Für die Fische

EU, vegetarisch: Tiergefühle und andere Streitbarkeiten. In der Serie „Expedition Europa“.

Stell dir vor!“ – Nach dem Einzug von zwei Tierrechtlern ins Europäische Parlament ging manche Brüsseler Augenbraue hoch: „Stell dir vor, diese Holländerin hat den Fischereikommissar nach den Gefühlen der Fische gefragt!“ Neulich suchte ich nicht nur diese Holländerin auf, sondern auch eine Engländerin von der Fischerlobby. Viel hatten die Frauen nicht gemein: Beide waren aus abgehängten Provinzen, aus Groningen und Yorkshire, und nach der weltanschaulichen Basis ihres Engagements gefragt, antworteten beide blitzschnell: „Ich bin Atheistin.“

Anja Hazekamp, Abgeordnete der „Partij voor de Dieren“, empfing mich im Seitenflügel der Linken. Eine hagere Endvierzigerin, die Augenpartie dunkel, ihr Blick angestrengt. Die Vegetarierin erwähnte selbst das Erstaunen im Fischereiausschuss: „Die anderen haben das noch nie gehört. Die Portugiesen und Franzosen sitzen dort für die Fischer, ich für die Ozeane und für die Fische.“

Sie musste sich nicht erst in Fahrt reden. Sie klagte den hohen Wasserverbrauch der Fleischproduktion an, die Werbung der Agrarlobby für drei Gläser Milch pro Tag, die in den Niederlanden ohnehin weitgehend verbotene Jagd. „Das grüne Wachstum ist auch eine Illusion. Man kann nicht dauernd wachsen auf einem endlichen Planeten. Und die kleinen Schritte – auf die kann unser Planet nicht warten.“

Underdog Fischerei

Die Biologin, Fachgebiet Moore, hatte beruflich nie etwas anderes gemacht. Das führte mich zu meiner brennendsten Frage: „Sagen Sie sich nicht manchmal in der Früh, jetzt muss ich wieder den ganzen Tag nur über Tiere reden? Fühlen Sie sich nicht eingeschränkt?“ Sie widersprach entschieden. „Eingeschränkt sind die anderen Politiker. Sie sagen, dass es ihnen um Menschen geht, sie reden aber nur über Geld.“

Kathryn Stack, Managing Director der Vertretung großer maritimer Fischfangländer, erwies sich als Blondine. Sie war jung und hübsch, feminin herausgeputzt, verführerisch parfümiert. Ich bestand darauf, sie im Büro abzuholen. Europêche hatte genau ein Zimmer, das Stack mit einem kleinen Spanier teilte. Der Blick ging auf eine weitere Fensterfront mit Dutzenden Lobbys. Nebenan saß die Teppichindustrie. Stack sagte in angenehmem Plapperton: „Es macht mich traurig, all diese Verbände zu sehen, die gerne mitreden würden und denen keiner zuhört.“ Ich teilte dieses Gefühl.

„Hazekamp geht das zu breit an“, sagte Stack dann im SB-Café. Sie war nicht so der tiefschürfende Typ: „Fische sind zum Essen da.“ – „Ich habe nie darüber nachgedacht, ob Fisch für die britische Identität wichtig ist.“ Die Britin, die den Fischereiausschuss schon als Assistentin des letzten schottischen Tory-Abgeordneten erlebt hatte, wirkte authentisch. Mit gekränktem Mädchentrotz zählte sie auf: „Die Grünen mögen uns nicht“, die Fangflotten werden als „Monsterschiffe“ dämonisiert, die letzte Kommissarin wollte „die ganze Branche in den Bankrott schicken“, und ein britischer Fernsehkoch kampagnisiert gegen das Zurückwerfen überzähliger Fische ins Meer. „Das ist frustrierend! Dabei kocht er und fischt er nicht.“ Heute sei nicht mehr die grüne Lobby, sondern die Fischerbranche der Underdog. „Dauernd muss ich mich verteidigen.“ Verteidigen, weil Frau. Verteidigen, weil jung und blond. Weil man sie für die britische Europapolitik anstänkert. Weil sie den Fischfang verteidigt. „Das ist so unfair!“

Zur Einstiegsfrage hatte die nette Lobbyistin keine Meinung: „Ich habe mich nie gefragt, ob Fische Gefühle haben.“ Nun, vielleicht betreten wir eine neue Etappe in der Geschichte der Menschheit. „Er ist kalt wie ein Fisch“, sagte man manchmal über Menschen. Nun fühlen sich Menschen in Fische ein. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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