Gras & Glas & Frühlingsluft

Vom Rausch: eine Begegnung im Wiener Stadtnebel.

Der Mensch ist, wie er ist, und das reicht ihm nicht. Von der wunderbar inspirierenden Welt umgeben, genügt es uns nicht, dass Frühling ist, ein schöner Mensch uns begleitet und das Meer blau ist. Man möchte selbst wenigstens hellblau sein, damit das Meer dunkelblau werde und die Augen des schönen Menschen auch. Dafür haben wir irgendwann damit angefangen, Getreide und Trauben zu vergären, auf dass der matte Vogel in uns zu fliegen beginne und das Herztempo frühlingshaft zulege.

Wenn ich mich früher besonders quälen wollte, dann fragte ich mich, worauf ich im Ernstfall (was auch immer ich mir darunter hätte vorstellen wollen) eher verzichten würde: Bier oder Wein. Ich sah mich dann einen heißen Sommertag in einem Gastgarten, den ich mir ohne ein frisches und kühles Bier nicht vorstellen mochte, ebenso wie ein abendliches Roastbeef ohne eine gute Flasche Claret mir wie eine Sünde vorkam.

Mittlerweile bin ich längst eher dazu angehalten, meinen sogenannten Alkoholkonsum (was für ein lausiges, ahnungsloses Wort für eine fallweise so schöne Sache!) generell herunterzufahren. Den Ausweg in andere Rauschmittel gibt es für mich auch nicht: Meine entsprechenden Erfahrungen beschränken sich auf zwei Versuche mit Cannabis, die beide mehr oder weniger scheiterten (ich weiß bis heute nicht, ob man mir den falschen Stoff angedreht hatte oder ob ich da tatsächlich resistent war).

Ich war mir daher kurz unsicher, ob ich überhaupt der Richtige war für die Frage, die mir kürzlich zwei junge, hübsche Burschen stellten, an denen ich, selbst in einem schweren Velasquez-Rausch, auf der Straße hinter dem Kunsthistorischen Museum vorbeiging.

Das Beste – und das Übrige

Der eine hatte eine Bierdose neben sich stehen, der andere die dicke Selbstgerollte zwischen den Fingern, ich ging etwas verdutzt durch die unverkennbare Schwade, und der eine rief mir zu: „Was ist schlimmer, Gras oder Alkohol?“ „Ist beides gleich schlimm“, war meine Antwort. – „Dann sollten wir wohl auch mit beidem aufhören?“ – „Ihr solltet, ja, aber ihr werdet es nicht schaffen.“ Kurzes Lachen, dann: „Wir geben unser Bestes.“ „Das ist es ja“, rief ich, schon aus leichter Entfernung. „Ihr gebt euer Bestes und bleibt mit dem jämmerlichen Rest zurück.“ Jetzt lachten sie laut und anhaltend, während ich im Stadtnebel verschwand.

Ich war unsicher, ob ich mich wegen Schlagfertigkeit loben oder nicht doch eher wegen onkelhafter Scheinheiligkeit verachten sollte. Zum Glück war mir bald klar, dass ich die beiden weder von irgendetwas abhalten noch auf Ideen bringen konnte, die sie nicht längst besser als ich selbst kannten, zumal sie sich vermutlich sowieso nur einen Spaß mit dem gutbürgerlichen Herrn gemacht hatten, dem sie einen Federball zugeworfen hatten, den er als Medizinball zurückrollen ließ.

Unter den Bildern des großen Spaniers, die ich im Museum gesehen hatte, hatte mich übrigens zufällig ganz besonders eines angezogen, auf dem ein alter Wasserverkäufer, der neben seinen kühlen Tonkrügen stand, soeben einem Jungen, der sichtlich einer besseren Schicht angehörte, ein bis an den Rand mit Wasser gefülltes Glas reichte, nach Art der Zeit, indem er das Glas an der Standfläche hielt, während die Hände des Jungen im nächsten Augenblick das Glas ergreifen würden, und im übernächsten würde das Wasser überschwappen, als vom Alten provozierte Ungeschicklichkeit des Jungen oder als Zeichen des Überflusses im wörtlichen wie übertragenen Sinne oder auch als Moment des Risikos, das der Meister dieser kleinen Inszenierung im Betrachter hervorlockt, der am liebsten – so wie ich kurz darauf den beiden Burschen! – rufen würde: Pass auf, das Glas ist sehr voll! ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2015)

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