteige

Ein Afrikaner sieht sich am Smartphone ein Video an. Ich erkenne darauf die Fußgängerzone von Trapani. Läden im Hintergrund, im Vordergrund Passanten. Es sind nicht die Prozessionen der Karwoche drauf, die vom Nachmittag bis spät in die Nacht durch die Altstadt ziehen. Nicht die markerschütternde Totenmusik von 100 schwarz uniformierten Trommlern und Bläsern. Nicht die mit Blumen geschmückten Madonna-Throne. Nein, das Smartphone hat Alltag gefilmt, einfach nur weiße Menschen in der Stadt. Der Afrikaner saugt das Gefilmte mit gebanntem Lächeln ein.

Ich steige aus. Salinagrande ist ein Wohnvorort mit Leitplanken statt Gehsteigen. Dementsprechend fahren die Autos. Das Asylwerberheim, das vorwiegend in Lampedusa gelandete Afrikaner beherbergt, sieht wie eine Kaserne aus. Im Hof wird Fußball gespielt. Die Afrikaner tragen meist Caritas-Klamotten. Sie telefonieren, oft hören sie Musik aus Handy-Ohrstöpseln. Nicht wenige fahren auf gebrauchten Damenrädern oder Kinderrädern auf und ab. Einer geht im denkbar feindlichsten Schuhwerk joggen, in flachen Jesusschlapfen.

An der Haltestelle: kein Fahrplan. Da der 31N nur alle paar Stunden fährt, beginne ich, nach der Abfahrtszeit zu fragen. Um 19.10 Uhr antwortet mir ein Ghanaer in vornehmem Kofi-Annan-Englisch: „Der kommt gleich.“ Die Haltestelle befindet sich vor einer roten Villa mit reich verästelten Palmen. Ich setze mich auf den Betonblumentopf davor. Der nächste Ghanaer sagt: „Der Bus kommt um 19.40 Uhr.“ – „Sicher?“ – „Sicher.“ Die nächste Info: „20.10 Uhr.“ – „Sicher?“ – „Sicher.“

Es wird dunkel. Ein sportlicher Nachbar sagt: „20.50 Uhr.“ Die Signora aus der roten Villa sagt: „Warten Sie. Ich habe einen Fahrplan im Haus.“ In diesem Moment schießt ein faustdicker Wasserstrahl aus ihrer Gartenmauer. Ich springe auf. „Er hält hier um 21.25 Uhr“, erklärt die Signora nachher. Ein Senegalese sagt auf Französisch: „20.30 Uhr.“ – „Sicher?“ – „Sicher.“ Der 31N kommt schließlich um 20.50 Uhr. Alle Afrikaner schauen vor der Antwort in ihr Handy. Dort haben sie keinen Fahrplan, sie schauen einfach so ins Handy. Den EU-Abgeordneten hat man CARA seinerzeit als „Avantgarde-Zentrum“ präsentiert, „in dem die Gäste Italienisch studieren“. Italienisch konnte aber keiner. Bis auf ein einziges Wörtchen: „Ciao.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2015)

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