Jetzt. Aber.

THEMENBILD: ZENTRALES KONTOREGISTER / KONTOEINSICHT / BANKGEHEIMNIS / STEUERREFORM
THEMENBILD: ZENTRALES KONTOREGISTER / KONTOEINSICHT / BANKGEHEIMNIS / STEUERREFORMAPA/HERBERT PFARRHOFER
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Das österreichische Bankgeheimnis soll fallen, der Staat Zugang zu allen Konten und Sparbüchern erhalten. So wird längst versteuertes Geld unter Beobachtung genommen. – Über die Ausspähung und Überwachung des Besitzes. Samt vier Szenen aus unserem Amtsfeudalismus.

Beispiel 1. Unlängst. Am 17. Mai. Im TV. „Im Zentrum“ bei Ingrid Thurnher. Ulrike Lunacek sagt, wassie an der österreichischen Politik aufrege. Man wolle die Bauern vertreten, aber dann wäre niemand bei den wichtigen Sitzungen in Brüssel. Der österreichische Landwirtschaftsminister setzt sich daraufhin auf und geht in Angriffsposition. „Das ist ein Blödsinn, was Sie da sagen.“ Ist seine Antwort, die keine Antwort ist. „Das ist ein Blödsinn, was Sie da sagen.“ Das ist eine Schmähung.

Beispiel 2. In einer kleinen österreichischen Gemeinde steht ein Kanalbau an. Der Gemeindesachverständige rät bei der Begehung dazu, gleich den von der Gemeinde beauftragten Bautrupp die privat zu zahlenden Anschlüsse bauen zu lassen. Die Arbeiter der privaten Baufirma erklären den Anwohnern dann, dass sie „das“ auch ohne Rechnung machen können. Auf die Frage, dass doch sicher eine Rechnung vorgelegt werden müsse,antworten die Arbeiter: Nein. Die Anwohner könnten den Anschluss ja auch selbst gebaut haben. Ohne Rechnung koste es 30 Prozent weniger. Und. Bei der Abnahme würdesicher keine Rechnung für die Arbeiten verlangt werden. Da ginge es nur umAbgaben für den Kanalbefund. Verwaltungsabgabe. Stempelgebühr. Überprüfungsgebühr. Die Abgabenseien dem Gemeindebediensteten, der die Endbeschau vornähme,dann bar auszuzahlen. – Die meisten Anwohner lassen die Anschlüsse vom Bautrupp ohneRechnung machen. Die Arbeiter verwenden die Geräte und Materialien einfach nach dem offiziellen Arbeitsschluss weiter und arbeiten bis tief in die Nacht. Niemand hat ein schlechtes Gewissen. Alle folgen ja dem Vorschlag des Gemeindesachverständigen, der auch die Endbeschau vornehmen wird.

Beispiel 3. Einer 68-jährige Frau mit Rückenproblemen wird von ihrer Orthopädin erklärt, dass sie keine Kur genehmigt bekommen wird. Üblicherweise bekommen Personen, die bisher nie auf Kur gegangen sind, nämlich später keine mehr genehmigt.

Nun liegt ja der Vorschlag auf dem parlamentarischen Begutachtungstisch, der österreichischen Steuerbehörde den Zugang zu allen Konten, Sparbüchern und Depots der Österreicherinnen und Österreicher jederzeit und auch ohne einen richterlichen Öffnungsbefehl zu ermöglichen. Das wird mit Arbeitserleichterung für das Amt begründet. Das Bankgeheimnis soll fallen. Kriminalität soll bekämpft werden. Und. Das Gesetz soll rückwirkend ab März 2015 gelten. Damit niemand sich wehren kann.

Aber. Die Frage muss doch sein: Was für einen Staat stellte eine solche Maßnahme her? Und. In welches Verhältnis setzte sich ein so alles wissender Staat zu seinem Souverän, dem Staatsbürger und der Staatsbürgerin?

Wie schon bei allen Nachrichten über das Kontrolliertsein von NSA bis zu Google & Co. Die spontanste Reaktion ist jedesmal derSatz: „Sollen sie machen. Ich habe ja nichts zu verbergen.“ – Die Aussage „Ich habe ja nichts zu verbergen“ ist der erste Satz eines kleinbürgerlichen Sadismus, der seine Lust aus der Verfolgung und Bestrafung der anderengewinnt. Dafür werden die eigenen Schmerzen unterdrückt oder noch zur Steigerung des Begehrens benutzt, die anderen verfolgt, ausgeforscht und bestraft zu sehen. Eine Art Geschwisterneid oder sogar Geschwisterhass führtda zur völligen Unterdrückung der eigenen Bedürfnisse, um sich an der Vernichtung, der Vernichtung der anderen, aufzugeilen.

Aber. Noch gibt es keine Datensammlung dieser Aussagen als Beweis zur Zugehörigkeit der sadistisch Schaulustigen. Jetzt einmal wird der Kontrollstaat auf alle zugreifen. Der kleinbürgerliche Sadismus, der in der Alltagskultur des Österreichischen aufs Selbstverständlichste zu finden ist. Dieser kleinbürgerliche Sadismus bewirkt nämlich die Aufgabe der notwendigen Selbstfürsorge und Selbstvorsorge der Personen für sich selbst. Die Personen, die nichts zu verbergen haben, liefern sich dem Staat so selbst aus. Aber. Das ist ein Staat, der sich selbst als Institution aufgelöst hat und aufs Selbstverständlichste vom Souverän die Dienste verlangt, für die der Staat einmal geschaffen wurde. Und dann. Wir leben in einem Staat, der längst im Bankrott angekommen ist. Die Verquickung von Politik und Geld hat uns diese Schulden aus Prestigeprojekten wie Stadien, Arenen, Jugoslawienkrieg und anderen korrupten Geschäften zurückgelassen.

Niemand von uns hat etwas davon gehabt. Die Ausspähung des Besitzes der Bürgerinnen und Bürger kommt aus der Notwendigkeit, den Souverän zahlen lassen zu müssen. So wird dann längst versteuertes Geld unter Beobachtung genommen. Das wird unvermeidlich dazu führen, dass der Staat in Form des Amts sich in das Eigentum über dieses Geld setzt. Das Amt wird dann über den Besitzstand des Staatsbürgers oder der Staatsbürgerin Bescheid wissen. Das wird wiederum unvermeidlich zur Ausstellung von Bescheiden führen.

Diese Bescheide werden in das Leben derPersonen eingreifen. Von Amts wegen werden Lebensanweisungen erlassen werden. Es wird vorgeschrieben werden, wie gelebt werden soll. Das werden von Amts wegen erlassene Schicksalsromane sein. Erst wenn jeder und jede an eine untere Grenze des Besitzes „herangeführt“ worden sind, wird das Amt zufrieden sein können.

In den angeführten Beispielen sehen wir, in welcher Alltagskultur solche Bescheide vermutet werden müssen.

Wie schon in Thomas Bernhards „Auslöschung“ nimmt jeder Österreicher von jedem anderen Österreicher einmal an, dass der andere sowieso ein Depp ist.

In Beispiel 1. Der Landwirtschaftsminister gibt der Vizepräsidentin des EuropäischenParlaments nicht eine Auskunft über seine Arbeit in der Europäischen Kommission. Er könnte ja sagen, warum niemand in der betreffenden Sitzung gewesen ist. Es könnte von seinem Standpunkt aus nicht wichtig gewesen sein. Es könnte jemand krank geworden sein. Es könnte viele Gründe geben. Aber das alles werden wir nie erfahren. Der österreichische Landwirtschaftsminister ist mit der Schmähung der Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments zufrieden. Seine Auffassung von seiner Arbeit schließt keine Auskunftspflicht ein. Ja, nicht einmal einegebotene Höflichkeit ist da zu finden. Das erzählt uns, dass an der Spitze der Politik nichts von „dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes“ der Europäischen Union vorhanden ist, auf dem sich dann „die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität“ begründen sollten.

Die reaktive Selbstverständlichkeit wiederum des Satzes „Das ist ein Blödsinn, was Sie da sagen“ fügt sich auf der gelebten Alltagsebene mit dem ersten Hauptsatz des Kleinbürgerlichen, „Ich habe ja nichts zu verbergen“, zu einer schönen Totalität der jeweils eigenen Meinung zusammen. Die Vorstellung vom eigenen Selbst als etwas Totalem hat dann wiederum den totalen Zusammenbruch der Kommunikation zur Folge. Auf der Ebene der Fernsehdiskussion bleibt das unmögliches Benehmen und politische Unfähigkeit. Die Kunst des Regierens ist uns da ja wieder einmal nicht vorgeführt worden. Die Kunst der Moderation übrigens auch nicht.

Aber. Auf der Ebene des zu lebenden Alltagslebens verhallt ein solcher Satz ungehört. Die Person, die alle anderen ohnehin als Deppen ansieht und die nichts zu verbergen hat. Diese Person wird vom Zugriff des Amts genauso getroffen werden wie die gehassten anderen. Und dann beginnt das mit der Vernichtung in allem Ernst. Es gibt ja keine andere Form der Gestaltung mehr, als die Verfolgung, Ausspähung und Bestrafung der anderen immer noch zu steigern, um die eigene Vernichtung nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen. Das sind subtile und kaum versprachlichte Prozesse, die von der Werbung in symbolischer Form insistent angeboten werden. Wenn McDonald's zum Beispiel mit einer Bombe wirbt, dann will das nichts anderes sagen, als dass jeder und jede sichüber Kauf in den Besitz einer Bombe versetzen kann. Und für den immer noch begüterteren Mann gibt es die unendlichen Trostangebote an weiblichen Körpern auf den Plakatwänden, die die Person ruhigstellen sollen. Und. Diese Personen machen sich zu Komplizen einer Politik staatlichen Sadismus. – Es sind schließlicherpresste Geständnisse, die sich das Amt mit der Einsicht in die Sparbücher da verschaffenkönnen soll. Geständnisse sind das, die zu Geschichten verarbeitet, die Leben der Bürgerinnen und Bürger verändern werden.

Natürlich maskiert sich Abstieg hinter all diesen Maßnahmen. Es geht darum, wie der Staatsbankrott auf den Souverän abgeladen wird. Österreich hat da noch aus der Monarchie eine lange Tradition aus den vielen Staatsbankrotten damals. Und auch damals waren es Prestigeprojekte wie Bahnlinien und Kriege, deren Kosten der Steuerzahler aufgebürdet bekam.

Beispiel 2. Das beschreibt uns die Haltung der Bürokratie. Es ist begründet, dass Österreich auf den Korruptionstabellen nie gut abschneidet. Es ist genau diese Atmosphäre des Amtlichen, in die sich die „guten Ratschläge“ des Korrupten geradezu pragmatisch einfügen. Nebenbei und irgendwie wird da zur Schwarzarbeit gedrängt. Und. Vielleicht kassiert hier auch wirklich niemand, und das Argument des Pragmatischen ist ernst gemeint. Aber wenn das Pragmatische gegen Gesetze verstößt, dann bleibt es auch bei aller Praktischheit Korruption. Es wird ja gewohnheitskorrupterweise nicht als Widerspruch gesehen, dass die Personen, die alle anderen für Deppen halten und selbst nichts zu verbergen haben, für sich alles in Schwarzarbeit erledigen lassen und weiterhin nichts zu verbergen haben. Und. In Staaten, in denen die Überwachung durch das Amt stark ist. In diesen Ländern ist die Schattenwirtschaft besonders groß. Dem Amt entgehen so sehr viel mehr Abgaben als in einem freieren Land.

Denn. Freiheit. – Und darüber sollte heftigst diskutiert werden. – Freiheit in einerhochkapitalistischen Informationsgesellschaft wird genauso nur durch Würde hergestellt. Und. Würde kann wiederum nur durch den Staat und die Gesellschaft gegeben werden. Die gegebene Würde wiederum muss jenen Raum des freien Willens herstellen, in dem die Person ihre moralischen Entscheidungen treffen kann. Erübrigen sich solche Entscheidungen durch Kontrolle, kann keine Moral mehr gelebt werden. Der Prozess rollt sich zurück. Ohne Moral gibt es den freien Willen nicht. Ohne freien Willen entsteht der Raum der Würde nicht. Ohne Würde gibt es keine Freiheit. Ohne Freiheit erfüllt Österreich die Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht. Österreich hätte sich hinausgetrickst. Der Austrex wäre das folgerichtige Ergebnis. Es sind nämlich moralische Kriterien, die Europa zusammenführen, und nicht die pünktliche Bezahlung der Schulden verschwenderischer Eliten aller Arten.

Wer immer noch glaubt, dass das alles ihn oder sie nicht betreffen wird. Das Beispiel 3 ist eine schöne Illustration der Tatsache, dass über jeden und jede schon jetzt ein Akt vorliegt. Das Amt weiß, ob Sie schon einmal auf Kur waren, und zieht Schlüsse daraus. Und. Das ist eine Amtslogik, die mit dem zu lebenden Alltagsleben nichts zu tun hat. Wir würden ja meinen, eine Person, die immer gearbeitet hat und nun Unterstützungbräuchte, müsste diese Unterstützung bekommen. Aber nein. Die Tatsache, dass noch kein Akt von dieser Person in Bezug auf Kuraufenthalte vorliegt, ist der ausschlaggebende Grund für die Ablehnung. Das bedeutet, dass kein Akt ein Akt ist, der zur Grundlage für Entscheidungen genommen werden wird. Das wiederum heißt für die Personen, die nichts zu verbergen haben, dass sie in genau dieser Weise erfasst sind und damit der Logik des Amts nicht entkommen können.

Die Logik des Amts aber. Und hier kommen wir zu Beispiel 4. Prostitution und Steuer. Prostituierte stellen ja keine Belege aus. Das wird vielleicht auch noch kommen, aber jetzt einmal werden Prostituierte (und hier sind alle Geschlechter gemeint) von der Steuer eingeschätzt. Das führt dazu, dass das Amt festlegt, wie viel eine sich prostituierende Person verdienen kann. Danach wird die Steuer bemessen. Das Amtbetreibt so ganz offen Zuhälterei, und die Prostituierten müssen das veranschlagte Geld aufbringen. Die Steuerschraube wird angezogen. Der oder die Prostituierte muss ficken,weil das Amt das verlangt. Und das Amt wird verlangen. Das Amt wird wissen, was aus Personen herauszuholen ist. Eine Amtsfeudalität wird das sein. Die Politik wird dem Amt Vorgaben machen, das Amt wird entsprechend kassieren und die Quoten erfüllen.

Eingespannt in diese Abläufe, wird der Souverän in nicht mehr zurückverfolgbare Zwänge geraten. Und. Wenn nicht ganz raschdie gebotene Selbstfürsorge und Selbstvorsorge aller Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aufgeboten wird, diesen Staat in demokratischere Bahnen zurückzuführen, wird die Bernhardsche Vision Österreichs Wirklichkeit werden: das Chaos von einander vernichten wollenden Geschwistern der verstoßenen Kinderschar Österreichs, denen beigebracht wurde, dass Achtung und Würde Eigenschaften von Deppen sind. Und die Deppen. Das sind immer alle anderen.

Die Bekämpfung von Schwarzarbeit, Geldwäsche und Terrorismus muss mit rechtlichen Mitteln betrieben werden. Also bitte, einen richterlichen Befehl zur Öffnung von Konten bei berechtigtem Verdacht und keine Generalverdächtigung und totale Kontrolle. Denn. Sollte das Gesetz verabschiedet werden, müssen wir uns Gedanken darüber machen, wer die Daten-CD zum Verkauf zwecks Erpressung anbieten wird, wie wir das von den Schweizer Bankkonten kennen. Wird es ein Politiker in verächtlicher Angriffslaune sein, der in einer Diskussion einem Gegner oder einer Gegnerin die Kontodaten entgegenschleudert? Wird es der Gemeindebedienstete sein, der die Preise der Schwarzarbeit nach den finanziellen Möglichkeiten der einzelnen Hausbesitzer einrichtet? Oder wird die Krankenkasse der Patientin vorschlagen, sich die Kur doch selbst von ihrem Sparbuch zu bezahlen? Für die Prostituierten kennen wir den Ausgang ja schon.

Solche Szenerien. Ich kenne das aus der russischen Literatur des 19. Jahrhundertsoder aus der Lektüre von Kafka. Aber gerade diese Wiederholung im feudal Totalitären. Kann man oder frau eine solche Politik tolerieren? Kann es allen Ernstes darum gehen, der eigenen Auslöschung mit diesem Gefühl, „dass es eh allen recht geschieht“, zuzusehen? Könnten wir uns auf unsere Grundrechte besinnen und die verteidigen? Wer macht das Volksbegehren? Oder sollen wir Europa anrufen, aus uns ein Protektorat der Europäischen Werte zu machen? Viel Zeit ist nicht. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2015)

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